Erklärung zu den Terroranschlägen gegen die USA vom 11. September 2001

von Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN)
Schwerpunkt
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I.
1. Die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) teilen das weltweite Entsetzen über die jüngsten Terroranschläge gegen die USA. Sie verurteilen diese Akte der Barbarei aufs Schärfste. Mit dem 11. September 2001 ist eine Zäsur im Zusammenleben der Völker eingetreten. Zwar ist der Terrorismus, innerstaatlich wie international, seit langem eine grausame Realität. Terroristische Handlungen nehmen zu, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen und Bemühungen, im Hintergrund stehende Konflikte politisch zu lösen. Niemals zuvor hat es jedoch terroristische Gewaltakte diesen Ausmaßes und einer auch nur annähernd vergleichbaren kriminellen Energie und Brutalität gegeben. Zivilflugzeuge sind mit allen ihren Insassen als Waffen missbraucht worden, mit denen die Stahl- und Betonkonstruktionen des Word Trade Center und des Pentagon mühelos durchschlagen werden konnten. Tausende unschuldiger Menschen kamen in dem Inferno um. Die Bilder des Schreckens und des Leids, die uns seither nicht mehr loslassen, zeichnen das apokalyptische Bild einer gegen die moderne Zivilisation gerichteten Bedrohung. Vergleichbare Horrorszenarien können sich überall auf der Welt wiederholen und jedermann treffen. Gegen sie gibt es zur Zeit keinen perfekten Schutz. Als entsprechend unteilbar und existentiell wird die neue Gefahr deshalb empfunden. Davon zeugen auch die breite Anteilnahme und die spontanen Solidaritätsbekundungen, die den Opfern der Terroranschläge, ihren Angehörigen und der amerikanischen Nation weltweit entgegengebracht werden.

II.
2. Auch die DGVN möchte dem amerikanischen Volk und allen von den Terroranschlägen direkt Betroffenen das Mitgefühl und die Sympathie ihrer Mitglieder aussprechen. Sie begrüßt die Entschlossenheit der Staatengemeinschaft, gemeinsam den Terrorismus zu bekämpfen und Täter und Hintermänner zu bestrafen. Sie nimmt mit Befriedigung zur Kenntnis, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen unmittelbar nach den Terroranschlägen zusammengetreten ist und diese in einer kaum für möglich gehaltenen Einmütigkeit und einer dem Leid der Opfer würdigen Form als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit verurteilt hat (Resolution 1368 [2001] vom 12. September 2001). Die DGVN begrüßt ferner, dass sich gleichzeitig auch die Generalversammlung der Vereinten Nationen klar gegen die Anschläge vom 11. September ausgesprochen und diese als "abscheuliche Terrorakte" bezeichnet hat (Ziffer 1 der Resolution 56/1 vom 12. September 2001). Die DGVN ist erfreut, dass beide Organe an die Staatengemeinschaft appellieren, der Bedrohung gemeinsam Herr zu werden.
 

III.
3. Angesichts dieser weltweiten Koalition gegen den Terrorismus begrüßt die DGVN alle politischen Erklärungen und Stimmen, die jetzt zur Besonnenheit mahnen. Besonders erwähnt seien die Erklärung von UN-Generalsekretär Kofi Annan und die Rede von Bundespräsident Johannes Rau. Solange nicht mit hinreichender Gewissheit klar ist, wem die Terroranschläge zuzurechnen sind, begegnet die Verbreitung einer allgemeinen Kriegsatmosphäre der Sorge, dass dabei die in der UN-Charta festgelegte Verantwortung der Vereinten Nationen für die weitere Entwicklung vernachlässigt wird.

4. Zwar ist es richtig, dass auch Akte des internationalen Terrorismus als bewaffnete Angriffe angesehen werden können, gegen die Maßnahmen der individuellen und kollektiven Selbstverteidigung zulässig sind (siehe auch den entsprechenden Hinweis auf das Selbstverteidigungsrecht in der Präambel der Sicherheitsratsresolution 1368 [2001] vom 12. September 2001). Diese können sich gegebenenfalls auch gegen Staaten richten, die die terroristischen Akte in der einen oder anderen Weise fördern oder unterstützen. Jedoch ist letzteres von einigen Voraussetzungen abhängig, über deren Vorliegen man im gegenwärtigen Fall zum Teil noch nicht genug weiß: Zunächst ist nach bisherigem Völkerrecht der hinreichende Beweis für eine substantielle Beteiligung eines "Hintergrundstaates" der Terrorakte erforderlich, um auch gegen diesen und nicht nur die Terroristen im Zuge des Selbstverteidigungsrechtes vorgehen zu können. Der Internationale Gerichtshof hat an das Vorliegen einer derartigen "indirekten Aggression" sogar sehr strenge Voraussetzungen gestellt (aktive Lenkung oder Kontrolle der Terroristen, nicht nur deren passive oder rein logistische Unterstützung, siehe Nicaragua-Entscheidung von 1986), die allerdings von einigen Staaten - unter ihnen die USA - nie anerkannt worden sind (siehe dazu auch Jochen A. Frowein, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. September 2001, S. 10 unter der Überschrift "Terroristische Gewalttaten und Völkerrecht"). Zudem steht die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts unter dem Vorbehalt, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen noch nicht "die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat" (Artikel 51 Satz 1 der UN-Charta). Damit ist das Verhältnis des Selbstverteidigungsrechts zu den Aufgaben und Befugnissen der Vereinten Nationen nicht klar geregelt, jedoch wird man davon auszugehen haben, dass dem Sicherheitsrat zumindest die Möglichkeit gegeben werden muss, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

IV.
5. Wie immer man zu diesen völkerrechtlichen Fragen im einzelnen stehen mag, so lassen diese doch erkennen, dass von einem Selbstverteidigungsrecht der USA, das sich gegen mutmaßliche Hintergrundstaaten der Terrorakte vom 11. September richtet, noch nicht ohne weiteres gesprochen werden kann. Der Charta der Vereinten Nationen entspricht es, dass zunächst einmal die Fakten festzustellen sind und dass dem Sicherheitsrat Gelegenheit gegeben werden muss, seiner Aufgabe zur Friedenswahrung nachzukommen. Darauf haben sich seine Mitglieder in Ziffer 5 der Resolution 1368 (2001) auch verständigt, wenn sie ihre Bereitschaft bekunden, "alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 zu antworten" und "alle Formen des Terrorismus zu bekämpfen, im Einklang mit (ihrer) Verantwortung nach der Charta der Vereinten Nationen". Das schließt Vorbereitungen auf den Verteidigungsfall und ein gegebenenfalls einseitiges Vorgehen seitens der USA und der NATO-Verbündeten nicht aus.

6. Dem in der Öffentlichkeit erweckten Eindruck, dass hierüber ohne Berücksichtigung der genannten chartarechtlichen Bindungen entschieden werden kann, ist aber nachhaltig zu widersprechen. Diese Rechtsbindung verpflichtet auch zu einer Begrenzung des Selbstverteidigungsrechts auf Maßnahmen, die für die Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs erforderlich sind. Dazu wird man auch Maßnahmen gegen unmittelbar bevorstehende Terrorakte zählen können, wenn anders der Gefährdung nicht begegnet werden kann und der bedrohte Staat praktisch schutzlos gestellt würde. Eine derartige Vorverlagerung des Selbstverteidigungsrechts darf jedoch nicht mit präventiven Verteidigungskriegen verwechselt werden. Und erst recht erlaubt das Völkerrecht keine reinen Vergeltungsschläge, mögen mit ihnen auch Hoffnungen auf eine abschreckende Wirkung verbunden sein (die zumeist trügerisch sind). Wer Präventivkriegen oder Vergeltungsschlägen das Wort redet, negiert die mit der Gründung der Vereinten Nationen eingeleitete Erstarkung des Kriegsverbots zu einem umfassenden Gewaltverbot und riskiert im vorliegenden Fall das Zerbrechen der soeben erreichten Allianz der Staatengemeinschaft gegen den internationalen Terrorismus.

20. September 2001

Prof. Dr. Klaus Dicke, Vorsitzender der DGVN, Prof. Dr. Thomas Bruha, Alexander Graf York von Wartenburg, Stellvertretende Vorsitzende der DGVN

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