Ferien vom Krieg

„Es geht hier nicht darum, Spaß zu haben und neue Freundinnen zu finden“

von Barbara Esser
Ferien vom Krieg
Ferien vom Krieg

Das Projekt Ferien vom Krieg lädt seit 2002 junge Erwachsene zu Dialogseminaren aus Israel und der palästinensischen Westbank ein. Einfach war es nie, die ersten Seminare fanden während der zweiten Intifada statt. Seitdem haben drei Kriege mit hohen Opferzahlen und zahllose gewaltsame Zusammenstöße das politische Klima in Israel und Palästina verändert und radikale Stimmen enorm gestärkt. In diesem Jahr reisten die TeilnehmerInnen geprägt durch die sogenannte „Messerintifada“ an. Der Hass auf die andere Seite lässt Menschen zu Mördern werden und von Angesicht zu Angesicht töten. Auch die Ereignisse rund um den Tempelberg in Jerusalem prägten die Atmosphäre, und die palästinensischen TeilnehmerInnen kamen spürbar mit viel Hoffnungslosigkeit im Gepäck an.

In den Seminaren wird um Anerkennung gerungen. Viele Israelis äußern Kritik an der Besatzung und der israelischen Politik und fordern von den PalästinenserInnen das gleiche Maß an Selbstkritik. Diese sehen es nicht ein, den Israelis überhaupt noch etwas dafür anzubieten, dass ihre Rechte respektiert werden. Nicht einmal Anerkennung. Sie sehen die Israelis in der Pflicht, Zugeständnisse zu machen und die Situation zu ändern. 

Tamar aus Israel erzählt, wie sie dies empfunden hat: „Ich hatte die persönliche Erwartung, hier auch Freunde zu finden – palästinensische und israelische. Obwohl der Dialog in unserer Gruppe überraschenderweise sehr offen und respektvoll war, habe ich den Gedanken, FreundInnen finden zu können, aufgegeben. Ich habe verstanden, dass dies für die PalästinenserInnen Normalisierung sein kann und die Legitimierung der Besatzung bedeuten könnte. Und dass eine Freundschaft mit mir nicht wirklich ihren Erwartungen an das Seminar entsprach.“

Es sind oft kleine Schritte der Anerkennung, die viel verändern können, aber auch viel Mut erfordern. In den Dialogrunden folgen viele einer „Agenda“, manche repräsentieren sogar Meinungen, die viel radikaler sind als ihre eigenen, weil sie diese in dem Seminar nicht genug vertreten sehen. Es sind oft persönliche Gespräche zwischen Einzelnen, die diese festgefahrenen Positionen aufweichen. In diesem Jahr sah man TeilnehmerInnen in ihrer Freizeit ernsthaft und kontrovers diskutieren. Lina, Palästinenserin aus Ost-Jerusalem, erzählt später: „Ich bin mir sicher, dass ich nun nach dem Seminar nicht mehr die dieselbe bin wie zuvor. Bevor ich hierher kam, hatte ich diese naive, unrealistische Idee, dass wir den Konflikt lösen und die Besatzung beenden könnten, indem wir einfach alle Israelis rauswerfen. Aber nachdem ich sie kennengelernt, ihnen zugehört und gehört habe, was sie zu sagen haben, und nachdem ich Zeit hatte, darüber realistisch nachzudenken, wurde ich mir bewusst, dass dies nicht die Lösung sein kann.“

In die Realität zurückzukehren, ist für alle schwer. In Palästina sind Dialogseminare verpönt, und die meisten erzählen nur im engsten Familienkreis von ihrer Teilnahme: „Viele Menschen aus meiner Gesellschaft zuhause, die die Dinge nur oberflächlich betrachten und Urteile darüber fällen, ohne näher hinzuschauen, würden behaupten, dass ich eine Verräterin bin. Und dass ich durch die Teilnahme an diesem Seminar meine Beziehung mit Israel normalisiere“, erzählt Lina. „Doch meine besten FreundInnen und meine Familie verstehen, warum ich hierhergekommen bin. Und dass das, was hier passiert, alles andere als Normalisierung ist. Es geht hier nicht darum, Spaß zu haben, zu feiern und neue FreundInnen zu finden. Die Tatsache, dass ich hier bin, hat ein Ziel.“

In den letzten zwei Jahren äußerten auch immer mehr Israelis, dass sie sich harscher Kritik ausgesetzt sehen, wenn sie von Seminaren wie Ferien vom Krieg berichten. Tamar zeigte sich am Ende nachdenklich: „Ich fliege morgen zurück nach Israel. Das wird nicht einfach werden. Die Ansichten, die ich vertrete, sind wirklich links, und die Leute in Israel möchten so etwas nicht hören. Seit Netanjahu Premierminister ist, ist 'links' zu einem Schimpfwort geworden. (…) Und ich weiß, dass auch meine Eltern anders denken. Ich werde mit meiner Position allein sein und deshalb stark sein müssen, um diese neuen Perspektiven, die ich hier bekommen habe, nicht zu verlieren.“

Das Ergebnis erbitterter Auseinandersetzungen sind am Ende oft kleine Gesten oder einzelne Worte der Anerkennung. Lina sagt: „Hier ist mir bewusst geworden, dass wir alle Opfer der Situation sind. Nicht auf die gleiche Art und Weise, und natürlich gibt es Unterschiede, die einen sind die Besatzer und die anderen die Besetzten, aber wir leben alle in ständiger Angst und Stress.“

Mehr Informationen und ein Spendenkonto unter: http://ferien-vom-krieg.de/

Jährlich veröffentlichen wir eine ausführliche Broschüre über die Seminare, die wir Ihnen gerne kostenfrei zuschicken: info [at] ferien-vom-krieg [dot] de oder 0221- 9726918

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Barbara Esser arbeitet seit 2009 im Projekt und ist seit 2013 hauptamtliche Koordinatorin von Ferien vom Krieg.