Zur Demo am 17.11.1990 in Stuttgart

ENTRÜSTET DAIMLER! Bombenge­schäfte mit dem Kalifen von Bagdad

von Paul Russmann

 

Benzin-Bomben-Pläne, 75 Panzerabwehrhubschrauber BO 105, Bauele­mente für Exocet-Raketen, eine Anlage zur Entwicklung von Mittelstrec­kenraketen und...und...lieferte Daimlers Tochter Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB) an den Kalifen von Bagdad. In mindestens 71 Ländern rol­len Lkw's, Panzerfahrzeuge oder Artilleriegeschütze mit Motor oder Chas­sis Marke "DB". So gingen z. B. 80 Militär-Lkws mit sandfarbenem Tarnan­strich und Schließluken ausgestattet, 1989 an die islamischen Funda­mentalisten im Iran. "...daran (wird) sehr deutlich, daß wir uns hausintern eine Richtlinie für den Export von sensiblen Gütern verordnet haben, die sich am Maßstab der Verantwortung und nicht am bedingungslosen Ver­kaufsdrang ausrichtet." So Edzard Reuter, Vorstandsvorsitzender der Daimler-Benz AG auf der Aktionärshauptversammlung am 4. Juli 1990 in Stuttgart. Von welchem Unternehmen sprach er?

Eine Veröffentlichung dieser Richtli­nien lehnte Reuter auf der gleichen Versammlung mit folgender Begrün­dung ab: "Wir sind nicht ein Unter­nehmen, das in die Politik gehört, son­dern ein Unternehmen, das seine Fak­tizität und seine Geschäfte so zu füh­ren hat, wie wir (!) sie verantworten wollen... Diese Richtlinien gehen weit über das hinaus, was unsere Volksver­treter gelegentlich im Parlament be­schlossen haben".(1) Daß Reuter die Vorherrschaft der Wirtschaftsstruktu­ren noch weiter ausbauen möchte, er­fuhr mensch in einem Beitrag Reuters für die Zeit: "...es lohnt eine ehr­geizige Untersuchung, wie man strate­gische Allianzen, die sich zunehmend welt­weit zwischen Unternehmen bil­den, ohne Einschränkung des Primats de­mokratisch legitmierter politischer Verantwortung für Stabilitätszwecke nutzbar machen kann. Die bösen Mul­tis können zum Segen werden, wenn man es nur richtig anstellt..." (2)

 

Mono­poly 

Durch den Einkauf von MTU, AEG und Dornier 1985 und dem Zusam­menschluß mit MBB im September 1989 wurde Daimler Benz zum größ­ten deutschen Rüstungsproduzenten und -exporteur. (Vor 1985: Platz 17). Gleichzeitig entwickelt(e) er sich im­mer mehr zu einem Konzern, der sich auf spezifische, komplexe Hochtech­nologiebereiche wie Mikroelektronik, intelligente Sensoren, neue Werkstoffe und neue Antriebstechniken konzen­triert. Zwei Merkmale sind für diese Bereiche charakteristisch:

  1. Spätestens seit der Diskussion um SDI ist klar, daß es die Entwicklungen der Mikroelektronik, Sensor- und An­triebstechnik sowie neuer Werkstoffe sind ("Schlüsseltechnologien"), die die Rüstungstechnik und die daraus resul­tierenden Waffensysteme revolutionie­ren.
  2. Die Entwicklung dieser Schlüssel­technologien wird als zentral für die Wettbewerbsfähigkeit und damit für die Wachstumschancen der nationalen Volkswirtschaften angesehen. Ihnen gilt daher die besondere Aufmerksam­keit und das Interesse staatlicher Wirt­schafts- und Forschungspolitik. Soge­nannte "Hochtechnologieunternehmen" kön­nen mit besonderer politischer und fi­nanzieller Hilfe des Staates rechnen.

Schlüsselpositionen

Den Zusammenschluß mit MBB be­trieben die Daimler-Bosse vor allem, um im internationalen Kontext ein Wörtchen mitreden zu können. Hin­tergrund dieser öberlegungen bildet der sich abzeichnende Konkurrenz­kampf europäischer, US-amerikani­scher und japanischer Unternehmen um die vorherrschende Position bei den Schlüsseltechnologien. Die bishe­rigen Wachstumsmotoren der Volks­wirtschaft wie Schwer- und Textilindu­strie, aber auch der Fahrzeugbau (weltweite öberkapzitäten!) verloren zugunsten neuer Industrien wie der Mikroelektronik und der Biotechnik an Bedeutung. Die neuen Industriali­sierungsmuster beruhen wesentlich auf der Fähigkeit, in immer kürzeren Ab­ständen neues technologisches Wissen zu erzeugen und in industrielle Pro­duktion umzusetzen.

 

Zementierung der Arbeitsteilung

Die Träger dieser neuen Industrialisie­rungsprozesse sind die internationalen Multis. Allein sie sind in der Lage, die enormen Forschungs- und Entwick­lungskosten aufzubringen, die bis zur Marktreife eines hochtechnologischen Produktes notwendig sind. So kostet die Entwicklung eines neuen Automo­biltyps inzwischen rund 2 Mrd. DM, die einer neuen Mikrochip-Generation zwischen 5 und 10 Mrd. DM. Aus den drastisch angestiegenen Forschungs- und Produktionskosten hochtechnolo­gischer Produkte ergibt sich der Zwang zur Konzentration und Zentra­lisation des Kapitals. Für das bundes­deutsche Finanz- und Industriekapital und die nationale Regierung kommt es darauf an, frühzeitig Schlüsselpositio­nen innerhalb des europäischen Machtblocks zu sichern. Auf dem Weg zu einem führenden europäischen (Rüstungs-) Konzern bedeutet die öbernahme von MBB, MTU, AEG, Dornier durch den Daimler-Konzern die Sicherung wichtiger, national ver­fügbarer technologischer Ressourcen. Die Fusion mit MBB bedeutet für Daimler eine zusätzliche Möglichkeit, die riesigen Budgets der Bundesmini­sterien für Verteidigung, Wirtschaft, Forschung und Technologie für (eigene) Entwicklungsprojekte anzu­zapfen.

 

Der Hunger ist noch nicht gestillt. "Strategische Allianzen" versucht Daimler mit europäischen und außer­europäischen Beteiligungen zu errei­chen. Schlagzeilen machen vor allem die Sondierungsgespräche über Ko­operationsmöglichkeiten mit dem ja­panischen Mitsubishi-Konzern. Unter anderem dürfte es auch um den Be­reich Rüstungstechnik gehen, wo beide Gruppen in ihrem Heimatland die Spitzenposition einnehmen. 

 

Hoflieferant der Bundeswehr

Die Bundeswehrplanung für die Jahre 1984 bis 1995 sieht Beschaffungspro­gramme mit einem Gesamtvolumen von rund 212 Mrd. DM vor. Allein auf die Entwicklungskosten entfallen ca. 35 Mrd. DM. Davon wurden bis jetzt 160 Mrd. DM vergeben. Die "Deutsche Aerospace", die Rüstungs­abteilung (MBB, Dornier, Telefunken-System-Technik und  MTU) des in vier Abteilungen neugegliederten Daimler-Konzerns erhielt als Gene­ralunternehmer  davon 67 %. Be­trachtet mensch nur die unterneh­mensstrategisch entscheidenden Ent­wicklungskosten, so erreicht Daimler's Aerospace sogar einen Anteil von 77,6 % aller vom Rüstungsministerium für militärische Forschung und Entwick­lung vergebenen Mittel. 

 

Konversion ist möglich 

Die Umstellung der Rüstungsproduk­tionspalette des Daimler-Benz-Kon­zerns auf sozial nützliche und umwelt­verträgliche Güter ("Konversion") ist technisch - organisatorisch kein Pro­blem. Auch als größter deutscher Rü­stungskonzern beträgt der Umsatz an Rüstung und Rüstungsgütern "nur" etwa 10 - 15 % am Gesamtumsatz. Gleichzeitig verfügt Daimler über das technische Know-How und die not­wendigen finanziellen Reserven für eine Umstellung. Auch die Daimler-Manager wollen "Abrüstung" und "Konversion" und nennen dies "Substitution" - so der Chef der Aero­space, Jürgen Schrempp in einem zweistündigen Gespräch mit Vertre­tern der Kampagne "Produzieren für das Leben - Rüstungsexporte stoppen" im Juni 1990. Die DASA beabsichtige, den Rüstungsanteil in den nächsten Jahren von 59 % auf 25 % zu reduzie­ren. Andererseits wolle sich Daimlers DASA die Fähigkeit zur Systemführer­schaft bei komplexen Waffensystemen bewahren. Schrempp begründet dies mit der "verteidigungstechnischen Notwendigkeit" angesichts der "kollektiven Kriminalität". Daimler's "Konversion" beinhaltet lediglich eine "Diversifikation" - nämlich die Erwei­terung der Produktionspalette um profitbringende (Umwelt-) Güter. Denn die kapitalistische, undemokrati­sche Grundorientierung Daimlers bleibt erhalten.

 

Im Schatten des Sterns 

Die Schatten dieser Unternehmens­strategie trifft vor allem die Länder im südlichen Teil der Welt, die immer abhängiger von den Multis werden und in neue Verschuldungs-, Umwelt- und Hungerkatastrophen getrieben wer­den. Daimlers Hochtechnologiepro­jeke im Weltraum verhindert bezahl­bare öberlebenstechnologien in großen Teilen der Welt. Die Schatten sind auch bei uns sichtbar. Selbstverständ­lich ist es ein Fortschritt, wenn Rü­stungsproduktion verringert wird. Doch was ist es für ein Fort­schritt, wenn dafür Flugzeugprojekte entwic­kelt werden, mit denen wenige Men­schen von Frankfurt nach Tokio in drei Stunden fliegen können, gleich­zeitig aber viele Menschen große Prob­leme haben, mit öffentlichen Verkehrsmit­teln täglich zur Arbeit zu kommen? Wie unsere Zukunft ausse­hen soll, dürfen nicht Multi-Manager wie Reu­ter allein bestimmen. Sie sind überfor­dert, weil sie zu viel in den Weltraum und in die Bilanzen schauen und die Probleme der Welt aus den Augen verlieren.

 

Chancen für eine (Gegen-)bewegung

Trotz seiner (rüstungs-)wirtschaft­lichen Potenz ist Daimler-Benz nicht unangreifbar. Der Konzern muß - trotz seiner Umstrukturierung zum High-Tech-Konzern - auch in den nächsten Jahren noch über 60 % sei­ner Umsätze und Gewinne durch den Verkauf von Pkw's erzielen. Und ge­nau hier liegt seine Schwachstelle, denn der Konzern ist dabei auf die einzelnen Konsumenten angewiesen und hier spielt sein Image eine große Rolle. Da der Ruf eines Rüstungspro­duzenten und -exporteurs nicht gerade verkaufsfördernd ist, reagieren die Daimler-Manager mit aufwendigen Werbekampagnen, Sport- und Kultur­sponsoring, die ein positives (Selbst-)Bild vermitteln sollen. Hier hängt viel davon ab, ob es gelingt, die reale Poli­tik des Konzerns öffentlich zu machen. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Veröffentlichung eines alter­nativen Geschäftsberichtes zur Aktionärshauptversammlung des Daimler-Benz-Konzerns im Juli 1990 und die Reden kritischer Aktionäre. 

Durch den Fortfall des Ost-West-Konfliktes und dem zunehmenden Umweltbewußtsein wird es für die Bundesregierung immer schwieriger, Steuermilliarden in Rüstungsforschung und -produktion zu vergeuden, und damit den Daimler-Benz-Konzern zu subventionieren. Hier liegt eine Chance, durch Kampagnen wie "Kürzt den Rüstungsetat" und Aktionen wie die "Entrüstet-Daimler-Demonstra­tion" am 17. November in Stuttgart, den öffentlichen Druck für eine Um­verteilung der Finanzmittel in ökologi­sche und sozial sinnvolle Projekte durchzusetzen.

 

Politische Konversion ist nötig

Um eine starke Gegenstrategie und -bewegung gegen den Daimler-Benz-Konzern entwickeln zu können, müs­sen wir uns über folgende Fragen Klarheit verschaffen:

  1. Wie wollen wir leben? In unserer Stadt, Region, in unserem Land, auf der Welt? Im Aufruf zur "Entrüstet Daimler"-Demo heißt es dazu: "Wir wollen EINE WELT, in der alle Völker in freier Selbstbestimmung gut nachbarschaftlich ohne Rüstung zusammen leben können, in der kein Mensch verfolgt wird und Hunger leiden muß. Wir wollen Flüsse und Seen zum Baden, ge­sunde Luft zum Atmen und bezahl­bare Häuser und Wohnungen für alle." Diese Vision beeinhaltet de­mokratische, solidarische, friedens­politische, soziale und ökologogi­sche Aspekte und spricht für eine Zusammenarbeit von ôkologie-, Friedens-, Solidaritäts-, Gewerk­schafts- und Demokratiebewegung in der Aktion "Entrüstet Daimler". 
  2. Was brauchen wir dazu? Unter an­derem eine gerechte Weltwirt­schaftsordnung, humane Arbeits- und Produktionsbedingungen, eine demokratische Beteiligung der Ge­werkschaften, Kommunen, Konsu­mentInnen über das "Was" und "Wie" einer Umstellung der Rü­stungsproduktion. Dies erfordert u. a. die Einrichtung von lokalen, re­gionalen und globalen"runden Ti­schen" unter Beteiligung der Be­troffenen. Gleichzeitig müssen die Gewerkschaften wieder die in den vergangenen Jahren kaum noch ge­stellte Frage nach demokratischer Mitbestimmung über das "Was" und "Wie" der Produktion in den Mittel­punkt ihrer Forderungen stellen.
  3. Was können wir tun? - Die Kampa­gne "Produzieren für das Leben - Rüstungsexporte stoppen" hat dazu Materialien herausgegeben (s. Lite­raturliste). Auf Anfrage sind Mit­glieder der Kampagne bereit, Semi­nare durchzuführen. Eine Referen­tInnenliste kann über das Büro der Kampagne angefordert werden. Von Vorteil ist, daß Daimler-Benz oder eine seiner "Töchter" überall in der BRD durch militärische oder zievle Produktionsstätten oder zu­mindestens durch Vertragshändler präsent sind. Will eine Gruppe da­bei mit den Beschäftigten ins Ge­spräch kommen, sollte der Kontakt über die IG Metall, den Betriebsrat oder die Betriebsseelsorge gesucht werden.

Sinnvoll ist es, auch die Kooperation mit Gruppen von Oppositionellen und Flüchtlingen zu suchen, die aus Staa­ten stammen, in die Daimler-Benz Rü­stungsgüter exportiert. Eine derartige Zusammenarbeit ruft uns immer wie­der ins Gedächtnis, welche Folgen die Rüstungsexportpolitik des Konzerns für die direkt betroffenen Menschen nach sich zieht.

Eine meist unterschätzte Möglichkeit, die öffentliche Diskussion über die Geschäftspolitik des Konzerns anzure­gen, ist das Schreiben von LeserInnen­briefen. Und last, but not least: zen­trale Demonstrationen und gewaltfreie Aktionen (des zivilen Ungehorsams). Hier stehen wir noch am Anfang. Ein erster Höhepunkt ist die Demonstra­tion unter dem Motto "Entrüstet Daimler" am 17. November in Stutt­gart.

Beginn: 11.30 Uhr Ecke Türlen­str./Heilbronnerstr., Schlußkundge­bung um 13.00 auf den Schloßplatz.

(1) Dokumentation zur Aktion "Entrüstet Daimler" am 4. Juli 1990 

(2) DIE ZEIT, 12/90

 

Literaturhinweise:

  • Tatort Stuttgart. Rüstungsriese Daimler-Benz, 1989, 36 S., 4,-- DM
  • ...und morgen die ganze Welt. Daimler-Benz - Ein Rüstungskon­zern auf dem Weg ins 21. Jahrhun­dert, 1990, 260 S., 16,80 DM
  • Alternativer Geschäftsbericht zur Daimler-Benz Hauptversammlung 1990, 2,00 DM
  • Pressedokumentation zur Daimler-Benz-Hauptversammlung 1990 mit den Redebeiträgen der kritischen Aktionäre incl. Alternativer Ge­schäftsbericht., 5,00 DM
  • Aufrufe, Plakate zur "Entrüstet-Daimler-Demo" Bestellungen über folgende Adressen: Büro der Kam­pagne, Bahnhofstr. 18, 6270 Idstein, (06126 - 53118) oder bei OHNE RÜSTUNG LEBEN, Furtbachstr. 10, 7000 Stuttgart 1, (0711 - 640 9 620)

Paul Russmann ist Referent für Frie­densfragen bei der Aktion OHNE RÜSTUNG LEBEN, Stutt­gart.

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