Es tut sich was! Bündnis zur Rettung der Ozonschicht

von Bruno Kern

An die regelmäßigen Nachrichten vom wachsenden Ozonloch und einer dramatisch fortschreitenden Ausdünnung der Ozonschicht insgesamt (nun auch über Deutschland) haben wir uns beinahe schon so gewöhnt wie an den Wetterbericht. Es ist verwunderlich und erschreckend zugleich, daß sich gegen eine der drängendsten Gefahren bis jetzt kaum nennenswerter Widerstand regte. Folgende Gründe scheinen mir dafür ausschlaggebend:

1. Die "ökologische Auszeit insgesamt: Die fortschreitende ökologische Zer­störung ist kaum noch Thema. Sie wird propagandistisch zugekleistert, und die Menschen in den sozialen Bewegungen müssen sich zurzeit mit anderen innenpolitisch erzeugten Problemen (z.B. der Gewalt von rechts) auseinandersetzen. So verlie­ren wir wertvolle Zeit.

2. Bei einem guten Teil der "Linken" ist Ökologie ohnehin im Verdacht, eher Thema reformistischer oder sogar re­aktionärer Kräfte zu sein. Das ist eine gefährliche Kurzsichtigkeit. Die Be­wältigung der ökologischen Pro­bleme wird über kurz oder lang alle Politikfelder betreffen und ist Vor­aussetzung für die Erhaltung von Demokratie genauso wie für die Durchsetzung gerechter Nord-Süd-Beziehungen.

3. Beim speziellen Problem der Ozon­schichtzerstörung kommt noch eine besondere Art von Resignation dazu: Wegen der berühmten Langzeitwir­kung der Ozonkiller (sie beginnen ihr Zerstörungswerk erst 10 - 20 Jahre nach ihrer Freisetzung) gehen viele davon aus, daß wir jetzt ohnehin nur noch abwarten können - ein fataler Irrtum!

4. Die Folgen der Ozonschichtausdün­nung werden schlicht verharmlost. Es geht nicht einfach nur um den Haut­krebs, gegen den wir uns mit Sonnen­schutzfaktor 20 schützen könnten; es geht nicht einmal nur um die Schwächung unseres Immunsystems, nein: Es geht um schwere Beein­trächtigungen des gesamten tie­rischen und pflanzlichen Lebens.

Dabei standen die Chancen, etwas zu er­reichen, zunächst nicht schlecht: In aus­nahmslos allen Anwendungsbereichen gibt es praktikable, umweltverträgliche Alternativen; es geht um eine relativ kleine, überschaubare Produktgruppe und es geht weltweit um eine Handvoll Firmen; der Produktionsausstieg hätte keinerlei volkswirtschaftliche Konse­quenzen, und er wäre politisch völlig unkompliziert per Gesetz zu erreichen. Wir haben es hier mit einem Zynismus besonderer Art zu tun: Die ozonschicht­zerstörende Wirkung der meisten betref­fenden Stoffe ist seit über 20 Jahren be­kannt. Es geht offensichtlich nur darum, an einem Abfallprodukt der Chlorche­mie weiterzuverdienen, solange es eben geht.

Anfang dieses Jahres ist es erstmals ge­lungen, ein breites "Bündnis zur Rettung der Ozonschicht" zu schaffen. Viele kleine lokale Initiativen wirken darin ebenso mit wie renommierte Organisa­tionen (Robin Wood, BUND, Die Grü­nen, usw.). Die Initiative ging von Pax Christi aus. Vom 5. April bis zum 1. Mai fanden bundesweite Aktionswo­chen statt. Dezentrale Aktionen in der Verantwortung der jeweiligen Gruppen hatten als gemeinsamen Bezugspunkt die politischen Forderungen des "Göttinger Appells". Inhaltlich ist in diesem gemeinsamen, an Bundeskrebs­hilfeminister Töpfer gerichteten Aufruf folgendes wichtig:

1. In den Köpfen vieler Menschen wird das Ozonloch immer noch aus­schließlich mit den FCKWs in Ver­bindung gebracht. Das ist ein gefähr­licher Kurzschuss. Es ist jetzt schon abzusehen, daß Töpfer im Wahljahr 1994 einen längst überfälligen Aus­stieg aus den harten FCKW propa­gandistisch gut verkauft. Als "Ersatz" werden von Töpfer und den entspre­chenden Firmen die teilhalogenierten FCKW (H-FCKW) angepriesen, die ebenfalls - wenn auch nicht im selben Maße - die Ozonschicht zerstören. Der "Göttinger Appell" fordert dage­gen den Sofortausstieg aus Produk­tion und Anwendung aller Ozonkil­ler, da es für alle Bereiche Alternati­ven gibt. Einige der Ozonkiller sind kaum noch im öffentlichen Bewußt­sein. So etwa das Pestizid Methyl­bromid (man verwendet es haupt­sätzlich zur Schädlingsbekämpfung in Getreidesilos), das zu etwa 5 - 10 % zur Zerstörung der Ozonschicht beiträgt.

Ozonkiller finden sich übrigens auch in Alltagsprodukten, in denen sie von den meisten Menschen gar nicht vermutet werden, so etwa in Sport­schuhen (als Aufschäummittel), in Surfbrettern, usw.

2. Wir wollen den verhängnisvollen Mythos zerstören, daß wir jetzt ohne­hin nichts mehr machen können. Wir haben es durchaus noch in der Hand, die Wirkung der bereits freigesetzten Ozonkiller zu beeinflussen. Die von Flugzeugen emittierten Stickoxyde zum Beispiel steigern die aggressive Wirkung der Ozonkiller. Deshalb sind wichtige Forderungen des "Göttinger Appells" die Reduzierung des Fernflugverkehrs durch eine Treibstoffabgabe und ein Verbot von Kurzstreckenflügen. Es gibt übrigens einen viel zu wenig bekannten engen Zusammenhang zwischen dem Treibhauseffekt und dem Ozonloch: Einerseits tragen die Ozonkiller mit etwa 20 % zum Treibhauseffekt bei, und andererseits verstärkt und be­schleunigt die Erderwärmung die ag­gressive Wirkung der Ozonkiller. Diese "positive Rückkopplung" gilt es zu durchbrechen.

Wie geht es nach den Aktionswochen weiter? Zunächst werden die Gruppen mit dem "Göttinger Appell" weiterar­beiten. Er kann massenhaft bezogen werden bei: DIE GRÜNEN, Versand, Heerstr. 172, 5300 Bonn 1, Te.: 0228/63 92 55. Die Idee ist, daß nicht in erster Einzelpersonen, sondern Initiativen, Verbände, Gremien aller Art den "Göttinger Appell" unterzeichnen, von Kirchengemeinden über AStAs bis zu Betriebsräten. Davon versprechen wir uns einen Politisierungsprozess auf möglichst vielen Ebenen und ein ent­sprechendes Signal an den Bundeskrebshilfeminister.

Nach der Sommerpause wird ein Ratschlag der beteiligten Gruppen des Bündnisses stattfinden. Ziel ist, für das Mammutwahljahr 1994 eine Kampagne auf die Beine zu stellen, die wieder viele dezentrale Aktionsmöglichkeiten mit gemeinsamen, bundesweiten Elementen verbindet. Es zeichnet sich jetzt schon ab, daß diese Kampagne wegen der en­gen Zusammenhänge thematisch aus­geweitet wird auf Ozonloch und Klima. Eine Großdemo in Bonn im Vorfeld der Bundestagswahlen wird wahrscheinlich ein Element der Kampagne sein.

Ökologie muß wieder ganz vorne auf die Tagesordnung. Wenn wir uns dabei auf das derzeit drängendste Einzelpro­blem konzentrieren, dann sind wir uns dessen bewusst, daß es letztlich nur um den Umbau der Industriegesellschaft insgesamt gehen kann. So kämpfen wir zunächst um das Verbot der Ozonkiller, aber mit der Perspektive, mittelfristig einen Ausstieg aus der Chlorchemie insgesamt zu erreichen. Das Aufgreifen einiger überschaubarer, gut nachvoll­ziehbarer Forderungen soll die alles ent­scheidende Frage unserer Zivilisation wieder politikfähig machen.

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