Widerstand

Es braucht eine neue Kampagne Zivilen Ungehorsams gegen Atomwaffen!

von Ernst-Ludwig IskeniusArvid Jasper
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Der mit dem INF-Vertrag eingeläutete Abzug der atomaren Mittelstreckenraketen aus Deutschland war einer der zentralen Erfolge der deutschen Friedensbewegung. Dieser bislang einmalige Abrüstungserfolg wurde nicht im Hinterzimmer ausgehandelt, er wurde mit jahrelangem Druck von der Straße erzwungen. Millionen auf Demos, 3.000 Festnahmen bei Sitzblockaden, hunderte Verfahren im Rahmen der Kampagne „Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung“.

Heute fällt diese Errungenschaft wieder der Machtgier der alten Großmächte USA und Russland und ihrer Machtspiele mit der neuen Großmacht China zum Opfer. Was lange nicht mehr denkbar war, ist daher heute bittere Realität: Wir stehen vor einem neuen Wettrüsten.

Auch die Bundesregierung mischt in dieser atomaren Bedrohungsspirale mit. Nach dem Abzug der Pershing-II-Raketen aus Mutlangen gab es kaum noch öffentlichen Druck, doch einige Atombomben blieben. Im Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz sind 20 US-amerikanische Atombomben im Rahmen der nuklearen Teilhabe der NATO stationiert. Jede einzelne von ihnen kann mehr Zerstörung anrichten als die Bomben von Hiroshima und Nagasaki zusammen.

Der Internationale Gerichtshof stellte 1996 fest, dass schon der atomare Übungsbetrieb in der Abschreckungspolitik gegen das humanitäre Völkerrecht verstößt. Sowohl der Nichtverbreitungsvertrag wie auch der Zwei-plus-Vier-Vertrag verbieten Deutschland den Zugriff auf Atomwaffen. Dennoch üben deutsche SoldatInnen in Büchel regelmäßig den Atomwaffenabwurf - das ist ein permanenter Völkerrechtsbruch.

In Umfragen treten 71% der Bevölkerung Deutschlands für den Abzug und 88% gegen die geplante Modernisierung der Atomwaffen ein. Schon 2009 wurde der Atomwaffenabzug in den schwarz-gelben Koalitionsvertrag aufgenommen, 2010 kam dann ein fraktionsübergreifender Bundestagsbeschluss. Das Kanzleramt torpedierte diese hoffnungsvolle Entwicklung und wiegelte ab: eEs bräuchte eine weltweite Lösung. Eine Farce, denn in den folgenden Jahren boykottierte die Regierung völkerrechtswidrig die Verhandlungen zum neuen Atomwaffenverbotsvertrag.

Da alle anderen Mittel versagt haben, bleibt keine andere Wahl, als den zivilgesellschaftlichen Druck deutlich zu erhöhen. Ziviler Ungehorsam kann dabei genau das richtige Mittel sein. Mehr und mehr Menschen sind in den letzten Jahren im Rahmen der Aktionspräsenz der Kampagne „Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt“ bereits bewusst diesen Schritt gegangen.

Neben öffentlichem politischenm Druck ist das Ziel, die Verantwortlichen in Politik und Militär unter Rechtfertigungsdruck sowie zum Nachdenken zu bringen. Teil der Strategie ist auch, mit immer mehr Prozessen die Justiz zu zwingen, die Bundesregierung in die völkerrechtlichen Schranken zu weisen.

Als Aktionsformen haben sich zunächst Sitzblockaden vor den Toren des Atomwaffenstützpunkts bewährt. Dazu kam im September 2016 ein „Go-In“ initiiert durch das Jugendnetzwerk für politische Aktionen (JunepA), dem weitere Besetzungen des Militärgeländes folgten. Solche Präsenz auf dem Rollfeld und direkt an den Atombunkern greift deutlich in den Militärbetrieb ein. So werden Atomwaffen wieder Thema in den Medien, dem Verteidigungsministerium und darüber hinaus.
Die Kampagne Wider§pruch: Vom Atomwaffenlager bis in den Gerichtssaal sieht sich als Keimzelle für weiteren Zivilen Ungehorsam gegen Atomwaffen. In ihrem Rahmen sollen die Prozesse zu der Startbahnbesetzung 2016 bis vor das Bundesverfassungsgericht gebracht werden. Statt sich für den eigenen „Hausfriedensbruch“ zu verteidigen, wird umgekehrt die Bundesregierung beschuldigt, mit ihrem Völkerrechtsbruch einen dauernden Notstand herbeizuführen. Mit Clara Tempel hat die erste der Angeklagten Ende März ihren Widerstand gar hinter Gitter getragen.

Ziviler Ungehorsam sollte in der aktuell dramatischen Lage wichtiger Teil einer Bewegungsstrategie gegen die deutschen Atomwaffen sein. Wohl keine Massenaktionen wie im Braunkohlerevier – aber Dutzende gut vorbereitete Bezugsgruppen, welche die Atomwaffenübungen stören?

Katja Tempel als eine der Angeklagten sagte vor Gericht: „Was wäre, wenn alle so handeln würden wie wir? Dann wäre die Rollbahn rund um die Uhr besetzt. Es könnten keine Tornados starten oder landen; es könnten keine Atombombeneinsätze mehr geprobt werden; die Bedrohung wäre gebannt.“

Wenn wir uns alle dem Unrecht wirklich konsequent in den Weg stellen und diese Haltung auch vor Gericht weiter vertreten: Wer weiß, vielleicht kommt am Ende ein ähnlicher Urteilsspruch heraus, wie er nach 295 Prozessen gegen die Sitzblockaden in Mutlangen ausgesprochen wurde? Alle damaligen AktivistInnen wurden nachträglich freigesprochen.

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Ernst-Ludwig Iskenius ist Mitglied in der IPPNW.
Arvid Jasper ist beim Jugendnetzwerk für politische Aktionen aktiv. Er ist zudem Teil der Prozesskampagne Wider§pruch.