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Vereinigung demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ):
Erklärung zur Politik der Bundesregierung im jugoslawischen Konflikt
Gegen den Strich gebürstet ist der Beschluß der Bundesdelegiertenversammlung der VDJ von Ende 1991. Die Erklärung kritisiert vor allem die einseitige Parteinahme von Bundesregierung und deutscher Öffentlichkeit und reflektiert die juristischen und völkerrechtlichen Aspekte von "Selbstbestimmung" und "Souveränität", Überlegungen, in die auch die vielen anderen Nationalitätenkonflikte einbezogen sind. Die Diskussion um den Konflikt in Ex-Jugoslawien wird nach der Schwerpunktnummer dazu (FF1/92) im FriedensForum weiter fortgesetzt (die Red.)
Seit gut fünf Jahren beobachten wir den langsamen Zerfall Jugoslawiens. Am 25. Juni dieses Jahres haben die Republiken Slowenien und Kroatien in einseitigen Parlamentserklärungen ihre Unabhängigkeit und staatliche Souveränität erklärt. Seit dem 27. Juni 1991 herrscht Bürgerkrieg, die Bundesregierung ließ die Armee in Slowenien und dann in Kroatien einmarschieren. Derzeit hat sich der Krieg auf erbarmungslose Kämpfe der jugoslawischen Armee gegen die Kroaten zugespitzt.
In der Bundesrepublik hat sich die Regierung wie die Medien sehr schnell auf die Seite der Sezessionsbewegungen Sloweniens und Kroatiens gestellt. Mit der angekündigten Anerkennung der beiden Republiken hat die Bundesregierung ein eindeutiges Votum für die staatliche Auflösung Jugoslawiens gegeben.
Das ist weit mehr und etwas grundsätzlich anderes als der zweifellos berechtigte und notwendige Druck auf Serbien, die militärischen Aktionen gegen die kroatische Bevölkerung und deren Städte einzustellen. Denn eine derartige Unterstützung ja Förderung der Sezession ist kein Beitrag zur friedlichen Lösung der Probleme, sondern schürt viel eher die militärischen Auseinandersetzungen und den Haß der beiden tief verfeindeten Bevölkerungsgruppen.
Wir sollten uns daran erinnern, daß Deutschland eine historische Mitverantwortung an der jetzt so explosiven Nationalitätenfrage trägt. Es war das von Hitler errichtete und gestützte kroatische Ustascha-Regime, welches unter dem Schutz der Nationalsozialisten an der serbischen Bevölkerung einen Völkermord beging, und es war die deutsche Wehrmacht, die allein im Herbst 1941 mehr als 25.000 serbische Zivilisten ermordete. Jede deutsche Initiative zur Beendigung des Bürgerkrieges und zum Schutz der kroatischen Bevölkerung muß diese Verantwortung ernst nehmen, um nicht in die Gefahr zu geraten, ein zweites Mal für die Spaltung Jugoslawiens verantwortlich zu sein.
Die Bundesverfassung von 1974 hat in ihrer Präambel allen Völkern Jugoslawiens das Recht auf Austritt aus dem Bundesstaat garantiert. Doch dieses ist kein Recht auf eigenmächtige und einseitige Abspaltung, sondern nur auf einvernehmliche und friedliche Auflösung des Staatsverbandes in Übereinstimmung mit den übrigen Republiken. Slowenen und Kroaten haben alle Warnungen vor einseitigen Schritten in den Wind geschlagen. Noch im Juni 1991 hatten die zwölf Staaten der EG erklärt, daß die Grenzen nur durch Konsens oder Verhandlungen niemals aber durch einseitige Initiativen geändert werden können.
Wenn die deutsche Bundesregierung für ihre Anerkennungsinitiative auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker Jugoslawiens verweist, so müssen wir als Juristinnen und Juristen demgegenüber auf folgendes aufmerksam machen. So unbestreitbar das Selbstbestimmungsrecht in der UNO-Charta verankert ist, so wenig kann man es jedoch mit einem Recht auf Sezession gleichsetzen. Denn ebenso ist in der UNO-Charta das Prinzip der Souveränität (Art. 2) und das Recht auf staatliche Integrität verankert. Wenn es in Art. 2 Z. 4 heißt: "Alle Mitglieder enthalten sich in ihren internationalen Beziehungen der Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung, die gegen die territoriale Unverletzlichkeit oder politische Unabhängigkeit irgendeines Staates gerichtet ... ist", so ist darin nicht nur das Gewaltverbot enthalten, sondern auch der Schutz der staatlichen Einheit. Dies hat die UNO-Generalversammlung in zahlreichen Resolutionen bestätigt, wie z.B. in der Deklaration von 1960: "Jede Absicht, die darauf gerichtet ist, die nationale Einheit und territoriale Integrität eines Staates zu zerstören, ist unvereinbar mit den Zielen und Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen."
Die Praxis der Vereinten Nationen hat sich deshalb immer einem Recht auf Sezession gegenüber ablehnend verhalten. Ob im Falle der Sezession Katangas vom Kongo im Jahre 1960, der Unabhängigkeitserklärung Biafras von Nigeria im Jahr 1967 oder den Unabhängigkeitsbestrebungen Erithreas gegenüber Äthiopien, immer haben sich die Organisation der afrikanischen Einheit und die Vereinten Nationen gegen das Recht auf Sezession und auf die Erhaltung der staatlichen Einheit ausgesprochen. In Europa selbst hat kein Staat die Separationsbewegungen der Basken oder der Südtiroler unterstützt. Was notwendig ist, ist der Schutz der Autonomie der unterschiedlichen Volksgruppen in einem Staat, die Anerkennung ihrer kulturellen Identität und politischen sowie ökonomischen Rechte. Nur dann ist die Herauslösung aus einem staatlichen Verband gerechtfertigt, wenn dies dem einvernehmlichen Willen aller beteiligten Völker entspricht.
Wenn die Völker und Republiken Jugoslawiens die Auflösung des Staatsverbandes bzw. die staatliche Unabhängigkeit einzelner Republiken beschließen, ist dieser Wille zu respektieren. Es kann aber nicht Sache fremder Staaten sein, durch vorzeitige Anerkennung einzelner Republiken, die Spaltung und den Zerfall eines Staates zu beschleunigen. Dies ist kein Beitrag zur Beendigung des Bürgerkrieges.
Wir fordern daher die Bundesregierung auf, ihre Pläne zur Anerkennung Sloweniens und Kroatiens fallen zu lassen, und im Rahmen der EG, der KSZE und der UNO zu der Beendigung des Bürgerkrieges und zur friedlichen Beilegung der ethnischen und sozialen Probleme beizutragen. (zitiert nach "Demokratie und Recht")
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