6x jährlich erscheint unser Magazin "FriedensForum" und berichtet über Aktionen, Kampagnen und Themen der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeexemplar zu. Die nächste Ausgabe erscheint Ende April mit dem hochaktuellen Thema "Entspannungspolitik".
Entmilitarisierung der Gesellschaft statt neue Aufgabenerfindung für das Militär
von
In der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause stellte die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen der Öffentlichkeit einen Grundgesetzänderungsantrag zur Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr vor. Während die GRÜNEN seit ihrer Gründung antimilitaristische und pazifistische Positionen vertraten und insbesondere der Bundeswehr und ihren Aufgaben, also der Gefahr einer deutschen militärisch abgesicherten Machtpolitik sehr kritisch gegenüberstanden, gibt es jetzt zum ersten Mal einen offiziellen Antrag im Bundestag, der, im Gegensatz zu den bisherigen Ansätzen grüner Friedenspolitik, nicht die Aufgaben und Möglichkeiten der Bundeswehr einschränken will, sondern eine Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten fordert. Nach diesem Antrag soll deutsches Militär in Zukunft außerhalb der bisherigen Grenzen - des NATO-Vertragsgebietes - also insbesondere in der sog. Dritten Welt und in den osteuropäischen Staaten eingesetzt werden können.
Die Bundestagsgruppe Bündnis 90/Grüne reiht sich damit in einen Minimalkonsens zwischen den Parlamentsparteien (mit Ausnahme der PDS) ein. Versucht sie damit ihre Politikfähigkeit unter Beweis zu stellen? Warum wird der Antrag gerade jetzt gestellt, in einer Phase, in der das Militär in einer existentiellen Legitimationskrise steckt, die finanziellen Ressourcen wie nie zuvor an anderen stellen dringendst gebraucht werden und die Gefahr einer neuen Phase deutscher militärischer Machtpolitik vorhanden ist? Warum bietet gerade Bündnis 90/Grüne der Bundesregierung in dieser Phase die Einstiegsdroge "Blauhelm" an?
Eine Grundgesetzänderung zu fordern bzw. mitzutragen, die die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr erweitert, ist m.E. aus unterschiedlichen Gründen der falsche Weg:
1. Die Ambitionen aller drei Altparteien gehen über eine UN-Blauhelm-Beteiligung deutlich hinaus. Einige CDU-Politiker fordern insbesondere seit der Intervention im Persischen/Arabischen Golf eine Beteiligung an WEU- oder EG-Eingreiftruppen. Klose (jetziger SPD-Fraktionschef) forderte einen Einsatz der Bundeswehr im Golfkrieg II. Sowohl die SPD als auch die FDP streben eine integrierte europäische Außen- und Sicherheitspolitik mit entsprechendem bundesdeutschem Beitrag an 1
Darüberhinaus liegt mit dem Papier von Verteidigungsminister Stoltenberg vom Februar 1992 zur Neugestaltung der Bundeswehr ein deutlicher Beleg dafür vor, daß die Bundeswehr in Zukunft als Machtinstrument in sog. Dritte-Welt-Staaten und in Osteuropa eingesetzt werden soll. Zur Umsetzung globaler deutscher Interessen will das Verteidigungsministerium in der Bundeswehr sog. Krisenreaktionskräfte mit flexibler Einsatzfähigkeit und rascher Verfügbarkeit aufstellen.
Bei solch eindeutigen Ambitionen sowohl der Bundesregierung als auch der Militärorganisationen WEU und NATO hat die Forderung nach bundesdeutscher Blauhelm-Beteiligung eine Türöffnerfunktion. Hierdurch würde politisch und verfassungsrechtlich das Tabu gebrochen, das dem geographischen Einsatzbereich der Bundeswehr zurzeit immer noch anhaftet.
2. Bisher wurden die Kontingente für Blauhelm-Einsätze in erster Linie von kleinen oder neutralen Staaten gestellt, um die Neutralität der Mission zu gewährleisten. Die Bundesrepublik ist insbesondere seit ihrer Vereinigung kein kleiner Staat, welcher dafür geeignet ist, neutrale vermittelnde Missionen zu übernehmen. Die Rolle der BRD in Jugoslawien, das heißt die einseitige Parteinahme gegen die Serben, und die globale Interessendefiniton im schon erwähnten Stoltenberg-Papier machen diesen Wandel im außenpolitischen Stil der BRD deutlich.
3. Die Entscheidung für oder gegen eine Blauhelmmission fällt im Sicherheitsrat der UNO. Dieser ist alles andere als ein demokratisches Gremium. Es ist geprägt von den Machtinteressen der fünf Nuklearmächte. Solange die UNO nicht demokratisiert ist und z.B. Entscheidungen ausschließlich vom Sicherheitsrat gefällt werden, ohne daß eine Beteiligung der Generalversammlung gewährleistet ist, ist die Gefahr, daß es sich auch um Machtpolitik der fünf Nuklearmächte handelt, groß. Die zweierlei Maß, mit denen über Einsätze im UN-Rahmen entschieden wird, sind äußerst problematisch. Kann man sich denn in absehbarer Zeit vorstellen, daß eine UN-Truppe gebildet wird, um die Golfkriegsdeserteure, denen z.T. die Todesstrafe gedroht hat, aus den Gefängnissen der USA zu befreien oder um die Menschenrechtssituation in Nordirland zu überprüfen und u.U. einzugreifen?
Im Antrag der Bundestagsgruppe von Bündnis 90/Grüne wird eine Reform der UNO gefordert. Die UNO-Reform ist ein Prozess von 10-15 Jahren, der Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Vertragsgebietes wahrscheinlich eine Sache von einem Jahr bzw. etwas was bereits stattfindet (Persisch/arabischer Golf, Kambodscha).
4. Es wird in Zukunft keine Abgrenzung zwischen friedenserhaltendenden Blauhelmmissionen, sog. friedensstiftenden Einsätzen nach Kap. VII und Einsätzen wie im Golfkrieg II mehr möglich sein. Dies wird durch zwei Aspekte deutlich. Zum einen durch die Diskussion um humanitäre Intervention: die Forderung nach einem Einsatz von Blauhelmen gegen den Willen des z.B. Menschenrechte verletzenden Staates wird immer häufiger erhoben; zum anderen die Diskussion um sog. potente Blauhelme: so wurde z.B. im Zusammenhang mit dem Einsatz in Kambodscha gefordert, nicht defensiv bewaffnete Soldaten dort einzusetzen - dies sei der Situation nicht angemessen - sondern auch offensiv bewaffnete Soldaten.
Durch diese Forderungen würden zwei Prinzipien der Blauhelmeinsätze außer Kraft gesetzt. 1. das Prinzip der Einwilligung aller betroffenen Kriegsparteien und 2. das Prinzip der Nicht-Bewaffnung bzw. der strikt defensiven ausschließlich zur Selbstverteidigung benutzbare Bewaffnung. Wer heute eine deutsche Beteiligung an Blauhelm-Missionen fordert, kalkuliert die erweiterten "Blauhelm-Einsätze" mit ein.
5. Sowohl die WEU als auch die NATO haben auf ihren letzten Sitzungen beschlossen, ihre Truppen für Blauhelm-Missionen der KSZE zur Verfügung zu stellen (Petersberg-Erklärung vom Juni und NATO-Frühjahrsgipfel im Mai). Das heißt in Zukunft werden Soldaten der NATO und WEU - beides klassische Militärpakte und keine Systeme kollektiver Sicherheit - Peace-keeping-Operationen umsetzen. Dieses wird Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung und auf die Art und Weise der Durchführung von Blauhelm-Einsätzen haben.
6. Die wenigsten friedenspolitisch Aktiven fordern, daß die Bundesrepublik sich aus den Problemen in anderen Staaten prinzipiell raushält. Die Frage ist aber, warum für humanitäre Hilfsleistungen und Aufbauarbeiten in ehemaligen Kriegsgebieten Soldaten, also militärisch ausgebildete Menschen, eingesetzt werden müssen. Können nicht speziell ausgebildete zivile Ärzte, die nicht gelernt haben die Menschen nach militärischen Kategorien wieder zusammenzuflicken oder eben auch sterben zu lassen, Psychologen, Soziologen, Mechaniker, Ingenieure etc. in solchen Katastrophensituationen eingesetzt werden? Können nicht Organistionen wie Terre des Hommes, Caritas oder Greenpeace viel besser in Umwelt/Kriegskatastrophensituationen helfen?
7. Das Ziel der Friedensbewegungen und der Grünen war immer eine Entmilitarisierung der Gesellschaft. Dieses Ziel sollte u.a. erreicht werden, indem versucht wurde, durch Information und Argumentation der Bundeswehr die Akzeptanz und Legitimation in der Gesellschaft zu entziehen. Durch diese neue Aufgabenstellung, die die Blauhelm-Beteiligung für die Bundeswehr bietet, wird von Militärs und Politikern versucht die Bundeswehr wieder aus ihrer Identitäts- und Akzeptanzkrise herauszuholen. Noch nie wurde die Institution Militär und damit auch die Bundeswehr in der Öffentlichkeit so deutlich in Frage gestellt, wie nach dem Ende des Kalten Krieges. Diese Tendenz sollte genutzt werden, um einen Entmilitarisierungsprozess in unserer Gesellschaft voranzutreiben und nicht dem Militär neue Aufgaben zu erfinden. Diejenigen, die eine Bundeswehrbeteiligung an Blauhelm-Missionen fordern tragen zu einer Relegitimierung der Bundeswehr bei.
Ich verstehe die Ohnmacht, die jede/r fühlt, wenn er/sie die Bilder über den Krieg im ehemaligen Jugoslawien verfolgt. Insbesondere Politiker, die sich mit den Bedingungen in Osteuropa beschäftigen und von denen eine Antwort erwartet wird, sind dieser Ohnmacht ausgesetzt. Der Weg, aus dieser Ohnmacht herauszukommen, indem militärische Konfliktlösungen angedacht werden, ihre Vorstufen nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden und nicht weiterhin die Energie und Ressourcen dafür verwendet, um nicht-militärische Konfliktlösungen zu erarbeiten und umzusetzen, um der herrschenden Politik entgegenzuwirken, ist zwar verständlich, aber dennoch der falsche Weg. Er verschiebt die Diskussion in eine falsche Richtung, auf falsche Aspekte.
Die Bundesrepublik sollte in Zukunft ihrer 'Verantwortung' dadurch gerecht werden, indem sie z.B. ihr ökonomisches Potential für einen gerechten Nord-Süd-Ausgleich einsetzt, um die sozio-ökonomischen Ursachen für innergesellschaftliche und zwischenstaatliche Konflikte in Süd und Ost, die unter bestimmten Bedingungen militärische Interventionen auswärtiger Mächte provozieren, abzubauen. Dem Friedensgebot des Grundgesetzes und ihrer Geschichte würde sie damit eher gerecht.