Erfolge, Probleme und Herausforderungen der humanitären Rüstungskontrolle

von Thomas Küchenmeister

Nichtregierungsorganisationen haben nachweislich seit mehr als 100 Jahren internationale Politik beeinflusst. Dabei hat ihre Bedeutung auf internationaler Bühne, besonders in den Bereichen Abrüstung und Rüstungskontrolle, erst in den vergangenen 20 Jahren zugenommen.

Sowohl die Internationale Kampagne zum Verbot von Antipersonenminen (ICBL), als auch die Cluster Munition Coalition (CMC), also die internationale Kampagne zum Verbot von Streumunition, haben jeweils gerade einmal fünf Jahre benötigt, um ein Verbot dieser Waffen zu erwirken. Bedenkt man, dass in beiden Fällen letztendlich sogar weniger als zwei Jahre über das Verbot  verhandelt wurde, bedeutet dies – im Vergleich zu  klassischen Abrüstungs- und Rüstungskontrollprozessen - nahezu Lichtgeschwindigkeit. Das Aktionsbündnis Landmine.de, in dem 17 namhafte deutsche Nichtregierungsorganisationen (z. B. Brot für die Welt , Medico International, Kindernothilfe, Terre des hommes, Handicap International und Caritas) zusammengeschlossen sind, hat beide Kampagnen nachhaltig geprägt. Medico (ICBL) und Handicap (ICBL & CMC) gehören sogar zu deren Gründungs-organisationen.

Würdigung der Zivilgesellschaft
Vielleicht wegen ihrer rasanten und zielstrebigen Vorgehensweise wurde die ICBL einmal von Kofi Annan als „erfolgreichste Bürgerbewegung der Welt“ bezeichnet, die dann 1997 für ihre Verdienste auch mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde. Der Verbotsprozess von Anti-Personenminen wurde vom damaligen norwegischen Nobelpreiskomitee sogar als modellhaft für eine „neue und aktive Friedenspolitik“ bzw. für multilaterale Problemlösungen beschrieben, was mit dem Prozess zum Verbot von Streumunition eindruckvoll Bestätigung fand.

Auch der Deutsche Bundestag würdigte die außerordentlichen Verdienste der Zivilgesellschaft beim Zustandekommen des Verbotes von Streumunition. Es sei hier besonders an die großen Widerstände seitens der Bundesregierung erinnert, die in Kooperation von Abgeordneten dabei letztendlich erfolgreich überwunden wurden. Die CMC erhielt auch den renommierten „Internationalen Tipperary Friedenspreis“ 2008, den zuvor schon Nelson Mandela oder Michail Gorbatschow erhielten.

Das Modellhafte bzw. der Erfolg der Verbotsprozesse für Antipersonenminen und Streumunition sollte jedoch nicht ausschließlich an öffentlichen Belobigungen und Auszeichnungen gemessen werden.

Dennoch ist mit beiden Verbotsprozessen Bemerkenswertes verbunden: In beiden Fällen wurde erstmals ein Verbot einer kompletten Waffenkategorie aufgrund öffentlichen Drucks beschlossen, was auch bedeutet, es wurde Völkerrecht unter erheblichem Einfluss von Nichtregierungsorganisationen geschrieben. Und in beiden Fällen konnte erstmals ein Rüstungskontrollabkommen um humanitäre Verpflichtungen erweitert werden, was bislang einmalig ist und für die NROs von herausragender Bedeutung war. Hilfreich war sicherlich zudem die größtenteils funktionierende Kooperation zwischen engagierten Regierungen und einer kritischen Öffentlichkeit. Positiv war auch, dass es im Falle der Ächtung von Minen gelang, sogar Non-State-Actors, also z.B. Rebellengruppen, einzubinden.

Bis heute sind fast 160 Länder dem Minenverbot beigetreten. Nur noch wenige Länder produzieren und verwenden gegenwärtig Antipersonenminen, und der Handel mit ihnen ist nahezu zum Erliegen gekommen. Die Zahl der gemeldeten Minenunfälle pro Jahr ging zuletzt deutlich zurück.

Das Ziel ist noch nicht erreicht
All dies ist sicher ein Erfolg, der jedoch keinen Anlass für allzu übertriebenen Optimismus geben sollte. Viele Staaten - Minenhersteller wie Minenanwender, wie die USA, Russland, China, Pakistan, Indien oder Myanmar - haben das Abkommen noch nicht unterzeichnet. Und Staaten, die dem Abkommen beigetreten sind, verstoßen gegen deren Vorschriften, z.B. die Türkei und Griechenland, was ohne Folgen bleibt, da Sanktionen nicht vorgesehen sind. Zudem sind bestimmte Antifahrzeugminen immer noch nicht verboten. Und auch die Zahl der Länder, die mehr oder weniger mit allen Arten von explosiven Kriegshinterlassenschaften belastet sind, liegt mit 90 Staaten nach wie vor sehr hoch.

Positiv ist der Verbotsvertrag für Streumunition zu werten, da er neue, noch umfassendere humanitäre Standards in Bezug auf Opferhilfe, Räumverpflichtungen und Unterstützung der betroffenen Länder setzt. Er lässt aber auch Raum für neue Waffengenerationen und den gemeinsamen Einsatz von Streumunition mit Nichtvertragsstaaten, was ihn eindeutig vom Minenverbotsvertrag unterscheidet und damit eindeutig eine Grauzone darstellt. Vergleichbar dem Minenverbot halten sich die großen Anwender- und Herstellerstaaten dem Streumunitionsverbot noch fern.

Dennoch ist es natürlich als Fortschritt gegenüber dem Stillstand der klassischen Rüstungskontrolle zu bezeichnen, dass sich über 100 Staaten schnell auf einen Vertragstext geeinigt haben, der ein umfassendes Verbot derjenigen Streumunitionstypen festschreibt, die bislang zum Einsatz gekommen sind und dabei große humanitäre Probleme verursacht haben. Allein die Bundeswehr z.B. wird über 50 Mio. Streumunitionen zerstören müssen.

Auch Nicht-Unterzeichner werden beeinflusst
Die abschließende Bewertung, ob beide Abrüstungsverträge als erfolgreich gelten können, wird u. a. davon abhängen, wie sich die jeweiligen großen Produzenten- oder Anwenderstaaten verhalten, die die Verbote unterzeichnen. Wird die mit den Verboten verbundene Stigmatisierung ausreichen, den Einsatz und die Herstellung dieser Waffen zumindest einzudämmen oder Staaten zu einem freiwilligen Verzicht zu bewegen?

Ausgeschlossen ist dies nicht, denn zum Beispiel die USA, die ja bekanntlich das Minenverbot nicht unterzeichnet haben, verzichten seit 1999 auf die Produktion von Antipersonenminen und der letzte nachgewiesene Einsatz liegt fast 20 Jahre zurück. D. h. auch, dass die Ottawa-Konvention mehr Wirkung erzielt hat, als dies die VN-Waffenkonvention bislang tat. Und auch die große, von der Zivilgesellschaft artikulierte Empörung, mit der die Weltöffentlichkeit auf die massenhaften Einsätze von Streumunition im Libanon- und im Kaukasuskrieg regiert hat, stimmt zuversichtlich, dass es gelingen wird, auch in Falle der Streumunition die Nichtvertragsstaaten zukünftig von einem Einsatz abzuhalten. In den zurückliegenden fünf Jahren zumindest hat die Anzahl und Intensität der Verwendung von Streumunition durch die USA und Russland deutlich nachgelassen.

Zusammenfassend lässt sich zumindest sagen, dass beide Kampagnen erfolgreich politische Prozesse in Gang gesetzt und die öffentliche Diskussion als Anwalt oder auch als „Wachhund“ zu Gunsten Not leidender Menschen nachhaltig beeinflusst haben. Mehr noch – sie haben große Teile der internationalen Staatengemeinschaft überzeugt, dass Abrüstungs- und Rüstungskontrollregime ohne begleitende politische und soziale Maßnahmen keine angemessene Antwort mehr auf die von Waffensystemen ausgelösten humanitären Katastrophen darstellen können. Dieser Erfolg ist richtungweisend, trotz der verbleibenden Herausforderungen.

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Thomas Küchenmeister (52) ist Diplom-Politologe, Journalist und Autor und seit 1998 Leiter des Aktionsbündnisses Landmine.de. Er lebt in Berlin.