Feindbilder und Propaganda

von Gert Sommer

Politisches Bewusstsein und Handeln werden immer wieder von Feind-Freund-Kategorien bestimmt. Feindbilder (ich beziehe mich hier vorrangig auf äußere Feinde) haben die zentrale Funktion, Rüstung und Kriege zu rechtfertigen. Darüber hinaus stabilisieren sie Herrschaftssysteme, da sie von eigenen Problemen und Unzulänglichkeiten ablenken oder deren Ursachen dem „Feind“ zuschreiben. Schließlich haben Feindbilder die wesentliche Funktion der Selbstbild-Erhöhung: Da der Feind als minderwertig und gefährlich dargestellt wird, wird automatisch das Selbstbild erhöht. Ausgeprägte Feindbilder sind wichtige Indikatoren für die mögliche Eskalation eines Konfliktes hin zu einem Krieg. Daher kommt diesem Thema bei der Analyse zwischen- und innerstaatlicher Konflikte eine große Relevanz zu.

Feindbilder sind negative Vorurteile, die sich auf Gruppen, Ethnien, Staaten, Ideologien und Ähnliches, aber auch auf Einzelpersonen beziehen. Ausgeprägte Feindbilder sind oft mit Fantasien oder gar Handlungen zur Schädigung und Vernichtung des “Feindes” verbunden, andererseits auch mit ausgeprägten Gefühlen der eigenen Bedrohung. Feindbilder können durchaus einen “wahren Kern” haben, negative Wahrnehmung und Bewertung aber werden stark übertrieben. Westliche Feindbilder beziehen sich derzeit z.B. auf den Islam oder auf linke Regierungen in Mittel- und Südamerika.

Merkmale ausgeprägter Feindbilder
Bei Spannungen, Konflikten und Krisen können Feindbilder an Intensität zunehmen, insbesondere bei wahrgenommener materieller und kultureller Bedrohung. Die Fremdgruppe wird zunehmend pauschal negativ bewertet: Allein die Nennung des “Feind”-Namens (z.B. „Muslime“, „Juden“, „Asylanten“) führt zu einem Bündel negativer Bewertungen und Gefühle.

Ausgeprägte Feindbilder enthalten die folgenden zentralen Merkmale:

  • Negative Bewertung, z.B. als böse und unmoralisch.
  • Entmenschlichung: Da der Andere böse und bedrohlich ist, wird ihm die Menschlichkeit abgesprochen, ihm wird Empathie verweigert; er wird zur „Ratte“, zum „Schwein“ oder Ähnliches. Damit gelten moralische Normen nicht mehr: Dem Anderen dürfen Leid und Tod zugefügt werden. Mit der Entmenschlichung des Gegners geht somit – häufig unbemerkt – die eigene Menschlichkeit verloren.
  • Schuldzuschreibung: Dem “Feind” wird einseitig die Schuld zugeschrieben für negative Ereignisse und Konflikte bis hin zum Krieg. Negatives Verhalten des „Feindes“ wird antizipiert („worst-case-Denken“) und beim eigenen Handeln berücksichtigt: Dadurch kann sich das Handeln des Gegners - als sich selbst erfüllende Prophezeiung - tatsächlich negativ verändern.
  • Nullsummendenken: Für die eigene Seite ist alles gut, was dem „Feind“ schadet und alles schlecht, was ihm nutzt. Damit werden gemeinsamer Nutzen und gemeinsamer Schaden nicht mehr wahrgenommen. So ist z.B. die NATO für etwa zwei Drittel der weltweiten Militärausgaben verantwortlich – dieses Geld (zudem Material, Intellekt usw.) steht nicht mehr für humanitäre Projekte zur Verfügung.
  • Doppelter Standard: Vergleichbare Handlungen des „Feindes“ und der eigenen Seite werden gänzlich unterschiedlich bewertet: Die eigene Rüstung dient der Verteidigung, die des Gegners bedeutet Kriegsvorbereitung; Opfer der eigenen Seite sind Helden oder Märtyrer und „unschuldig“, die der anderen Seite sind Verbrecher oder aber kaum beachtenswert (z.B. der menschenverachtende Begriff „Kollateralschaden“).

Ausgeprägte Feindbilder enthalten somit drei wesentliche psychische Komponenten:

(1) Negative Kognitionen: Informationsaufnahme und -verarbeitung werden nicht differenziert;
(2) Negative Emotionen: Hass und Verachtung gegenüber dem „Feind“, keine Empathie; nicht selten auch Angst vor ihm.
(3) Handlungsimpulse: Die Bereitschaft, dem „Feind“ Schaden zuzufügen bis hin zur Vernichtung, die auch die Selbstvernichtung (als Helden- oder Märtyrer-Tod) einschließen kann.

Entstehung von Feindbildern
Bei der Entstehung von Feindbildern sind - neben individuellen und sozialen Faktoren - politische Bedingungen entscheidend: Politisch und gesellschaftlich relevante Personen und Gruppen können durch gezielte Handlungen und „Informationen“ Feindschaft erzeugen und/oder intensivieren. Eine große Bedeutung kommt dabei Propaganda und den Medien zu.

Die Bürger sind bei den Bildern, die sie sich von internationalen Ereignissen machen, weitgehend abhängig von Tatsachenbehauptungen und Interpretationsmustern, wie sie von Politikern, Journalisten und anderen Meinungsbildnern verbreitet werden. Dadurch wird Realität sozial konstruiert.

Um ein Feindbild zu etablieren, können u.a. folgende Strategien der Propaganda eingesetzt werden:

  • Informationen, die zur Stärkung des Feindbildes erwünscht sind - z.B. ein begangenes Unrecht -, wiederholen und aufwerten (z.B. als „typische“, beabsichtigte Tat; zudem werden die Folgen konkret und detailliert berichtet);
  • unerwünschte Informationen - z.B. ein Kooperationsangebot des „Feindes“ - unterschlagen oder in ihrer Bedeutung abwerten;
  • Ereignisse verkürzt darstellen, ohne die relevanten Hintergrundinformationen;
  • Interpretationen im Sinne des Feindbildes mitliefern, durch Text und insbesondere Bilder;
  • negative Ereignisse provozieren oder gänzlich erfinden.

Die gezielte (Des-)Informationspolitik wird in autoritären Regimen meist durch direkte Zensur der Medien erreicht; in Krisensituationen ist sie aber auch immer wieder in Ländern mit "freier" Presse zu beobachten (z.B. Chomsky, 2003). Ein paar Beispiele:

Kurz vor Beginn des Golfkrieges 1990/91 wurde der irakische Machthaber Saddam Hussein im Westen erheblich negativer dargestellt als in den Jahren zuvor, in denen er - trotz aller von ihm begangenen Verbrechen - hofierter Partner im Kampf gegen die „Mullahs“ war - er mutierte zum „neuen Hitler". Dazu trug wesentlich ein u.a. im UN-Weltsicherheitsrat vorgetragenes und weltweit von Medien verbreitetes Ereignis bei, nach dem irakische Soldaten in Kuwait Babies aus Brutkästen gerissen und ermordet hätten. Dies erwies sich später als von einer New Yorker PR-Agentur - im Auftrag der Regierung Kuwaits - realisierte Lüge zur psychologischen Vorbereitung des Krieges (MacArthur, 1993).

Der völkerrechtswidrige Irakkrieg 2003 wurde von den USA damit begründet, dass Irak Massenvernichtungswaffen besitze und Terrorgruppen unterstütze - beide Behauptungen konnten nicht belegt werden (Becker & Wulf, 2008).

Der völkerrechtswidrige Jugoslawien-Krieg 1999 - erstmals nach dem 2. Weltkrieg nahm Deutschland wieder militärisch direkt an einem Krieg teil - wurde von der NATO damit begründet, dass durch Jugoslawien ausgeübte Menschenrechtsverletzungen, insbesondere Vertreibungen von Kosovaren, beendet werden sollten. Faktisch aber wurden die Vertreibungen mit Beginn des NATO-Krieges und auch nach Kriegsbeendigung erheblich intensiviert (Sommer, 2001). Eine besondere Bedeutung zur Kriegsbegründung erhielt das „Massaker von Racak“, bei dem jugoslawischem Militär fälschlich unterstellt wurde, Zivilisten ermordet zu haben.

Die psychologischen Mechanismen zur Vorbereitung von Kriegen ähneln sich: Durch selektive Informationen und/oder Propagandalügen wird ein Feindbild geschaffen bzw. intensiviert, das die Kernelemente Gefährlichkeit und Minderwertigkeit des Gegners enthält. Dabei sind bildliche Darstellungen besonders bedeutsam, da sie intensive Emotionen auslösen können: So wurden z.B. vor Beginn des Jugoslawienkrieges täglich in der Tagesschau ausführlich Bilder von „Flüchtlingsströmen“, Kosovo-Albaner betreffend, gezeigt. Die erheblich größere Anzahl von Flüchtlingen nach dem Krieg - diesmal waren besonders Serben und Roma betroffen – wurden kaum mehr erwähnt. Die o.g. Beispiele wurden bewusst gewählt: Sie demonstrieren, dass die Bevölkerung auch in Demokratien mit Pressefreiheit systematisch fehlinformiert werden kann.

Abbau von Feindbildern
Da Feindbilder die zentralen Funktionen haben, das Selbstbild zu erhöhen und das eigene Handeln zu rechtfertigen, erscheint es - insbesondere bei "gekonnter" Propaganda - einfacher, sie aufzubauen als sie abzubauen. Sie sind weitgehend immun gegen empirische Widerlegungen.

Doch es gibt auch einige relevante Strategien zum Abbau:

Aufnahme bzw. Wiederaufnahme von Kontakten auf unterschiedlichsten Ebenen: Individuen, Gruppen, Kommunen, Institutionen, gesellschaftliche Meinungsführer.

Wiederaufnahme einer angemessenen Informationsverarbeitung: Sich nicht unangemessen von gesellschaftlich dominierenden Quellen und der aktuellen Deutungshoheit beeinflussen lassen; alternative Informationsquellen nutzen, z.B. FriedensForum, Friedensratschlag, Wissenschaft & Frieden, IPPNW, relevante und zuverlässige Internet-Quellen.

Gemeinsame Aufgaben bzw. Probleme identifizieren, so dass eine Kooperation mit dem „Feind“ erforderlich ist. Solche Aufgaben können z.B. Friedenssicherung, Bekämpfen von Armut und Umweltzerstörung sein.

Relevante Organisationen und Institutionen, Wissenschaftler und Prominente nehmen gegen das Feindbild Stellung.

Neben diesen eher pragmatischen Hinweisen gibt es weitere Strategien. Dazu gehört zum einen eine Sozialisation zu Empathie und Toleranz. Zum anderen Ideologiekritik, die u.a. die Überlegenheit der eigenen Kultur und Gesellschaftsordnung hinterfragt; zudem die eigene „Sicherheitspolitik“ hinsichtlich aggressiver und imperialer Komponenten analysiert. Schließlich sollte das Selbstbild der eigenen Gruppe und Nation so differenziert sein, dass auch die negativen Anteile wahrgenommen und psychisch integriert werden: Dadurch dürfte es weniger erforderlich werden, immer wieder „Feinde“ konstruieren zu müssen.

Literatur
Alexander, M.G., Brewer, M.B. & Herrmann, R.K. (1999). Images and affect: A functional analysis of out-group stereotypes. Journal of Personality and Social psychology, 77, 78-93.

Becker, J.M. & Wulf, H. (Hrsg.)(2008). Zerstörter Irak – Zukunft des Irak? Berlin: LIT.

Chomsky, N. (2003). Media Control. Hamburg: Europa Verlag.

MacArthur, J.R. (1993). Die Schlacht der Lügen. München: dtv

Sommer, G. (2001). Menschenrechtsverletzungen als Legitimationsgrundlage des Jugoslawien-Kosovo-Krieges? In J.M. Becker & G. Brücher (Hrsg.), Der Jugoslawienkrieg – eine Zwischenbilanz (S. 81-92). Münster: LIT.

Sommer, G., Becker, J.M., Rehbein, K. & Zimmermann, R. (Hrsg.)(1992). Feindbilder im Dienste der Aufrüstung. Marburg: AMW.

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Gert Sommer ist pensionierter Professor für Klinische Psychologie; Ehrenvorsitzender des Forum Friedenspsychologie und Vorstandsmitglied bei Wissenschaft & Frieden und. Zahlreiche Publikationen zu Friedenspsychologie, insbesondere Feindbilder und Menschenrechte. Soeben erschien sein Buch (zusammen mit Jost Stellmacher) zu „Menschenrechte und Menschenrechtsbildung“.