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Erinnern für die Zukunft
vonVor 50 Jahren, in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 fand im ganzen Deutschen Reich ein staatlich organisierter Massenpogrom statt. Er richtete sich gegen alle Menschen, die Juden oder jüdischer Herkunft waren. Die Synagogen wurden unter Aufsicht der Feuerwehr niedergebrannt, ihre Wohnungen und Geschäfte verwüstet und geplündert, ohne daß die Polizei einschritt.
Die gräßliche Bilanz dieser Nacht:
- 267 Synagogen verwüstet, in Brand gesteckt, _mit Dynamit gesprengt
- über 7.000 jüdische Läden sowie die Wohnungen der jüdischen Familien ausgeplündert und verwüstet
- 1,25 Milliarden Reichsmark den Juden als Buße für die von den Nazis angerichteten Schäden auferlegt
- 91 Morde vom Obersten Parteigericht gemeldet, wobei die Täter in der Regel straffrei ausgingen
- rund .30.000 Menschen in die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald deportiert.
Die Reichspogromnacht war nicht der Anfang der Judenverfolgung in Deutschland. Die Entrechtung der Juden war seit 1933 systematisch betrieben worden. Sie war die letzte Generalprobe auf dem Weg zum Angriffskrieg und zur systematischen V erfolgung, zum millionenfachen Massenmord vor allem an Jüdinnen und Juden, aber auch an Christlnnen, Kommunistlnnen, Liberalen, Sozialdemo-kratlnnen, Gewerkschafterinnen, Sinti und Roma und Homosexuellen.
Der Verlauf der Reichspogromnacht lieferte den Nazis den letzten Beweis, daß ihre psychologische Kriegsvorbereitung erfolgreich war, daß die Menschen an Gewalt und Terror gewöhnt werden konnten und daß nun der Willkür und der Brutalität keine Grenzen mehr gesetzt waren.
In seiner berüchtigten Rede vor der "Deutschen Presse" am 10. November 1938, also unmittelbar nach der Mord-, nacht erklärte Adolf Hitler: "Die Umstände. haben mich gezwungen, jahr-zehntelang fast nur vom Frieden zu reden. Nur unter der fortgesetzten Betonung des deutschen Friedenswillens und der Friedensabsichten, war es mir möglich, dem ,'-deutschen Volk Stück für Stück die;Freiheit zu erringen, und ihm die Rüstung zu geben, die immer wieder für den nächsten Schritt als Voraussetzung notwendig war ... Der Zwang war die Ursache, warum ich jahrelang nur vom Frieden redete. Es war nunmehr notwendig, das deutsche Volk psychologisch allmählich umzustellen, und ihm langsam klarzumachen, daß es Dinge gibt, die, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln durchgesetzt werden können, mit Mitteln der Gewalt durchgesetzt werden müssen. Dazu war es aber notwendig, dem deutschen Volk bestimmte außenpolitische Vorgänge so zu beleuchten, daß die innere Stimme des Volkes selbst langsam nach der Gewalt zu schreien begann... Diese Arbeit hat Monate erfordert, sie wurde planmäßig begonnen, planmäßig fort-geführt, verstärkt.''
Die Mehrheit des deutschen Volkes nahm diesen Terror gegen Minderheiten schweigend hin, ja unterstützte ihri an vielen Orten auch noch aktiv. Dadurch kam es zu einem tiefen Verlust der humanen Orientierung im gesellschaftlichen aber auch persönlichen Leben der Deutschen. Ein Verlust, der nach 1945 weitgehend verdrängt und bis heute nicht aufgearbeitet ist. Nur durch diese Verdrängung und die da- . mit verbundene Unfähigkeit zu trauern konnte nach dem Zweiten Welt-krieg die Neugründung einer Armee, der Aufbau von Feindbildern und die heutige lebensgefährliche Militarisierung unseres Landes durchgesetzt werden.
Eine aktive Erinnerungsarbeit in Städten und Gemeinden, die gerade die Schmerzpunkte unserer Geschichte in den Mittelpunkt stellt, ist daher heute auch ein wichtiger Beitrag für den Frieden. Unsere Utopie einer friedlichen und solidarischen Gesellschaft wird lebendiger, wenn ihre Wurzeln in der Geschichte deutlich werden. Die Arbeit der Friedensbewegung wird wirksamer, wenn sie den Rezepten des Militarismus einen aus der historischen Verantwortung geprägten Kurs der humanen Orientierung entgegensetzt. Es ist daher wichtig in den Herbstaktionen, besonders aber in den ökumenischen Friedenswochen im November vielfältige Formen der Erinnerungsarbeit an den Orten zu entwickeln.