Wir werden nicht Ruhe geben solange der Atomtod die Menschheit bedroht

Entwicklungen in der deutsche Anti-Atomwaffen-Bewegung

Eine riesige Hand, den Daumen nach unten gestreckt, symbolisiert das Veto der USA zum Atomteststopp. Straßentheater 1990 vor dem EUCOM in Stuttgart. Unterschriftenlisten für den Atomteststopp füllen Blatt um Blatt eine Waagschale. Das Gegengewicht bringt langsam über einen Mechanismus die Hand zum Drehen. Der Daumen weist nach oben: Aus der Veto-Hand wird eine Zustimmungshand.

Dieses Ziel wird 1996 erreicht. US-Präsident Bill Clinton setzt als erstes seine Unterschrift unter den vollständigen Atomteststopp-Vertrag (CTBT). Das Straßentheaterstück der Atomteststopp-Kampagne stellt einen wichtigen Aspekt bildlich dar, der angesichts der immer noch vorhandenen 30.000 Atomwaffen leicht aus dem Blickfeld gerät: die Regierungschefs der Atomwaffenstaaten waren buchstäblich von Tausenden, ja Hunderttausenden Menschen fast an den Verhandlungstisch "gezerrt" worden.

Seit es Atomwaffen gibt, gibt es auch Widerstand gegen diese schlimmste aller Massenvernichtungswaffen. Sie sind eines der Dauerthemen der Friedensbewegung nach dem 2. Weltkrieg. Aber das zentrale Thema waren sie nur wenige Jahre. Der NATO-Doppelbeschluss von 1979 brachte alle Engagierten unter dem Minimalkonsens "Keine neue Atomraketen" zusammen. Er führte zunächst zu Massendemonstrationen in bisher nicht bekanntem Ausmaß: 1983 im Oktober waren am Tag der Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu Ulm bundesweit über 1,3 Millionen Menschen auf der Straße.

Aus der Friedensbewegung gegen die Pershing 2 entwickelten sich in Deutschland neue Formen der politischen Aktionen.

Kampagne Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung
Die Sitzblockade wurde das zentrale Aktionselement nach der Stationierung der Pershing II. Kernpunkt war die Kampagne Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung. Nur rund 500 Personen unterzeichneten die Selbstverpflichtung zur jährlichen Blockadeteilnahme. Aber mehr machten mit. 3.000 Festnahmen in Mutlangen lösten eine unübersehbare Prozesslawine aus, die mehrfach bis zum Bundesverfassungsgericht führte. Dort konnte 1995 im zweiten Anlauf ein Erfolg verbucht werden. Die Verurteilungen wegen Nötigung wurden aufgehoben, allerdings waren da bereits der INF-Vertrag unterzeichnet und die Atomraketen abgezogen.

In der Kernfrage der Atomwaffen blieb der Erfolg jedoch vor dem höchsten Gericht versagt. Das Verfassungsgericht hatte in den 80er Jahren keine Bedenken, Atomwaffen und die Politik der nuklearen Abschreckung für verfassungskonform zu erklären. In den Entscheidungen zu den Blockaden wurde auf die Rechtfertigungsgründe mit keinem Wort eingegangen.

Wendepunkt: INF-Vertrag
1987 unterzeichneten der sowjetische Generalsekretär Michail Gorbatschow und US-Präsident Ronald Reagan den INF-Vertrag. Sie vereinbarten die Beseitigung aller atomaren Mittelstreckenwaffen (»Intermediate-Range Nuclear Forces = INF«) der beiden Supermächte innerhalb von drei Jahren. Zum ersten Mal gelang die vollständige beidseitige Abschaffung einer ganzen Waffenkategorie und damit echte Abrüstung. Und in seiner Folge endete der Kalte Krieg, und die Mauer zwischen Ost und West fiel.

Mit der Unterzeichnung des INF-Vertrages hatte die Kampagne "Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung" ihr Ziel erreicht, und die Blockadeaktionen in Mutlangen wurden eingestellt. Jetzt stellte sich die Frage: Wie weiter? Verschiedene Aktive entwickelten unterschiedliche Zielvorstellungen und Aktionsformen.

EUCOMmunity
Der Stuttgarter Friedensforscher und gewaltfreie Aktivist Wolfgang Sternstein wollte als nächsten Schritt den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland erreichen. Er wählte die US-Kommandozentrale EUCOM als Aktionsort. Mit Entzäunungsaktionen sollte das Fernziel des Abzugs des EUCOMs aus Deutschland und Europa sichtbar gemacht werden als "symbolische Landnahme für den Frieden". Am Amtsgericht und Landgericht Stuttgart kam es zu Prozesswellen wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung.

Amtsgericht Stuttgart erkennt erstmals Rechtfertigungsgründe an
Der Stuttgarter Amtsrichter Wolff war als erster offen für die inhaltliche Argumentation der beschuldigten Friedensaktivisten. Er legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Völkerrechtswidrigkeit von Atomwaffen vor. Der Vorlagebeschluss wurde jedoch zurückgewiesen, wegen Formfehler. Nun sprach Richter Wolff ohne Rückdeckung die Angeklagten frei. Doch die Verurteilung durch das Landgericht folgte.

Atomteststopp-Kampagne
Uwe Painke, ein Friedensarbeiter aus der Pressehütte Mutlangen, kam in seiner Analyse zu dem Ergebnis, das nächste Ziel sei ein Stopp der Neuentwicklung von Atomwaffen. Dies sei zu verhindern durch ein Ende der Atomtests. Die nukleare Verseuchung der Umwelt ermögliche die Zusammenarbeit mit Umweltgruppen. Den regelmäßigen unterirdischen Atomtests sollten "Friedenstests" in Form gewaltfreier Blockaden vor Militärstützpunkten der jeweiligen Atommacht folgen. Das gleiche Ziel verfolgte die Aktion "Fasten für den Atomteststopp" aus dem Carl-Kabat-Haus in Mutlangen. Kontakte entstanden zu Gruppen an den Atomtestgeländen in der Wüste von Nevada und nach Kasachstan. Die deutschen Aktivisten wurden Teil der internationalen Bewegung und beteiligten sich an den Aktionen vor und im Atomtestgelände von Nevada. In Deutschland verlegte die Atomteststopp-Kampagne ihre Aktionsorte auch vor die Botschaften der Atommächte und suchte das Gespräch. Lobbyarbeit und gewaltfreie Aktion wurden verknüpft. Auch die Genfer Abrüstungskonferenz wurde zum Aktionsziel.

Mit der Unterzeichnung des CTBT hatte die Atomteststopp-Kampange ihr Ziel erreicht. Die gewaltfreien Aktivisten gründeten nun die GAAA.

Gewaltfreie Aktion Atomwaffen Abschaffen
Fokus wurde nun die Beendigung der nuklearen Teilhabe der Bundesrepublik Deutschland, Aktionsort der Fliegerhorst Büchel, auf dem Tornados der Bundeswehr stationiert sind, die mit US-Atomwaffen bestückt werden können.

Das Selbstverständnis wandelte sich: Ziviler Ungehorsam wurde nicht mehr allein mit übergeordneten moralischen Geboten begründet, sondern verstärkt wurde mit den bestehenden Artikeln des Grundgesetzes und Bestimmungen des Völkerrechts argumentiert, weil inzwischen der Internationale Gerichtshof in seinem Gutachten von 1996 die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen und den Einsatz von Atomwaffen für generell völkerrechtswidrig erklärt hatte.

Zivile Inspektionen
12 mal seit ihrem Bestehen kletterten Gruppen in Büchel über den Zaun. Dies führte zu bisher insgesamt 24 Verhandlungen, die allesamt zu Verurteilungen wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch führten. Die Versuche von Verurteilten, aufgrund des Rechtsgutachtens des Internationalen Gerichtshofes eine Revision der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu Atomwaffen zu erreichen, blieben jedoch ohne Erfolg. Ihre Verfassungsbeschwerden wurden nicht angenommen.

Öffentliche Aufforderung
Um Menschen, die nicht nach Büchel kommen können, die Möglichkeit zur Unterstützung der gewaltfreien Aktionen zu geben, wurde öffentlich zu den Inspektionen aufgerufen. Auch Aufrufer wurden in die Strafverfolgung einbezogen. Hart traf es den Koordinator der GAAA, Roland Blach, dessen Computer als Tatwerkzeug beschlagnahmt wurde.

Aufruf zur Befehlsverweigerung
Hermann Theisen wollte erreichen, dass die Juristen nicht über die Rechtfertigungsgründe von Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch befinden müssen, sondern sich mit der Kernfrage der Rechtmäßigkeit der Atomwaffen.befassen. Er schrieb und verteilte mit anderen ein Flugblatt, das die Bundeswehrsoldaten in Büchel zum Ungehorsam gegen Befehle im Rahmen der völkerrechtswidrigen nuklearen Teilhabe auffordert.

Die Flugblätter wurden beschlagnahmt, die Verteiler zu ungewöhnlich hohen Strafen verurteilt. Das Amtsgericht in Cochem verweigerte sich auch bei dieser Aktion der Auseinandersetzung mit dem Völkerrecht. Vor und nach der Verhandlung im November 2004 wurden weitere Aufrufe verteilt. Die Aktion und die rechtliche Auseinandersetzung gehen weiter.

Einsatz für eine Nuklearwaffenkonvention
Mitglieder der GAAA beteiligen sich an der Lobbyarbeit für ein Verbot der Atomwaffen durch eine Nuklearwaffenkonvention. Sie wollen weiter ihre Stimme und ihr Tun in die Waagschale legen. Denn auch heute ist der Daumen nach unten gestreckt. Die Bush-Administration will neue Atomwaffen entwickeln, statt ihrer Abrüstungsverpflichtung aus dem Atomwaffensperrvertrag nachzukommen. Damit der schwergängige Mechanismus wieder in Gang kommt und die 2020-Vision der Bürgermeister für den Frieden verwirklicht wird, bedarf es noch einiger Anstrengung. Es scheint zunächst vermessen und aussichtslos. Aber erinnern wir uns daran, der epochale INF-Vertrag wurde von Reagan unterzeichnet, wahrlich keinem progressiven US-Präsidenten.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt