8. Mai 2015

Erinnern – bewahren – Frieden: Der „Schwur von Buchenwald“ ist hochaktuell

von Lucas WirlPascal LuigReiner BraunKristine Karch

Es waren vielleicht die bewegendsten Eindrücke des 8. und 9. Mais 2015: Zehntausende Menschen, Familien, Junge und Alte, deutsche und ausländische MitbürgerInnen zogen stundenlang durch Berlin zu den beiden Mahnmalen im Tierpark und im Treptower Park.

Sie legten Blumen nieder – „Blumen für den Frieden“. Sie verharrten in Ruhe, Gedenken sowie Trauer und gedachten der Toten des 2. Weltkrieges, sicher besonders der 27 Millionen Toten der Sowjetunion. Die Menschen waren aber auch fröhlich und optimistisch, sie erinnerten sich an die Befreiung Europas von der Geisel des Faschismus und feierten diesen Sieg der Völker. Eine tiefe Sehnsucht nach Frieden prägte die stundenlangen Züge von Menschen zu beiden Ehrenmälern. Besorgnis über die aktuelle Situation prägte viele Gespräche. Immer wieder wurde betont: Friede und Partnerschaft mit Russland ist das Unterpfand einer friedlichen Entwicklung in Europa. Eine tiefe Friedenssehnsucht prägte diese oft spontanen, familiären Friedensmanifestationen.

Viele – aber lange nicht alle – kamen aus den verschiedenen Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Ausländische KollegInnen, oft aus Ländern, die 1945 noch kolonial unterjocht waren, nahmen aktiv teil. Bringen sie einen neuen Friedenswillen in die deutsche Gesellschaft, werden auch sie aktiver, engagierter für den Frieden? Gedanken, die einer vertiefenden Diskussion bedürfen.

Matthias Platzeck sprach am Ehrenmal im Berliner Tiergarten der Initiative KONTAKTE-KOHTAKTbI und warnte davor, diesen Tag umzudeuten. Wenn schon unsere östlichen Wertenachbarn sich alle Mühe geben, einige Seiten aus dem Geschichtsbuch zu zerren, sollten wir [Deutschland] uns der Verantwortung umso mehr stellen.

Im Treptower Park feierten am 9.5. schon traditionell viele u.a. mit der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) unter dem Motto „Wer nicht feiert, hat verloren“.

Beeindruckend, vor allem durch die vielen Menschen, die spontan vorbeikamen und dabei blieben, war das Friedensfestival, das vom 8.-10.5. auf dem Breitscheidplatz mit der Unterstützung der Gemeinde der Kaiser Wilhelm Gedächtnis Kirche durchgeführt wurde. Tausende TeilnehmerInnen diskutierten aktuelle friedenspolitische, aber auch humanistische Herausforderungen und beteiligten sich aktiv und passiv an vielfältigen kulturellen Aktivitäten. Eine sinnvolle Veranstaltung, gerade um Interessierte aber noch nicht Aktive einzubeziehen und die Gesellschaft weiterhin für den Frieden zu sensibilisieren. Über 60 dezentrale Veranstaltungen vervollständigten das Berliner Programm.

Beendet wurden diese vielfältigen Erinnerungs- und Friedensaktionen in Berlin durch die Demonstration, die von der Berliner Friedenskoordination organisiert wurde und auf eine breite Unterstützung durch viele Friedensinitiativen und Organisationen weit über Berlin hinaus stieß. In ihrem Mittelpunkt standen unter dem Motto „70 Jahre Befreiung – Nein zu Krieg und Faschismus - Für eine Politik der Verständigung und Konfliktlösung“ die aktuellen friedenspolitischen Herausforderungen.

2.000 Menschen demonstrierten am 10.5. in Berlin. Ihre zentrale Aussage war: Wir müssen den Frieden, die Abrüstung und besonders das Nein zum Krieg gegen die offizielle Politik durch mehr Druck auf der Straße erstreiten. In den beeindruckenden Worten der 90-jährigen Antifaschistin Erika Baum hieß es: „Ihr müsst den Frieden fest in Eure Hände nehmen, das ist die Lehre des 8. Mai 1945“. Peter Sodann, unterstützt von Dieter Dehm, verwies (auch in sehr persönlichen Erinnerungen) auf die Notwendigkeit der Freundschaft mit Russland heute und die Zurückweisung der interessensgebundenen Hetze. Per Video zugeschaltet sprach Oskar Lafontaine von der Notwendigkeit, die Friedensbewegung neu zu entwickeln und zu stärken. Sein Verweis auf den französischen Sozialisten Jean Jaurès unterstrich den untrennbaren Zusammenhang von Kapitalismus und Krieg. Rolf Becker, Schauspieler und aktiver Gewerkschafter, verdeutlichte in eindringlichen Worten den Zusammenhang von Krieg und Faschismus. Antifaschismus ist die Grundlage aller Friedensaktionen, in Worten und Taten zog sich dieses wie ein roter Faden durch die Redebeiträge und die beeindruckenden kulturellen Beiträge dieser Demonstration.

Deutlich war auf der Demonstration auch die Trennung von allen, die nicht zur Friedensbewegung gehören: Die großspurigen Ankündigungen von Rechtsradikalen und FaschistInnen, in Berlin zum 8.5. aufzumarschieren und den Reichstag „zu stürmen“, waren Luftblasen. Die Anzahl der Rechtsradikalen war minimal. Es bleibt aber die Notwendigkeit tagtäglicher Aufmerksamkeit – „Wehret den Anfängen“.

Aktionen an anderen Orten
Viele der Aktionen in Deutschland wurden in breiten Bündnissen und Koalitionen vorbereitet, die oft von der VVN-BdA initiiert wurden. Einen vollständigen Überblick darzulegen, ist uns wenige Tage nach dem 8.5. leider nicht möglich. Wir verweisen auf die Webseiten der VVN-BdA oder der Friedenskooperative in Bonn. Wir möchten einige Beispiele kurz skizzieren, von denen uns Informationen vorliegen.

Frankfurt am Main: Eine Aktionswoche mit dem Abschluss einer Demonstration zum Römer und einem Konzert prägten die Aktionen in Frankfurt.

Stuttgart: Eine Demonstration am 9. Mai in Stuttgart „Tag der Befreiung. Unser Auftrag für Demokratie, Solidarität und Frieden“ war der Höhepunkt vielfältiger Aktionen, die ein breites Bündnis vorbereitet hatte.

Tübingen: Demonstration und Kundgebung prägten auch die Aktionen in der Universitätsstadt.

Düsseldorf: Ca. 300 TeilnehmerInnen zogen in einer antifaschistischen Friedensdemonstration, die ein breites Bündnis neben einer ganzen Reihe von Veranstaltungen vorbereitet hatte, durch Düsseldorf.

Besonders hervorzuheben ist sicher die Demonstration in Bochum, zu der die neu gegründete Initiative „Gewerkschaftlerinnen und Gewerkschaftler für Frieden und Solidarität“ am 9.5. aufgerufen hatte. Ca. 500 TeilnehmerInnen folgten diesem Aufruf. In seiner Rede sprach sich das ehemalige Vorstandsmitglied der IG Metall Horst Schmitthenner eindringlich für eine engere Zusammenarbeit von Friedens- und ArbeiterInnenbewegung, für eine friedliche, solidarische und humane Gesellschaft aus.

Viele weitere dezentrale – oft kleinere Aktionen – prägten in zahlreichen Städten und Dörfern das Bild des 70. Jahrestages der Befreiung. Geprägt vom Dank an die Befreier und tiefer Sorge um die Bedrohung des Friedens, besonders durch den Konfrontationskurs des Westens gegenüber der Ukraine, waren diese Veranstaltungen und Aktionen die Antwort auf die Politik der Bundesregierung, diesen Tag mehr zur Anklage gegen Russland als zur Entwicklung einer Politik des Dialogs und der gemeinsamen Sicherheit umzudefinieren. Offizielle Feierlichkeiten, z.B. in Städten und Kommunen, waren eher die Ausnahme, gewerkschaftliches und kirchliches Engagement eher selten.

In das Bild der Verweigerung des Dankes an die Befreier passt der sogenannte „Ball des Heeres“ am 9.5. in Berlin, um den Beitritt der BRD zur NATO vor 60 Jahren zu feiern. Über 100 Friedenaktivistinnen machten mit ihrem Protest und besonders mit lauten Trillerpfeifen deutlich, was sie davon hielten.

Die Gefahr der Uminterpretation des 8. Mai und die vielfältigen Gefahren eines Geschichtsrevisionismus sind bei vielen offiziellen und medialen Diskussionen um den 8. Mai deutlicher als zuvor hervorgetreten. Ihnen gilt es überall entschieden entgegenzutreten, sind sie doch auch untrennbar mit einer weiteren Militarisierung der Gesellschaft verbunden.

Die aktuellen Kriege und die Gefahren, die von einer Politik der Konfrontation des Westens gegen Russland ausgehen, sind aktuell drängende und bewegende friedenspolitische Herausforderungen. Werden wir diesen Herausforderungen als Friedensbewegung gerecht? Diese Fragen stellen, heißt sie auch im Zusammenhang  mit den Aktionen um den 8. Mai, angesichts der doch relativ eingeschränkten TeilnehmerInnenzahlen, mit nein zu beantworten. Ein Blick in die Geschichte des 50. und 60. Jahrestages der Befreiung zeigt, dass gerade diese mit großen, eindrucksvollen Demonstrationen unter Beteiligung der Friedensbewegung verbunden waren.

Geschichte wiederholt sich nicht, aber wir können möglicherweise aus ihr lernen, dass wieder mehr und gemeinsame Aktionen sinnvoll wären.

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Rubrik

Initiativen
Pascal Luig, Geschäftsführer NaturwissenschaftlerInnen-Initiative - Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V. (NatWiss), Koordinierungskreis Stopp Air Base Ramstein.
Reiner Braun war Geschäftsführer der IALANA Deutschland und ist ehem. Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros (IPB).
Kristine Karch engagiert sich beim International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility (INES)