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Europa von unten - Sichtweisen aus der Helsinki Citizens' Assembly
von"Die Aufgabe der gesamteuropäischen Integration muß von einer breiten Öffentlichkeit getragen werden. Der Helsinki-Prozess ist zu wichtig, um allein den Regierungen und den Politikern überlassen zu bleiben, die an ihre jeweiligen nationalen Prioritäten gebunden sind. Dieser Prozess bedarf der ständigen Verstärkung und Vertiefung durch die Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern aller Unterzeichnerstaaten der KSZE!" So die Worte aus dem Prager Gründungsappell der Helsinki Citizen Assembly von 1990.
Europa von unten hört sich gut an. Es suggeriert Gemeinsamkeit und Solidarität der Menschen. Es klingt, als ob die wohlverstandenen Interessen aller die Politik als Ganzes bestimmten. Ja, ein Hauch jener Verse verbindet sich mit dem Slogan 'Europa von unten`, in denen es heißt: "Sprechen erst die Völker selber, werden sie schnell einig sein." Gute Hoffnungen, wichtige Ermutigungen in einer Zeit, die so sehr von Skepsis geprägt ist. Doch kann man sich derartig einfache, schöne Bilder noch leisten angesichts einer zerklüfteten politischen, ökonomischen und sozialen Landschaft? Ja, angesichts der Entstehung einer Festung Europa, einer Festung der Reichen, die nicht einmal Europa zusammenbringt, sondern vielmehr Europa mit neuen Festungsmauern zertrennt - in Zonen der Integration und Zonen des Chaos und Absturzes, wobei das Integrationsgebiet selbst durch die Ausgrenzung ganzer Teile der Gesellschaft ebenso gekennzeichnet ist, wie durch die Angst der Eingegrenzten, aus ihrer Insel der Wohlstandsglückseligkeit hinausfallen zu können.
Die soziale, wirtschaftliche und politische Situation der Menschen in Gesamteuropa klafft weit auseinander. Auf der einen Seite verbinden sich mit der supranationalen Integration im Westen Tendenzen der Entdemokratisierung und Fremdenfeindlichkeit. Auf der anderen Seiten sind vielfältige ethnisch-nationalistische Ideologisierung zu beobachten, die nicht zuletzt als Herrschaftsinstrumente alter und neuer Eliten in den ehemals bürokratisch-etatistischen Gesellschaften entwickelt und eingesetzt werden. In Ost und West wird immer deutlicher, wie sehr eine weitere Demokratisierung der Gesellschaft von der Entfaltung und wirksamen Arbeit von sozialen Bewegungen abhängen, deren Arbeit als Korrektiv für die oft so kurzatmige, taktische Parteinpolitik dient und darüber hinaus auf Problemlösungen orientierte langfristige soziale Lernprozesse befördert. Ein Europa von unten mit europäischer Gestaltungskraft wird es nur geben, wenn sich in den Gesellschaften der einzelnen Staaten und Regionen tatsächlich eine Basiskultur der BürgerInnen-Initiativen und sozialen Bewegungen entwickelt.
Nach allen Erfahrungen entstehen Basisaktivitäten nur aus Situationen, welche die Menschen materiell und/oder psychisch stark berühren, und die eine kollektive - also nicht individuelle - Antwort begünstigen. In der Regel werden solche Reaktionen eher nationalen Charakter haben. Europäische Gemeinsamkeiten von unten sind nur dort zu erwarten, wo gemeinsame Herausforderungen vorliegen, die in den einzelnen Gesellschaften in ähnlicher Weise psychisch aufgenommen werden. Solche Gemeinsamkeiten werden nur selten gesamteuropäischen Charakter haben. Wahrscheinlicher sind deshalb internationale Basiskooperationen zwischen einigen Ländern, die je nach Thematik variieren können.
Bei europaweiten Basisaktivitäten wird es vorrangig nicht um eine Vereinheitlichung von Forderungen gehen. Die Vielfalt der jeweiligen Lebensbedingungen erlaubt dies kaum. Die zentrale Aufgabe liegt in der Herausbildung von Vernetzungstrukturen, die gegenseitige Information, einen argumentativen Dialog und eine zumindest punktuelle Kooperation ermöglichen. In diesem Bemühen sehe ich die wichtige Aufgabenstellung der Helsinki Citizens' Assembly. (HCA)
Die Arbeit der HCA beruht nicht auf einer konkreten Utopie, wie Europa organisiert werden sollte. Gemeinsam ist jedoch allen, daß es sich um ein kooperatives Europa handeln müsse, in dem man sich nicht mehr gegenseitig bedroht. ...
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Der Utopi-Horizont richtet sich also auf eine gesamteuropäische Friedensordnung, in deren Rahmen die "zivile Gesellschaft" also die "Gesellschaftswelt" gegenüber der "Staatenwelt" eine bedeutsame Rolle spielen soll. Zivile Gesellschaft bezeichnet dabei den Bereich innerhalb der 'nationalen Gesellschaften', in dem sich die BürgerInnen selbständig organisieren, eigene Ziele selbst vertreten, ihre Kultur und Umgangsweisen bestimmen und selbstverständlich auch über Grenzen hinweg nach ihren Interessen Verbindungen und Kooperationen aufnehmen. Das alles ist nicht selbstverständlich: im Bereich der ehemals bürokratisch-etatistischen Gesellschaften des Osten ..versuchen vielfach noch die alten Eliten mit ihrem autoritären Verständnis, die Entfaltung zivilgesellschaftlicher Strukturen zu verhindern; im Westen machen die Machtfülle der Regierungsapparate, die geringe Unterstützung durch die Medien, über auch der ständige Kampf um die individuelle Existenzsicherung und die private Apathisierung der Menschen den zivilgesellschaftlichen Initiativen schwer zu schaffen. Das Ziel, ein Europa von unten aufzubauen, heißt also, sich auf einen weiten Weg einzulassen. Auf diesem Wege begegnet man der Repression der Staatenwelt, den Frustrationen der schwierigen Verständigungen in so unterschiedlichen Situationen dem unerhörten Reichtum der Kulturen, sowie der Herzlichkeit und dem Mut so vieler Menschen aus allen Himmelsrichtungen.
Die HCA arbeitet auf drei Ebenen: Es gibt mittlerweile 42 nationale Sektionen quer durch Europa, in Kanada und in den USA. Sie bearbeiten auch eigene Schwerpunkte. Die deutsche Sektion bemüht sich um einen Internationalisierung der Diskussion um den Aufbau Ziviler Friedensdienste und versucht die Arbeit der OSZE bezogen auf den Krieg gegen die Kurden in der Türkei durch die 'Gesellschaftwelt' mitzubestimmen. Die zweite Arbeitsebene bilden die thematischen Kommissionen: Zivile Konfliktbearbeitung und Friedenspolitik, Demokratie und BürgerInnenrechte, Ökonomie und Ökologie, Frauen. Die dritte Ebene besteht aus einem Internationalen Koordinationskomitee (ICC) und einem Präsidium. Wenn dieser Aufsatz erscheint, wird gerade die vierte Vollversammlung der HCA in Tuzla beendet sein. (siehe Artikel von Christine Schweitzer, Seite ...) Die vorhergehenden waren in Prag, Bratislava, und Ankara.
Die bisherige Arbeit der HCA hat eine kaum noch überschaubare Fülle von Initiativen und Projekten hervorgebracht. Ihr Schwerpunkt lag jedoch angesichts der vielen blutigen Konflikte und Kriege im Bereich der Konfliktbearbeitung in Bosnien, dem Kaukasus, der Türkei und Tsdchetschenien. Die Entstehung eines 'Eurpoa von unten' ist auf das engste mit der Beteiligung von unten verbunden.
Adressen:
Deutsche Sektion der HCA: Beate Roggenbuck, Augustastr. 41, 53173 Bonn, Tel.: 0228/355307, Fax: 0228/361830
Internationales Sekretariat: Milady Horakove 102, CZ-16000 Praha 6, Tel.: 0042/2/323259, Fax: 0042/2/323538