Erfolgsmodell Kerala

von Gerhard Klas

Der indische Bundesstaat könnte ein Beispiel für sozialen Fortschritt in einem Entwicklungsland sein – wenn nicht Indiens Zentralregierung und die durch ihre Politik bedingten Einflüsse der Globalisierung wären

Trotz eines langsamen Wirtschaftswachstums in Kerala ist der Bundesstaat in wichtigen Sektoren außerordentlich erfolgreich: bei der Alphabetisierung, der Lebenserwartung und den Sterblichkeitsraten. Die indische Regierung sollte versuchen, diesem Experiment aus Kerala nachzueifern«, meint Amartya Sen. Der indische Wirtschaftswissenschaftler erhielt 1998 den Nobelpreis in seiner Disziplin und verfolgt die Entwicklung in Kerala seit den 60er Jahren.

Kerala ist der Bundesstaat am südwestlichen Ende des indischen Subkontinents. 32 Millionen Menschen leben dort. Rote Fahnen der regierenden Linksfront säumen viele Straßen der Hauptstadt Tiruvananthapuram. Bettelnde Krüppel, Alte, Mütter und Straßenkinder, die an den Kreuzungen in den Großstädten der anderen 27 Bundesstaaten ein alltäglicher Anblick sind, sieht man dort selten.

Grundlage der politischen Willensbildung in Kerala ist das, was Sen die »öffentliche Ak­tion« nennt. Es ist das Zusammenspiel zwischen so­zialer Bewegung, Parteien, Gewerkschaften, Kooperativen und der Wissenschaft.

Vorbildliches Schulwesen
An der Nemom-Grundschule im gleichnamigen Vorort Tiruvananthapurams findet ein Projekttag statt. Rund um den Schulhof reihen sich einstöckige Schulgebäude. Die Fenster sind nicht verglast, denn es ist nie kalt in Kerala. In einer Küche wird das kostenlose Mittagessen für die Schülerinnen und Schüler vorbereitet.

Ausgerichtet hat den Projekttag die Bewegung der Kerala Sastra Sahitya Parishad, kurz KSSP, und zwar in allen Schulen Keralas. Mit 40000 Mitgliedern ist die KSSP die größte nichtgewerkschaftliche Bewegung in Kerala. Ihre Mitglieder engagieren sich ehrenamtlich für gesundheits-, umwelt-, sozial- und vor allem bildungspolitische Themen. »Wir können die Regierungspolitik beeinflussen, denn all die Programme und Modelle, die wir in den vergangenen Jahren entwickelten, haben den Armen sehr geholfen und ihre Lebensbedingungen verbessert«, so Harilal Vasuderan, Distriktsekretär der KSSP in Tiruvananthapuram.

Derzeit arbeitet die Organisation an einer Reform des Bildungswesens. Von der ersten bis zur achten Klasse werden alle Kinder an einer Schule unterrichtet. Mehr als 80 Prozent von ihnen besuchen noch die High School bis zur zehnten Klasse. Ein Viertel, etwa 200000 pro Jahrgang, geht dann in die weiterführende High School, und viele studieren anschließend an einer der neun Universitäten oder einer Fachhochschule des Bundesstaates. Die staatlichen und vom Staat unterstützten Bildungseinrichtungen sind gebührenfrei. Schon in den 70er Jahren war es – auch dank der KSSP – gelungen, in Kerala einhundert Prozent aller Kinder einzuschulen.

Am Projekttag geht es nicht um die klassischen Lehrstoffe wie Rechnen, Lesen, Englisch, sondern die KSSP will, daß die Schülerinnen und Schüler ihr Umfeld beobachten und dadurch Erkenntnis und Wissen erlangen – ohne Leistungsdruck und Noten. Etwa 40 Schüler der siebten Klasse sitzen an einfachen Pulten und Schemeln in einem Raum der Nemom-Schule. Am heutigen Projekttag geht es um den Fernsehkonsum in den Familien. Die flächendeckende Versorgung beinahe aller Haushalte mit einem Fernsehgerät ist in Kerala erst einige Jahre alt. Der 40jährige Harilal Vasuderan will von den Schülerinnen und Schülern wissen, was wann und warum angeschaut wird und hinterfragt die oftmals penetrante Werbung für überflüssige Produkte. Auch Müllvermeidung ist ein Thema. Die Schülerinnen und Schüler lernen, wie man aus altem Zeitungspapier Taschen bastelt – als Ersatz für die Plastiktüten, die die Landschaft in Kerala verschandeln. 2007, nach Kampagnen der KSSP und anderer Umweltgruppen, hat die Regierung Plastiktüten verboten. Anfang der 90er Jahre hatte die KSSP einen energieeffizienten Holzofen entwickelt und später die flächendeckende Förderung durch die Regierung erwirkt. Bei anderen Umweltprojekten mußte sich die Organisation gegen die regierende Linksfront durchsetzen, z.B. als sie gegen ein Wasserkraftwerk im Naturschutzgebiet »Silent Valley« mobilisierte, das sie schließlich, zusammen mit vielen anderen Bewegungen, erfolgreich verhindern konnte.

1996 erhielt die KSSP den alternativen Nobelpreis. »Mit ihrer Hilfe«, so die Begründung der Jury, »ist der Bundesstaat Kerala zu einem globalen Modell für nachhaltige Entwicklung geworden.« Der damalige Präsident der KSSP und Gründungsmitglied, Chemieprofessor Pallath Kumaran Raveendran, hat den Preis für die Organisation entgegengenommen. »Eine Voraussetzung für sozia­len Wandel ist der Zugang zu den Fortschritten von Wissenschaft und Technik.« Fortschritte, die sich sonst vor allem die kleine Gruppe der Wohlhabenden zunutze mache, meint Raveendran. Die KSSP nennt das »Wissenschaft für soziale Revolution«.

Gefahr durch Marktöffnung
Aber das Entwicklungsmodell »Kerala« ist bedroht. Seit der Marktöffnung Indiens häufen sich die Konflikte Keralas mit der Zentralregierung in Neu Delhi, die auf freie Marktwirtschaft und Wettbewerb setzt. Lea Laulitha Devi, 38jährige Englischlehrerin an der Nemom-Schule, ist z.B. wegen der privaten Schulen besorgt, deren Einfluß unter der letzten von der Kongreßpartei geführten Regierung in Kerala stark gewachsen ist. Aber zusammen mit ihrer Lehrergewerkschaft will sie nicht frühzeitig aufgeben: »Wir werden kämpfen, denn wir brauchen den öffentlichen Sektor.«

Kämpfen, das heißt in Kerala Demonstrieren vor dem Regierungssitz, Besetzungen, Mahnwachen und Streiks. Kaum ein Monat vergeht, in dem es nicht einen Generalstreik gibt: Alle Geschäfte sind geschlossen, weder Busse, Taxis oder Motorikschas fahren, die Schule fällt aus. Nicht einmal zehn Prozent der Streiks sind tarifpolitischer Natur, fast immer handelt es sich um politische Streiks, mit denen Gesetzesvorhaben befördert oder verhindert werden sollen.

Diese Haltung, seit jeher wichtige Grundlage des Entwicklungsmodells Kerala, stimmt den KSSP-Aktivisten Raveendran optimistisch. Es sei ein Glück, »daß die Bevölkerung solch ein entwickeltes politisches Bewußtsein hat«. Zwar wechsele die Regierung seit den ersten Wahlen 1957 fast alle fünf Jahre zwischen Linksfront – einem Bündnis der tonangebenden Kommunistischen Partei Indiens (Marxistisch) mit der Kommunistischen Partei Indiens (CPI), der Revolutionären Sozialistischen Partei und dem Vorwärtsblock – und United Progressive Alliance (UPA) unter Führung der Kongreßpartei, aber die Menschen legten großen Wert auf die öffentliche Förderung der Bildung, Gesundheit und Lebensmittelversorgung. »Sogar die rechten Regierungen unter der Führung der Kongreßpartei sind nicht in der Lage, das zu verändern«, konstatiert Raveendran und gibt sich siegessicher. »Diese staatlichen Ausgaben wird es weiterhin geben, denn die öffentlichen Schulen und anderen Einrichtungen sind das Rückgrat des Entwicklungsmodells Kerala.«

Aber die Marktöffnung ändert nicht nur die ökonomischen Verhältnisse, sondern mit ihr hält auch eine neue Mentalität in Kerala Einzug. Symbolisch steht der Technopark, eine Sonderwirtschaftszone am Rand der Hauptstadt. »Technopark – Work in harmony« (harmonisches Arbeiten) steht auf den Eingangschildern. 15000 Ingenieure, Bankmanager und IT-Spezialisten arbeiten dort u. a. für eine Tochter der deutschen Allianz AG, den US-amerikanischen Konzern Ernst & Young, den indischen Softwaregiganten Infosys und seinen US-amerikanischen Konkurrenten Novell. Im übrigen Kerala sind Gewerkschaften eigentlich in jedem Betrieb vertreten. Im Technopark sind sie ein Fremdwort. »In der Softwareindustrie gibt es keine Gewerkschaften«, erklärt der Jungmanager Ajith Pillai, ein gebürtiger Keralite, der für den indischen TATA-Konzern arbeitet. »Wir sind hier alle gut drauf«, erklärt Pillai, »wer für TATA arbeitet, arbeitet für eine Idee, eine Idee der Veränderung – für uns ist das hier mehr als nur ein Job.«

Viele der Unternehmen im Technopark stellen hochsensible Produkte her. Das Gelände ist umzäunt und wird von Sicherheitspersonal bewacht. In die meisten Gebäude kommt man nur, wenn man mindestens eine Sicherheitsschleuse passiert hat. Die Unternehmen genießen großzügige Steuernachlässe und Vorzugsbehandlung bei der Versorgung mit Infrastruktur wie Energie, Wasser und Straßen. Die Arbeitsschutzgesetze sind außer Kraft gesetzt. Finden irgendwo in Tiruvananthapuram Streiks statt, werden die Mitarbeiter mit dem Bus abgeholt und per Polizeieskorte sicher in den Technopark chauffiert.

Gefahr für traditionelle Fischerei
Nahini Nayak arbeitet in einer kleinen Seitenstraße des Zentrums von Tiruvananthapuram in dem Büro der Self Employed Womens Association, kurz SEWA. Mehr als eintausend Frauen in Kerala sind aktive Mitglieder. SEWA ist eine Mischung aus Gewerkschaft und Selbsthilfegruppe. Der Verein organisiert z. B. Frauen, die als Straßenhändlerinnen arbeiten, bietet selbst aber auch verschiedene Dienstleistungen an: Kinderbetreuung, Büroreinigung und Haushaltshilfe. Nahini Nayak, Sozialwissenschaftlerin, ist eine der Gründerinnen von SEWA in Kerala. Ihre Arbeit ist wie die der Aktivisten der KSSP ehrenamtlich. »Einen Job zu haben und nebenher noch sozial aktiv zu sein hat eine lange Tradition in Kerala«, sagt sie, »so wurden hier die sozialen Bewegungen aufgebaut; in Kerala gehört es seit jeher zum guten Ton, daß man für seine soziale Mobilisierungsarbeit kein Geld nimmt.« So auch in ihrem Fall. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, arbeitet sie mal als Krankenpflegehilfe, mal als Wissenschaftlerin. Ihre zeitaufwendige Arbeit für SEWA hat sie immer zusätzlich gemacht.

Nahini Nayak begrüßt die Errungenschaften eines öffentlichen Gesundheits- und Bildungssektors. »Aber viele Frauen aus dem informellen Sektor haben nicht profitiert, deshalb haben wir SEWA gegründet.« Sie kritisiert die blinde Fortschrittsgläubigkeit, der auch die Regierungen in Kerala, z.B. im Fischereisektor, anhingen. »Vor allem die Frauen, deren Lebensgrundlage die natürlichen Ressourcen waren, sind an den Rand gedrängt und ihrer Existenz beraubt worden, ob nun im Fischereisektor oder in der Waldwirtschaft.« Im Namen der Entwicklung habe Kerala die industrielle Fischerei mit großen Schiffen eingeführt und dadurch die Fischressourcen vermindert. »Das ging einher mit dem Bau von Häfen und einer Zentralisierung der Fischerei. So haben die Frauen schließlich die Kontrolle über den Handel mit dem Fisch verloren.«

Am Strand von Valiathura in Tiruvananthapuram lassen Fischer am späten Nachmittag ihr Boot zu Wasser, um über Nacht aufs Meer hinauszufahren. Mehr als drei Dutzend Boote liegen am Sandstrand, nicht einmal die Hälfte davon sind motorisierte Fiberglasboote. Die meisten sind einfache Katamarane, aus vier Holzstämmen zusammengebaut. Sie haben keinen Motor, sondern werden mit Rudern und Segeln angetrieben. Sie liegen nicht in Häfen, sondern operieren direkt vom Strand aus, meist in unmittelbarer Nähe zu den Häusern und Dörfern der Fischer. 60 Prozent der etwa eine Million Fischer in Kerala arbeiten bis heute so. Die Männer verrichten die harte Arbeit auf See und müssen die manchmal mehrere Zentner schweren Netze einholen. Die Frauen nehmen den Fisch entgegen, sobald er an Land kommt, und verkaufen ihn. Mit der Industrialisierung der Fischerei verloren viele von ihnen ihre Arbeit, und Tausende wanderten in die Golfstaaten aus.

Den Fischern, die mit traditionellen Methoden arbeiteten, schenkten die Regierungen keine Beachtung. »Wir haben gesagt, daß auch diese Produktion wichtig und wertvoll ist und Unterstützung verdient, aber das war nicht wichtig für die Kommunistische Partei«, meint Nayak. Die Partei sei zwar gegen die Einführung von Maschinen in der Kokosfaserverarbeitung gewesen, wo sie viele Arbeiter organisiert habe, »aber in der Fischerei und der Landwirtschaft setzte sie auf Industrialisierung und Modernisierung«.

Probleme mit Zentralregierung
So wurde auch Kerala zu einem Bundesstaat der »Grünen Revolution«. Die »Grüne Revolution« begann in Kerala in den 60er und 70er Jahren. Mit Pestiziden, Kunstdünger, und kommerziellem Saatgut sollten die Ernteerträge der Bauern gesteigert werden, die sich diese Investitionen leisten konnten. Der Einsatz dieser Mittel hat viele Kleinbauern in den Ruin getrieben und auch ökologische Spuren hinterlassen: Vertrocknete, ausgelaugte Böden, verschmutztes Grundwasser und Monokulturen. Die Globalisierung verschärft das Problem noch weiter.

In den letzten zweihundert Jahren hat sich die Landwirtschaft in Kerala auf kommerzielle Sorten spezialisiert: als wichtigstes die Kokosnuß, gefolgt von Kautschuk, Tee, Kaffee und Pfeffer. »Wir erzielten dafür gute Preise und haben immer mehr davon angepflanzt«, so der amtierende Finanzminister des Bundesstaates, Thomas Isaac. »Felder, auf denen Korn für unsere Ernährung angepflanzt wird, sind heute nur noch selten zu sehen«, beschreibt Isaac weiter, »nur 20 Prozent unseres Getreidebedarfs produzieren wir selbst«. Die meisten Agrarprodukte werden exportiert, und das lebenswichtige Getreide muß eingekauft werden. »Die Globalisierung hat dazu geführt, daß die Preise für unsere Agrarexporte in den Keller gegangen sind und zeitgleich die Preise für Getreide nach oben schnellen«, erklärt der Finanzminister. Die Zentralregierung in Neu Delhi kürze gleichzeitig die Subventionen und gefährde so die öffentliche Nahrungsmittelhilfe. »Wir stecken mitten in einer ernsten Krise«, meint Isaac, »so weit ich mich erinnern kann, haben erstmals Bauern in Kerala Selbstmord begangen, allein zwischen 1999 und 2004 haben sich 1500 das Leben genommen.«

Im Stadtteil Kawdiar in Tiruvananthapuram ist Biomarkt. Alle zwei Wochen kommen hier Kleinbauern zusammen, die biologische Landwirtschaft betreiben. »Ich verkaufe hier Bananen, Auberginen, Papayas, Kokosnüsse und Gurken, für die Bauern aus meiner Nachbarschaft außerdem noch Elefantenfußknollen, Spinat, verschiedene Bohnensorten, Kräuter und Früchte«, beschreibt die Bäuerin Shaji Kumari ihr Sortiment. »Wenn man einmal mit Chemie in der Landwirtschaft anfängt, muß man immer mehr Geld ausgeben, immer neue Pestizide und solches Zeug kaufen. Und das bedeutet nicht, daß auch der Ertrag bei der Ernte steigt. Also immer mehr Ausgaben und immer weniger Einnahmen. Das hat schon einige Bauern in den Selbstmord getrieben«, erklärt sie, »biologische Landwirtschaft ist jedenfalls viel billiger, man hat genug zum Essen und verdient auch noch etwas Geld«.

Auch die Linksfront-Regierung hat Konsequenzen aus den Bauernselbstmorden gezogen und ist dabei, zunächst einen Distrikt Keralas komplett auf biologische Landwirtschaft umzustellen, die anderen dreizehn sollen innerhalb von einigen Jahren folgen. Die alte Regierung unter der Kongreßpartei hatte sogar drei Distrikte auserkoren, aber keines ihrer Projekte realisiert. »Wenn in Kerala irgend etwas umgesetzt werden soll«, so Kumari, »muß man dafür kämpfen. Aber grundsätzlich kann man den Plan der Regierung umsetzen, es müssen sich nur noch mehr Bauern daran beteiligen.«

Im vergangenen Sommer wollte der US-Multi Monsanto erste Versuche mit gentechnisch verändertem Reis durchführen. Das rief sofort eine öffentliche Debatte hervor. Nach einer Fernsehdiskussion mit Umweltaktivisten lenkte Keralas Agrarminister ein, weil nun auch er die Auswirkungen auf die Artenvielfalt und die Bauern im Bundesstaat fürchtete. Er verbot den Anbau und deklarierte Kerala als gentechnikfreie Zone. Damit ist der Bundesstaat eine der größten solcher Regionen in der Welt.

»Das Entwicklungsexperiment Keralas zeigt, daß sogar bei dem derzeitigen Stand der Entwicklung eine Grundversorgung aller Bürger möglich ist, mit Schulbildung, Gesundheitseinrichtungen, einer Wohnung, ausreichendem Essen und Trinkwasser«, hebt Isaac hervor. All das werde der Mehrheit der Armen in der Dritten Welt vorenthalten. »Kerala beweist, daß es auch anders geht – wenn dazu der politische Wille vorhanden ist. Aber die Globalisierung stellt uns vor neue Herausforderungen.«

Vor allem die Zentralregierung in Neu­Delhi macht Druck auf die Wirtschaft in Kerala, indem sie die finanziellen Zuteilungen u. a. an die Bedingung knüpft, die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren und privaten Investoren die Türen noch weiter zu öffnen. Diesem Druck will Isaac nicht nachgeben. Ein Drittel des Staatshaushalts gibt Kerala für Bildung und Gesundheit aus. Insgesamt fließt mehr als die Hälfte des jährlichen Budgets in die menschliche Entwicklung, zählt man die anderen Sozialleistungen und die Förderung des öffentlichen Sektors hinzu.

Isaac, der im traditionellen Lungi, einem um die Hüften geschlungenen, wadenlangen Tuch, seine Arbeit verrichtet, bezeichnet sich selbst ironisch als »Buchhalter der Zentralregierung«. Neu Delhi greife immer mehr in die Wirtschaft Keralas ein. Nach der Einkommens- und Unternehmenssteuer hätte sie seit Ende der 80er Jahre auch den alleinigen Zugriff auf die Dienstleistungssteuer und damit ausgerechnet auf den bedeutendsten Wachstumsmarkt in Kerala. Obwohl der Bundesstaat annähernd drei Prozent der indischen Bevölkerung stellt, teilt ihm die Zentralregierung nur etwa 1,5 Prozent des Budgets für die Bundesstaaten zu. Viele in Kerala vermuten dahinter politische Gründe.

Aus: Junge Welt, 15. Mai 2008

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Gerhard Klas lebt als freier Journalist in Köln.