Buchtipp: „Im Westen nichts Neues"

Erich Maria Remarques zeitloses Werk über das sinnlose Massenmorden im 1. Weltkrieg

von Jürgen Grässlin
Hintergrund
Hintergrund

"Sie wissen es, sage ich dir, sie wissen alles ganz genau,
sie kennen Krieg und Lazarette und Massengräber,
sie wissen, dass wir alle nichts anderes sind
als Kanonenfutter für eine Anzahl
Ehrgeiziger und Verdiener und Quatschköpfe;
– und sie hören trotzdem nicht auf."

Erkenntnis des jungen Soldaten Paul Bäumer,
nachdem seine Klassenkameraden
elendig auf dem Schlachtfeld gestorben sind-

Remarque, Erich Maria, Im Westen nichts Neues,
Köln 17. Auflage 2021, S. 283

Der Verlag Kiepenheuer & Witsch würdigte das Werk seines Autors in höchsten Tönen. „Mit diesem sensationellen Erfolgsroman begründete Erich Maria Remarque seinen Weltruhm und schuf ein zeitlos gültiges Bild der Schrecken des modernen Krieges." Was übertrieben klingt, trifft den Sachverhalt auf den Punkt. Tatsächlich zeigt dieses Werk in Buch und Film mit schwer erträglicher Schonungslosigkeit Gräueltaten im Ersten Weltkrieg auf. Stellvertretend für viele Kriege, für die Sinnlosigkeit des Massenmordens. Und es löste Reaktionen aus: Zensur, Betroffenheit, Zustimmung.

In Remarques Meisterwerk sind die jugendlichen Soldaten Täter und Opfer zugleich. Täter, die militärisch gedrillt ihre sogenannten Feinde hemmungslos verstümmeln und töten. Und sei es nur, um selbst zu überleben. Zugleich sind sie Opfer einer Kriegsmaschinerie, die den naiven Jungspunden um den 19-jährigen Protagonisten Paul Bäumer Sieg und Ehre verspricht. Und ihm stattdessen im Bombenhagel menschliche Körper mit zerfetzten Gedärmen und zerschossenen Gehirnen präsentiert.

Das Erschreckende daran: Genau so hat sich dieser Krieg von 1914 bis 1918 zugetragen. Bestialisch ermordeten sich deutsche und französische Soldaten zu Hunderttausenden auf den Schlachtfeldern – vom Menschenfresserberg in den südlichen Vogesen bis hin nach Verdun im Nordosten Frankreichs. Und natürlich an vielen weiteren Orten. Auch wenn jeder Krieg anders ist, Kriege des 20. und 21. Jahrhunderts konnten und können sich auch weiterhin so zutragen. Vor allem dann, wenn die Massenvernichtungswaffe Nummer 1, das Gewehr, ungehemmt zum Einsatz kommt.

Wahrlich, dieses Buch ist nicht leicht zu lesen, der Film nicht einfach mit einer Tüte Chips beim coolen Chillen anzuschauen. Denn Remarque führt uns vom Klassenzimmer des nationalistisch verblendenten Lehrers Kantorek über die frenetisch in die Schlacht ziehenden Schüler bis in die Abgründe der brutalsten aller Bestien: den Krieg.

Zum hundertsten Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkriegs wurde Remarques Buch 2014 vom KiWi-Verlag neu aufgelegt, in der Fassung der Erstausgabe. Von den beiden auch deutschsprachigen Verfilmungen empfehle ich die wesentlich ältere von 1930 des Regisseurs Lewis Milestone. Auch wenn der Anti-Kriegsfilm wiederholt zensiert wurde und bedeutende Passagen bei Erscheinen erst gar nicht in die Kinos kamen, ist er doch sehr sehenswert. (Siehe Gigl, Claus: Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues. Für Oberstufe und Abitur, Stuttgart 2014, S. 96.)

Milestones Schwarz-Weiß-Film wurde zu Recht mit zwei Oskars, für den besten Film und die beste Regie, ausgezeichnet. Alternativ kann die Verfilmung in der Regie von Delbert Mann aus dem Jahr 1979 betrachtet werden. Beide Filme, in den englischsprachigen Fassungen „All Quiet on the Western Front" tituliert, sind mit der Altersfreigabe FSK 12 versehen.

Ab Herbst 2022 wurde eine weitere Neuverfilmung in den Kinos und auf NETFLIX gezeigt. Zum ersten Mal nahm sich mit Edward Berger ein deutscher Regisseur des Themas an. Die Hauptrolle spielt Felix Kammerer vom Wiener Burgtheater.

Der Berliner Zeitung sagte Berger: „Wir haben natürlich selten die Chance, aus Deutschland heraus so einen Film zu machen.“ Große Kriegsfilme kämen meist aus dem amerikanischen oder britischen Raum. „Und da stört mich immer eine Sache: Es stört mich, dass es immer einen Gewinner gibt. Es gibt immer einen Guten." Hierzulande hätten wie eine ganz andere Geschichte als die USA als Gewinner des Krieges. „Die Amerikaner mussten eingreifen in den Krieg, gegen ihren Willen, und haben Europa befreit. Und aus dieser Historie gibt es da Helden. Die gibt es in Deutschland nicht.“ Die Altersfreigabe FSK wurde für die aktuelle Neuverfilmung auf 16 Jahre festgelegt.

Empfehlenswert erscheint mir, den Film – sei es seitens der Eltern, Erzieher*innen oder Lehrer*innen – gemeinsam mit den Jugendlichen ab 16 Jahren anzuschauen (auch bei der früheren Filmfassung mit der FSK 12). Danach sollte man seine Gedanken untereinander austauschen, nach Alternativen suchen,Alternativen zum Krieg und zum Kriegsdienst.

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Hintergrund
Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).