Internationale Kriegsdienstverweigerung

Entwicklungen in zwei Beispielländern

von Rudi Friedrich
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Letztes Jahr gab es hoffnungsvolle Nachrichten zum Thema internationale Kriegsdienstverweigerung.
In der Türkischen Republik Nordzypern, dem Norden Zyperns, der seit 1974 von der Türkei besetzt ist, hatte ein Reservist den Kriegsdienst verweigert und sich geweigert, eine gegen ihn verhängte Geldstrafe zu zahlen. Er ging ins Gefängnis und löste damit eine Diskussion über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus. Ein Gesetzentwurf wurde in das Parlament eingebracht und der Kriegsdienstverweigerer Halil Karapaşaoğlu nach drei Tagen Haft entlassen. Er erklärte zum Gesetzentwurf: „Wir leisten in vielen Bereichen Widerstand. Deswegen mussten sie an einem Punkt nachgeben.“

In Südkorea sind über Jahrzehnte hinweg Kriegsdienstverweigerer zu jeweils 18 Monaten Haft verurteilt worden. Nach jahrelanger Kampagne der Organisation World Without War gab es 2018 einen Durchbruch. Sowohl das Verfassungsgericht wie auch der Oberste Gerichtshof des Landes urteilten im Juni bzw. November 2018 in Grundsatzentscheidungen, dass die bis dahin bestehende Strafverfolgung von Kriegsdienstverweigerern Unrecht sei. Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen sei ein „berechtigter Grund“, so der Oberste Gerichtshof am 1. November 2018, der Einberufung nicht zu folgen. Die Regierung wurde aufgefordert, bis Ende 2019 ein entsprechendes Gesetz zu verabschieden.

Soweit die Nachrichten, die Hoffnung schöpfen ließen. Und was ist daraus geworden? Für Nordzypern hatte Halil Karapaşaoğlu zu dem vorgelegten Gesetzentwurf schon erhebliche Bedenken angemerkt: „Das große Problem ist, dass ein ziviler Dienst in der Armee vorgesehen wird. Das ist für uns unannehmbar.“ Aber es kam gar nicht soweit. Nach einem Regierungswechsel ist der Gesetzentwurf in den Schubladen verschwunden. In Südkorea wurde zwar Ende 2019 ein Gesetz verabschiedet. Dies ist jedoch extrem restriktiv, mit doppelter Länge eines Ersatzdienstes, der in den Strafanstalten des Landes abzuleisten ist. Das Militär soll weiter die Kontrolle ausüben und über die Anträge entscheiden. Amnesty International erklärte dazu: „Mit 36 Monaten wird der südkoreanische Alternativdienst der längste in der Welt sein. Dieser heuchlerische Schachzug reicht nicht aus, um die Menschenrechtsverletzungen zu beenden, denen sich die Kriegsdienstverweigerer ausgesetzt sehen. Sie werden in der Tat weiter als Kriminelle behandelt.“

In beiden Ländern ist offensichtlich, dass das Militär, und mit ihm die jeweilige Regierung, keineswegs daran denkt, überhaupt eine Alternative zum Militärdienst zuzulassen. Und wenn selbst das Oberste Gericht die Regierung in die Schranken weist, so werden die Regelungen so gehalten, dass das Militär die Kontrolle und Entscheidungsbefugnis über die Kriegsdienstverweigerer behält. Über allem steht die Absicht, eine in die Gesellschaft hineinreichende Militarisierung unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Jedes Zurückweichen von der Norm, dass Wehrpflichtige ihren Dienst unter dem Diktat des Militärs zu erfüllen haben, birgt für das Militär und die Regierungen offensichtlich die Gefahr, dass das Militär grundsätzlich in Frage gestellt wird.

So unerfreulich das ist, es wäre auch ein Hebel, um die Rolle des Militärs in einer Gesellschaft ernsthaft grundlegend zu diskutieren. Allerdings ist dies mit erheblichen Risiken für die Kriegsdienstverweigerer verbunden. Und viele Kriegsdienstverweigerer lehnen mit ihrer individuellen Entscheidung zwar die Ableistung eines Militärdienstes ab, verstehen dies aber nicht unbedingt als Kampfansage an den Militarismus im Land.

Internationale Solidarität und Zusammenarbeit
In vielen Ländern werden Kriegsdienstverweiger*innen nach wie vor zum Militär rekrutiert, strafrechtlich verfolgt, gefoltert oder drangsaliert. Die Türkei weigert sich seit Jahren, den Aufforderungen des Europarates nachzukommen und ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu installieren. Eritrea rekrutiert Frauen wie Männer zu einem unbefristeten Militär- und Nationaldienst und hält einige der Kriegsdienstverweiger*innen seit über 25 Jahren in Haft. In Turkmenistan und Singapur sind Verweigerer über Jahre hinweg in Haft. Erhebliche Probleme gibt es weiter in Ländern wie Russland, Aserbaidschan, Ukraine, Armenien, Thailand, Kolumbien, Griechenland, Finnland, Ägypten oder auch der Schweiz. Immer wieder hilft hier auch internationale Solidarität und Unterstützung, in Einzelfällen, aber auch bezüglich der Entwicklung allgemeiner Regelungen. Wenn es gelingt, im Verbund mit aktiven Gruppen und Organisationen im jeweiligen Land eine langfristige Unterstützung aufzubauen, können positive Entwicklungen angestoßen werden.

Ein alljährlicher Anlass, um hier aktiv zu werden, könnte der Internationale Tag der Kriegsdienstverweigerung am 15. Mai sein. Er existiert seit fast 40 Jahren. Weltweit beziehen sich Gruppen in ihrer Arbeit zur Kriegsdienstverweigerung darauf. Veranstaltungen, Mahnwachen, Demonstrationen, Aktionen, Seminare, Kampagnen und vieles andere mehr finden gleichzeitig auf internationaler Ebene statt, häufig in Solidarität mit inhaftierten Verweigerern. Es ist ein Tag, an dem ersichtlich wird, dass die Frage der Kriegsdienstverweigerung keine nationale, sondern eine internationale Frage ist und dass in der Vernetzung der Gruppen auf internationaler Ebene eine besondere Stärke der Kriegsdienstverweigerungsbewegung liegt.

Mehr Infos zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung 2020 unter www.Connection-eV.org/article-2978

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