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Kriegsdienstverweigerer in Armenien
Erste Abschiebung eines russischen Kriegsdienstverweigerers aus Armenien
von
Unsicherheit verbreitet sich in der russischen Exil-Gemeinschaft in Armenien nach der Festnahme und Auslieferung eines geflüchteten Soldaten durch die russische Militärpolizei (FES). Er wurde am Flughafen von der FES festgenommen, in die russische Garnison in der armenischen Stadt Gyumri gebracht und von dort vom Militärflughafen nach Russland ausgeflogen. Im vergangenen Jahr änderte Armenien auch die Bedingungen für die Befreiung vom Militärdienst, die es vorher in dem hochmilitarisierten Land nicht gab. Nun können sich junge Männer für eine bestimmte Zeit von diesem Dienst freikaufen.
Dmitry Setrakov, 20 Jahre, war nach Armenien geflohen, um dort im Exil zu leben. Am 6. Dezember wurde er von der russischen Sicherheitspolizei am Flughafen festgenommen und in ein Militärgefängnis der russischen 102. Militärgarnison in Gymumri gebracht. Zunächst wurde er wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe zu 27 Tagen Arrest verurteilt, nun hat ihn das russische Militär nach Rostov-am-Don in den südlichen Militärbezirk Russlands ausgeliefert.
In Armenien glaubte sich Setrakov sicher vor dem Zugriff durch den russischen Staat, so wie Tausende andere russische Bürger, die seit dem Kriegsausbruch nach Armenien geflüchtet sind. Bis jetzt konnten sie dort ohne Visum und ohne die Androhung der Abschiebung nach Russland leben. Kriegsdienstverweigerer fühlten sich zwar grundsätzlich nicht sicher, denn der russische Geheimdienst ist in dem Land stark präsent. Doch bis jetzt weigerte sich die armenische Regierung, irgendwelchen Auslieferungsgesuchen aus Russland nachzukommen.
Die Armenische „Helsinki Citizens' Assembly Vanadzor“ hatte bis zuletzt die Auslieferung zu verhindern versucht und forderte von der Regierung den Schutz des Kriegsdienstverweigerers. Die Organisation versuchte, zu ihm Kontakt zu halten und seinen Fall zu vertreten, und hat auch weiterhin Kontakt zu seinem Rechtsanwalt in Russland. In einer ersten Öffentlichkeitskampagne machten sie auf seinen Fall aufmerksam und forderten die Einhaltung seines Rechtsschutzes (1). Denn formal ist es der russischen Militärpolizei nicht erlaubt, Menschen, die sich in Armenien aufhalten, festzunehmen und ohne Zustimmung Armeniens nach Russland auszuliefern. Und da Setrakov nicht zur in Armenien stationierten Einheit gehörte, seien sie widerrechtlich gegen ihn vorgegangen. Die zwangsweise Abschiebung nach Russland wäre nur über ein Auslieferungsgesuch möglich gewesen. In Russland drohen ihm die Verurteilung und eine jahrelange Haftstrafe oder die Versetzung an die Front.
Anscheinend rechnete die russische Militärbehörde erst gar nicht mit einer Zustimmung, sondern schuf Fakten. Seit dem Berg-Karabach Krieg ist das Verhältnis zwischen Armenien und Russland stark belastet. Russland wirft der Regierung eine Zuwendung zum Westen vor. Umgekehrt wirft Armenien Russland ein Nichteinschreiten seiner sogenannten Friedenstruppe im Berg-Karabach Krieg vor. Durch die Missachtung der Souveränität und Zuständigkeit Armeniens hat Russland erneut gezeigt, wie es sich darüber hinwegsetzt. Die Militärgarnison in Gymnri ist mit rund 10.000 Soldaten einer der größten Stützpunkte außerhalb Russlands und ein sensibles Pfand in den zwischenstaatlichen Beziehungen beider Länder.
Neues Gesetz zum Freikauf vom Militärdienst in Armenien
Der Militärdienst in Armenien wurde in der Vergangenheit rigoros umgesetzt, denn das Land gehört zu den meist militarisierten Ländern der Welt. Es fühlt sich aufgrund der Vergangenheit (Holocaust an den Armeniern durch die Türkei) und den gewaltsamen Konflikt mit Aserbaidschan um Berg-Karabach von zwei Seiten bedroht. Laut dem Global Military Index von BICC (Bonn International Centre for Conflict Studies) rangiert Armenien nach der Ukraine und Israel auf Rang Drei im weltweiten Vergleich. (2)
In Armenien gilt die allgemeine Wehrpflicht von 24 Monaten für Männer zwischen 18 und 27 Jahren. Männer über 27 Jahre müssen als Reservisten jederzeit bereitstehen und sich regelmäßigen Reservistenübungen unterziehen. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wird nur religiös motivierten Personen zugestanden, die meisten von ihnen Zeugen Jehovas. Da es schwer möglich ist, offiziell den Militärdienst zu entkommen, nutzen die meisten die Migration als Möglichkeit. Das armenische Verteidigungsministerium spricht von 16.000 Militärdienstentziehern zwischen 1991 und 2000 (3).
Zukünftig können sich Männer über 27 Jahre vom Militärdienst freikaufen, so sieht es das neue Militärgesetz vor, das Ende letzten Jahres verabschiedet wurde. Wer sich auf Lebenszeit freikaufen möchte, zahlt an das Militär 37.000 Dollar, wer nur 12 Monate dienen will, zahlt z.B. 6.250 Dollar und dazwischen gibt es eine entsprechende Staffelung (3). Die Gelder fließen direkt in den Etat des Militärs, das Freikaufen ist also keine wirklich Alternative für Kriegsdienstverweigerer, die das Militär nicht unterstützen wollen. Und was mit jungen Männern unter 27 Jahren geschieht, ist nicht klar geregelt. Sie müssen weiterhin versuchen, durch Freistellungen für Studium, Unabkömmlichkeit bei der Familie oder Auslandsaufenthalt der Einberufung zu entkommen.
Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern im Kaukasus
Zusammen mit Partnern im Süd-Kaukasus hat „act for transformation“ nach Ausbruch des Ukraine-Krieges 2022 das „Caucasian Conscientious Objectors Network“ initiiert (4). Es wurde eine Hotline für Kriegsdienstverweigerer in Georgien und ein telegram-Kanal installiert. Ein Netz von Berater*innen wurde geschult und Verweigerer aus Russland und der Ukraine bei Fragen zum Asyl oder Weiterreise in andere sichere Länder beraten. Bis jetzt galt Armenien als sicheres Land für russische Kriegsdienstverweigerer. Wenn jetzt russische Kriegsdienstverweigerer jederzeit Gefahr laufen können, von russischer Militärpolizei in dem Land festgenommen und in die Kaserne gebracht zu werden, kann sich kein Russe, der zur Fahndung ausgeschrieben ist, in Armenien mehr sicher fühlen. Zusammen mit der „Helsinki Citizens' Assembly Vanadzor“ (Armenien) und dem „Democraty Ressearch Institut“ (Georgien) wollen wir uns für einen sicheren Status von Kriegsdienstverweigerer in den beiden Ländern einsetzen. Das ist deshalb auch wichtig, da die Grenzen von Russland derzeit noch offen sind. Act for transformation in Deutschland und Georgien ist letztes Jahr auch Mitglied bei EBCO („European Bureau for Conscientious Objection“) geworden. Dort wollen wir zukünftig auch als Anlauf- und Dokumentationsstelle für den Kaukasus fungieren und am jährlichen Bericht über die Situation der Rechte für Kriegsdienstverweigerer mitarbeiten, die der Europäischen Kommission vorgelegt wird (5).
„Der Fall des russischen Verweigerer zeigt, wie dringend es ist“, so Rudi Friedrich von Connection e.V., „dass endlich die Möglichkeit humanitärer Visa für russische Kriegsdienstverweigerer in der EU und in Deutschland geschaffen wird.“ Die Kampagne #ObjectWarCampaign setzt sich für dieses Recht ein und fordert die Politik auf, das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung auch in Kriegszeiten endlich zu schützen.
Weitere Informationen über https://objectwarcampaign.org/
Anmerkungen
1 http://hcav.am
2 https://bicc.de/Publikationen/GMI_2023_GB_231204.pdf~dr2712
3 https://jam-news.net/fee-for-evasion-of-military-service-in-armenia/
4 https://act4transformation.net/
5 https://ebco-beoc.org/sites/ebco-beoc.org/files/attachments/2023-05-12-E...
Jürgen Menzel ist Koordinator von act for transformation und dem Um-Welthaus in Aalen.