Putin-Kritik nicht mehr verfassungsfeindlich

Erfolgreicher Widerstand gegen Stigmatisierung durch Verfassungsschutz

von Antimilitaristische Aktion Berlin (AMAB)

Die Antimilitaristische Aktion Berlin steht nicht mehr im aktuellen Verfassungsschutzbericht des Landes Berlin. Die Gruppe positioniert sich seit Februar 2022 mit kreativen Aktionen konsequent gegen den russischen Angriffskrieg. Ausgerechnet diese Aktionen galten dem Geheimdienst als Gefahr für die Demokratie. Die Gruppe wehrte sich dagegen mit einer gelungenen Öffentlichkeitsarbeit. „Geheime hassen Öffentlichkeit“, sagt Jan Hansen, Sprecher*in der Antimilitaristischen Aktion Berlin.

März 2022: Bereits in der ersten Kriegswoche protestierte die Antimilitaristische Aktion mit einem symbolischen Pipeline-Sägen vor der GAZPROM-Zentrale. Auf Bannern und Schildern zeigten die Aktivist*innen ein verändertes Gazprom-Logo mit Rakete statt Feuerzeug. Auch Anwohner*innen platzierten die Poster in ihren Fenstern. Außerdem zersägten als Bauarbeiter*innen verkleidete Aktivist*innen symbolisch eine Papp-Pipeline. „Statt weiter aufzurüsten, müssen wir die Geldströme nach Russland stoppen, weil damit der Krieg in der Ukraine finanziert wird“, schrieb die Antimilitaristische Aktion Berlin damals.

Im Oktober 2022 verbreiteten Gruppen der Friedensbewegung auf Kundgebungen anlässlich eines Aktionstages Täter-Opfer-Umkehrungen zum russischen Angriffskrieg. Deswegen beschloss Amab, ein starkes Signal zu senden: Die Aktiven bastelten symbolische Leichensäcke und verteilten diese rund um die Russische Botschaft in Berlin und rief die Angestellten der russischen Botschaft dazu auf, „alles zu tun, damit ihre Regierung den Krieg beendet und ihre Armee aus der Ukraine abzieht“.

Berliner Geheimdienst überwacht Putin-Gegner*innen

Ausgerechnet das Landesamt für Verfassungsschutz gruselte sich vor den Aktionen. Im sogenannten Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 rührt der Geheimdienst auf Seite 22 die Protestaktionen der Antimilitaristischen Aktion mit allem möglichen anderen zusammen: „Vereinzelt kam es zu Protestaktionen vor und zu Sachbeschädigungen an russischen Einrichtungen bzw. Unternehmen. So wurde im Februar die Konzernzentrale von „Gazprom“ wiederholt angegriffen. Im Oktober gab es zwei Sachbeschädigungen (Ablage von vermeintlichen Leichensäcken und Farbbeutelwürfen) vor bzw. an der Botschaft der Russischen Föderation.“

Doch die Antimilitaristische Aktion ließ sich das nicht gefallen. Mit Medienarbeit, einer Kundgebung und einer Protest-Schild-Aktion protestierte die Gruppe. Die Abgeordneten Niklas Schrader (Linke) und June Tomiak (Grüne) griffen das Thema auf. Eine parlamentarische Anfrage und Diskussionen auf zwei Sitzungen des Geheimdienstausschusses im Abgeordnetenhaus waren die Folge.

Berlin, 29. August 2023: Im Geheimdienst-Ausschuss im Abgeordnetenhaus sprechen Innensenatorin Iris Spranger und Geheimdienstboss Michael Fischer (SPD). Draußen protestiert die Antimilitaristische Aktion Berlin mit großen Schildern. Die Aufschrift lautet: „Warum beobachtet der Geheimdienst Putin-Gegner*innen?“ Im Ausschuss stellt der Abgeordnete Niklas Schrader (Linke) genau diese Frage. Bisher sprach Geheimdienst-Boss Fischer frei. Nun kramt er in seinem Aktenordner. Es ist die einzige Frage, für die er einen Zettel vorbereitet hat: Auch nach seiner persönlichen Auffassung seien die Aktionen gegen den russischen Angriffskrieg nicht verfassungsfeindlich. Den eigentlichen Grund für die Beobachtung könne er jedoch nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit im ganz geheimen Geheimraum nennen. „Der Geheimdienst-Boss wand sich geradezu peinlich aus der politischen Verantwortung“ findet Jan Hansen.

Die Strategie von Geheimdienstboss Fischer ging leider auf: „In Gesprächen mit mehreren Journalist*innen stellte sich heraus, dass sie nicht glauben können, dass Putin-Trolle und AfD-Anhänger*innen im Geheimdienst sich über putinkritische Aktionen ärgern und Aktivist*innen willkürlich abstrafen“ sagt Jan Hansen. Aus der Befürchtung, dass der Geheimdienst schlimme „geheime Informationen“ über die Aktivist*innen haben könnte, unterblieb eine Berichterstattung.

Trotz Überwachung im Bundestag?

Berlin, Oktober 2023, abends im Bundestag. Eine Podiumsdiskussion der Grünen. Am Rande steht eine kleine Gruppe junger Menschen gut gelaunt mit Häppchen und „Schampanja“, wie sie sagen. „Na, das war einfacher als gedacht, sich hier einzuschleichen!“ albern sie. Mitglieder der Antimilitaristischen Aktion Berlin haben sich im Bundestag zu einer Veranstaltung angemeldet und überprüfen lassen. Alle wurden hineingelassen. „Dass der Verfassungsschutz mit dem Spiel durchkommt, sein Fehlverhalten unter Berufung auf angebliche geheime Informationen zu legitimieren, liegt auch daran, dass der Geheimdienst nicht oft genug den kritischen Blick der Öffentlichkeit erfährt“, findet der Sprecher der Antimilitaristischen Aktion Berlin. „Doch unser Vorgehen zeigt, dass man sich gegen den Geheimdienst erfolgreich zur Wehr setzen kann – und das, obwohl die ‚öffentliche Kontrolle’ des Geheimdienstes alles andere als gut funktioniert“, sagt Hansen.

Die Antimilitaristische Aktionsgruppe in Berlin veröffentlicht anonym.

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