Eskalationsschritte im Atomstreit zwischen EU-3 und Iran

von Clemens Ronnefeldt

Die Eskalation im Atomstreit zwischen EU-3 und Iran war keineswegs unvermeidbar. Die im nachfolgenden Text zusammengefassten Dokumente können nachgelesen werden unter http://www.bits.de/main/archiv/iran1.htm

  1. November 2003: Vereinbarung zwischen Iran und EU-3 in Teheran

Mit dieser Vereinbarung unterzeichnete Iran das Zusatzabkommen zum Atomwaffensperrvertrag. Damit unterwarf sich Teheran erweiterten Informationspflichten und unangemeldeten Inspektionsbesuchen seiner Atomanlagen durch die IAEO - und hielt diese Verpflichtung in der Folgezeit auch ein. Iran erklärte sich zusätzlich bereit, freiwillig alle Urananreicherungs- und Wiederaufarbeitungsarbeiten vorläufig auszusetzen, bis eine Dauerlösung gefunden sei.

Die EU bestätigten das Recht Irans zur friedlichen Nutzung der Atomenergie in vollem Umfang. Nach der Klärung des Konfliktes versprach die EU-3 einen besseren Zugang zu Hochtechnologien sowie zur Zusammenarbeit im Rahmen einer regionalen Sicherheitszone.

Folgen der Vereinbarung:

Weil Iran die Bauarbeiten an der Urankonversionsanlage in Esfahan fertigstellte und Arbeiten an der Urananreicherungsanlage in Natanz weiterführte, sahen die EU-3 dies als Vertragsverletzung. Iran bestand auf der formal korrekten IAEO-Definition, wonach der Bau von Zentrifugen noch nichts mit der Anreicherung von Uran zu tun habe, ebenso die in Esfahan durchgeführte Konversion weiterhin erlaubt sei.

  1.  November 2004: Vereinbarung zwischen Iran und EU-3 in Paris

In Paris sagte Iran zu, weiterhin freiwillig die Urankonversion in Esfahan auszusetzen, ebenso die Urananreicherung in Natanz, so lange die Verhandlungen andauern. Teheran stimmte der Versiegelung der Anlagen durch die IAEO zu. Die EU-3 engten die Spielräume aus dem Abkommen von Teheran für Iran weiter ein, indem sie nun auch das Verbot des Baus von Zentrifugen und Kaskaden durchsetzten, woran sich Teheran auch in der Folgezeit hielt.

Die EU-3 bestätigten der Regierung in Teheran, dass die iranischen Maßnahmen aus dem Paris-Abkommen vertrauensbildende Maßnahmen seien, zu denen Iran nicht verpflichtet sei, und sagten zu, bei Irans Bemühungen zur Aufnahme in die WTO unterstützend tätig zu werden. Teheran wollte als wichtigsten Punkt klare Sicherheitsgarantien, in Zukunft nicht angegriffen zu werden, und erwartete hierfür Zusagen der EU-3.

Im Dezember 2004 sollten Verhandlungen zur Regelung aller noch offenen Fragen beginnen.·

Folgen:

Im Dezember begannen tatsächlich regelmäßige Verhandlungen, im März 2005 zog die US-Regierung ihre Vorbehalte gegen WTO-Aufnahmegespräche weitestgehend zurück und stellte bei einem Verhandlungserfolg sogar die Lieferung von Ersatzteilen für die zivile Luftfahrt in Aussicht. Im Gegenzug sagten die EU-3 der US-Regierung zu, im Falle des Scheiterns der Verhandlungen den Fall Iran vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen.

Der Streitpunkt entzündete sich daran, dass die EU-3 „objektive Garantien" in völkerrechtlich verbindlicher Form von Iran einforderte, allerdings selbst nur ,,feste Garantien" seiner politischen Vorschläge anbot, was Teheran erst verspätet realisierte.

  1. Schreiben Irans an die EU-3 vom 3. 5. 2005

Auf die bis Anfang Mai gemachten EU-3-Vorschläge ging Iran am 3.5.2005 mit einem als konstruktiv zu bezeichnenden Brief ein.

Iran sagte zu, das IAEO-Zusatzprotokoll zu ratifizieren, erklärte seine Bereitschaft zum Betrieb eines offenen Brennstoffkreislaufes ohne Wiederaufarbeitung sowie zu einem Gesetz, das die ausschließliche zivile Nutzung der Atomenergie festschreibt.

Im Gegenzug erwartete Iran Zugang zu EU-Hochtechnologie, einschließlich Atomanlagen, Sondierungsgespräche über die Lieferung weiterer EU-Atomkraftwerke, Zusagen über die Lieferung nuklearer Brennstoffe sowie von Rüstungsexporten, Zugang zu EU-Märkten und EU-Investitionsmöglichkeiten sowie die Aufhebung technologischer Sanktionen der G-8-Staaten. Iran erwartete in diesem Schreiben auch die Bereitschaft der EU-3 zur Initiative für eine ABC-waffenfreie Zone im Nahen und Mittleren Osten.

Folgen:

Die für Ende Juli 2005 zugesagte Antwort der EU-3 verzögerte sich, weil diese den Ausgang der iranischen Präsidentschaftswahlen abwarten wollte. Iran kündigte daraufhin an, unter IAEO-Aufsicht Anfang August 2005 die Urankonversion in Teheran wieder aufzunehmen. Die EU-3 sahen darin eine Vertragsverletzung und beantragten eine IAEO-Sondersitzung.

  1. Schreiben der EU-3 an Iran vom 5.8.2005

In ihrem Schreiben vom 5.8.2005 forderten die EU-3 von Iran den Verzicht auf alle Aktivitäten eines geschlossenen Brennstoffkreislaufes, schlugen den ausschließlichen Bezug von Brennelementen aus dem Ausland vor, forderten die Ratifizierung des IAEO-Zusatzabkommens zur verschärften Überwachung bis Ende 2005 sowie die Verpflichtung Irans, niemals in Zukunft aus dem Atomwaffensperrvertrag auszutreten.

Im Gegenzug sagten die EU-3 den Zugang zu Nuklearbrennstoffen zu, boten Hilfen bei der Stilllegung und alternativen Nutzung iranischer Atomanlagen an und offerierten eine Sicherheitsgarantie der beiden Nuklearmächte Frankreich. und Großbritannien.

Folgen:

Iran reagierte auf diese Vorschläge, die bisher keinem Land der Welt in dieser Schärfe zugemutet wurden, äußerst ablehnend. Die iranische Empörung richtete sich vor allem gegen die Forderung nach einem Verzicht von Anlagen selbst des offenen Brennstoffkreislaufes.

Auf Druck der USA und der EU-3 formulierte der IAEO-Gouverneursrat am 24.9.2005 - ohne Konsens, sondern im Mehrheitsprinzip - eine Resolution, die Iran eines förmlichen Vertragsbruches anklagte, ohne dass dies von den Fakten ausreichend gedeckt gewesen wäre.

  1. Vorschläge Russlands und Irans vom Oktober und November 2005

Der Vorschlag Irans vom Ende letzten Jahres, andere Länder an der Urananreicherung in Natanz zu beteiligen, stieß bei den EU-3 wie auch der US-Regierung auf schroffe Ablehnung, da diese sich auf ein generelles Nein zur Anreicherung auf iranischem Boden verständigt hatten.
Die Vorschläge Russlands zum Betrieb einer Urananreicherungsanlage für Iran und Russland auf russischem Boden wurden von Iran abgelehnt, weil sie keine Antworten für die Verwendung von hoch qualifiziertem iranischen Personal - schätzungsweise allein etwa 4000 Ingenieuren in der Atomindustrie - vorsahen, die bei Umsetzung der Vorschläge zu einem großen Teil arbeitslos geworden wären.

Dennoch scheint gerade der russische Vorschlag noch immer diplomatische Spielräume zu bieten und ist noch nicht ausgereizt.

Nach Öffnung der Siegel der Anreicherungsanlage in Natanz Anfang Januar 2006 brachen die EU-3 die Gespräche mit Iran ab und erklärten die Verhandlungen für gescheitert.

Bei sachlich-nüchterner Betrachtung fällt rückblickend auf, dass trotz einiger berechtigter Kritikpunkte der EU-3 an der Atom-Politik Teherans wie z.B. der verspäteten Meldung einiger Anlagen an die IAEO nicht Iran, sondern die EU-3 durch ihre provokativen Maximal-Forderungen vom 5.8.2005 die Hauptverantwortung für das Abbrechen der Gespräche und die derzeitige Eskalation tragen. Dies sehen eine ganze Reihe von Friedensforschern ebenso, u.a. auch Otfried Nassauer, Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit oder Bernd W. Kubbig von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt: „Die EU hat sich aber, teilweise selbst verschuldet, als ernsthafter Partner Teherans aus dem Verhandlungspoker herauskatapultiert. Zu den Gründen zählen die unrealistischen Annahmen über Teherans Verhalten und überzogene Forderungen" (Süddeutsche Zeitung, 3.1.2006), so Kubbig.

Trotz der weit fortgeschrittenen Eskalation könnten die EU-3 im Atomstreit mit Iran einige Konfliktlösungsansätze forcieren, in dem sie Initiativen ergreifen für

  • eine Vermittlung durch den UN-Generalsekretär oder andere hochrangige Mediatorinnen
  • eine Multilateralisierung der Urananreicherung unter Kontrolle der IAEO
  • eine ABC-waffenfreie Zone in der Region, die auch Israel einschließt
  • ein regionales Kooperations- u. Sicherheitssystem
  • eine Intensivierung bestehender Städte- und Universitätspartnerschaften zwischen Iran und EU.

Die EU-3 werden diese Initiativen vermutlich kaum von sich heraus angehen. Daher ist es höchste Zeit, dass zivilgesellschaftliche Gruppen schnellstmöglich politischen Druck auf die Regierungen Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens ausüben - und auch einige Fakten in der Öffentlichkeit klarstellen.

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Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.