Entmilitarisierung der Gesellschaft statt neue Aufgabenerfindung für das Militär

von Caroline Thomas
Hintergrund
Hintergrund

In der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause stellte die Bundes­tagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen der Öffentlichkeit einen Grundge­setzänderungsantrag zur Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr vor. Während die GRÜNEN seit ihrer Gründung antimilita­ristische und pazifistische Positionen vertraten und insbesondere der Bundeswehr und ihren Aufgaben, also der Gefahr einer deutschen mili­tärisch abgesicherten Machtpolitik sehr kritisch gegenüberstanden, gibt es jetzt zum ersten Mal einen offiziellen Antrag im Bundestag, der, im Gegensatz zu den bisherigen Ansätzen grüner Friedenspolitik, nicht die Aufgaben und Möglichkeiten der Bundeswehr einschränken will, son­dern eine Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten fordert. Nach diesem Antrag soll deutsches Militär in Zukunft außerhalb der bisherigen Gren­zen - des NATO-Vertragsgebietes - also insbesondere in der sog. Dritten Welt und in den osteuropäischen Staaten eingesetzt werden können.

Die Bundestagsgruppe Bündnis 90/Grüne reiht sich damit in einen Mi­nimalkonsens zwischen den Parlament­sparteien (mit Ausnahme der PDS) ein. Versucht sie damit ihre Politikfähigkeit unter Beweis zu stellen? Warum wird der Antrag gerade jetzt gestellt, in einer Phase, in der das Militär in einer exi­stentiellen Legitimationskrise steckt, die finanziellen Ressourcen wie nie zuvor an anderen stellen dringendst gebraucht werden und die Gefahr einer neuen Phase deutscher militärischer Machtpo­litik vorhanden ist? Warum bietet ge­rade Bündnis 90/Grüne der Bundesre­gierung in dieser Phase die Einstiegs­droge "Blauhelm" an?

Eine Grundgesetzänderung zu fordern bzw. mitzutragen, die die Einsatzmög­lichkeiten der Bundeswehr erweitert, ist m.E. aus unterschiedlichen Gründen der falsche Weg:

1.    Die Ambitionen aller drei Altparteien gehen über eine UN-Blauhelm-Be­teiligung deutlich hinaus. Einige CDU-Politiker fordern insbesondere seit der Intervention im Persi­schen/Arabischen Golf eine Beteili­gung an WEU- oder EG-Eingreif­truppen. Klose (jetziger SPD-Frakti­onschef) forderte einen Einsatz der Bundeswehr im Golfkrieg II. Sowohl die SPD als auch die FDP streben eine integrierte europäische Außen- und Sicherheitspolitik mit entspre­chendem bundesdeutschem Beitrag an 1

      Darüberhinaus liegt mit dem Papier von Verteidigungsminister Stolten­berg vom Februar 1992 zur Neuge­staltung der Bundeswehr ein deutli­cher Beleg dafür vor, daß die Bun­deswehr in Zukunft als Machtinstru­ment in sog. Dritte-Welt-Staaten und in Osteuropa eingesetzt werden soll. Zur Umsetzung globaler deutscher Interessen will das Verteidigungsmi­nisterium in der Bundeswehr sog. Krisenreaktionskräfte mit flexibler Einsatzfähigkeit und rascher Verfüg­barkeit aufstellen.

      Bei solch eindeutigen Ambitionen sowohl der Bundesregierung als auch der Militärorganisationen WEU und NATO hat die Forderung nach bun­desdeutscher Blauhelm-Beteiligung eine Türöffnerfunktion. Hierdurch würde politisch und verfassungs­rechtlich das Tabu gebrochen, das dem geographischen Einsatzbereich der Bundeswehr zurzeit immer noch anhaftet.

2.    Bisher wurden die Kontingente für Blauhelm-Einsätze in erster Linie von kleinen oder neutralen Staaten gestellt, um die Neutralität der Mis­sion zu gewährleisten. Die Bundesre­publik ist insbesondere seit ihrer Vereinigung kein kleiner Staat, wel­cher dafür geeignet ist, neutrale ver­mittelnde Missionen zu übernehmen. Die Rolle der BRD in Jugoslawien, das heißt die einseitige Parteinahme gegen die Serben, und die globale Interessendefiniton im schon er­wähnten Stoltenberg-Papier machen diesen Wandel im außenpolitischen Stil der BRD deutlich.

3.    Die Entscheidung für oder gegen eine Blauhelmmission fällt im Sicher­heitsrat der UNO. Dieser ist alles an­dere als ein demokratisches Gre­mium. Es ist geprägt von den Mach­tinteressen der fünf Nuklearmächte. Solange die UNO nicht demokrati­siert ist und z.B. Entscheidungen aus­schließlich vom Sicherheitsrat gefällt werden, ohne daß eine Beteiligung der Generalversammlung gewährlei­stet ist, ist die Gefahr, daß es sich auch um Machtpolitik der fünf Nu­klearmächte handelt, groß. Die zwei­erlei Maß, mit denen über Einsätze im UN-Rahmen entschieden wird, sind äußerst problematisch. Kann man sich denn in absehbarer Zeit vorstellen, daß eine UN-Truppe ge­bildet wird, um die Golfkriegsdeser­teure, denen z.T. die Todesstrafe ge­droht hat, aus den Gefängnissen der USA zu befreien oder um die Men­schenrechtssituation in Nordirland zu überprüfen und u.U. einzugreifen?

      Im Antrag der Bundestagsgruppe von Bündnis 90/Grüne wird eine Reform der UNO gefordert. Die UNO-Re­form ist ein Prozess von 10-15 Jah­ren, der Einsatz der Bundeswehr au­ßerhalb des NATO-Vertragsgebietes wahrscheinlich eine Sache von einem Jahr bzw. etwas was bereits stattfin­det (Persisch/arabischer Golf, Kam­bodscha).

4.    Es wird in Zukunft keine Abgrenzung zwischen friedenserhaltendenden Blauhelmmissionen, sog. friedens­stiftenden Einsätzen nach Kap. VII und Einsätzen wie im Golfkrieg II mehr möglich sein. Dies wird durch zwei Aspekte deutlich. Zum einen durch die Diskussion um humanitäre Intervention: die Forderung nach ei­nem Einsatz von Blauhelmen gegen den Willen des z.B. Menschenrechte verletzenden Staates wird immer häu­figer erhoben; zum anderen die Dis­kussion um sog. potente Blauhelme: so wurde z.B. im Zusammenhang mit dem Einsatz in Kambodscha gefor­dert, nicht defensiv bewaffnete Sol­daten dort einzusetzen - dies sei der Situation nicht angemessen - sondern auch offensiv bewaffnete Soldaten.

      Durch diese Forderungen würden zwei Prinzipien der Blauhelmeinsätze außer Kraft gesetzt. 1. das Prinzip der Einwilligung aller betroffenen Kriegsparteien und 2. das Prinzip der Nicht-Bewaffnung bzw. der strikt de­fensiven ausschließlich zur Selbst­verteidigung benutzbare Bewaffnung. Wer heute eine deutsche Beteiligung an Blauhelm-Missionen fordert, kal­kuliert die erweiterten "Blauhelm-Einsätze" mit ein.

5.    Sowohl die WEU als auch die NATO haben auf ihren letzten Sitzungen be­schlossen, ihre Truppen für Blau­helm-Missionen der KSZE zur Ver­fügung zu stellen (Petersberg-Erklä­rung vom Juni und NATO-Früh­jahrsgipfel im Mai). Das heißt in Zu­kunft werden Soldaten der NATO und WEU - beides klassische Mili­tärpakte und keine Systeme kollekti­ver Sicherheit - Peace-keeping-Ope­rationen umsetzen. Dieses wird Aus­wirkungen auf die Entscheidungsfin­dung und auf die Art und Weise der Durchführung von Blauhelm-Einsät­zen haben.

6.    Die wenigsten friedenspolitisch Akti­ven fordern, daß die Bundesrepublik sich aus den Problemen in anderen Staaten prinzipiell raushält. Die Frage ist aber, warum für humanitäre Hilfsleistungen und Aufbauarbeiten in ehemaligen Kriegsgebieten Sol­daten, also militärisch ausgebildete Menschen, eingesetzt werden müs­sen. Können nicht speziell ausgebil­dete zivile Ärzte, die nicht gelernt haben die Menschen nach militäri­schen Kategorien wieder zusammen­zuflicken oder eben auch sterben zu lassen, Psychologen, Soziologen, Mechaniker, Ingenieure etc. in sol­chen Katastrophensituationen einge­setzt werden? Können nicht Organi­stionen wie Terre des Hommes, Ca­ritas oder Greenpeace viel besser in Umwelt/Kriegskatastrophensituationen helfen?

7.    Das Ziel der Friedensbewegungen und der Grünen war immer eine Entmilitarisierung der Ge­sellschaft. Dieses Ziel sollte u.a. er­reicht werden, indem ver­sucht wurde, durch Informa­tion und Argu­mentation der Bundeswehr die Akzeptanz und Legiti­mation in der Gesellschaft zu entziehen. Durch diese neue Aufga­benstellung, die die Blau­helm-Beteili­gung für die Bundeswehr bietet, wird von Militärs und Politikern versucht die Bundeswehr wieder aus ih­rer Identitäts- und Akzep­tanzkrise her­auszuholen. Noch nie wurde die In­stitution Militär und damit auch die Bundes­wehr in der Öffentlichkeit so deutlich in Frage gestellt, wie nach dem Ende des Kalten Krieges. Diese Tendenz sollte genutzt werden, um einen Ent­militarisierungsprozess in unserer Gesellschaft voranzutreiben und nicht dem Militär neue Aufgaben zu erfinden. Diejenigen, die eine Bun­deswehrbeteiligung an Blauhelm-Missionen fordern tragen zu einer Relegitimierung der Bundeswehr bei.

Ich verstehe die Ohnmacht, die jede/r fühlt, wenn er/sie die Bilder über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien ver­folgt. Insbesondere Politiker, die sich mit den Bedingungen in Osteuropa be­schäftigen und von denen eine Antwort erwartet wird, sind dieser Ohnmacht ausgesetzt. Der Weg, aus dieser Ohn­macht herauszukommen, indem militä­rische Konfliktlösungen angedacht wer­den, ihre Vorstufen nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden und nicht wei­terhin die Energie und Ressourcen dafür verwendet, um nicht-militärische Kon­fliktlösungen zu erarbeiten und umzu­setzen, um der herrschenden Politik ent­gegenzuwirken, ist zwar verständlich, aber dennoch der falsche Weg. Er ver­schiebt die Diskussion in eine falsche Richtung, auf falsche Aspekte.

Die Bundesrepublik sollte in Zukunft ih­rer 'Verantwortung' dadurch gerecht werden, indem sie z.B. ihr ökonomi­sches Potential für einen gerechten Nord-Süd-Ausgleich einsetzt, um die sozio-ökonomischen Ursachen für in­nergesellschaftliche und zwischenstaat­liche Konflikte in Süd und Ost, die unter bestimmten Bedingungen militärische Interventionen auswärtiger Mächte pro­vozieren, abzubauen. Dem Friedensge­bot des Grundgesetzes und ihrer Ge­schichte würde sie damit eher gerecht.

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Caroline Thomas, Bundesarbeitsgemeinschaft für friedens- und internationale Politik, DIE GRÜNEN.