Wie steht es um die deutsche feministische Außenpolitik?

Feministische Außenpolitik – eine „unmögliche Allianz?

von Madita Standke-Erdmann
Schwerpunkt
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Seit ihrer Veröffentlichung im März 2023 sind die Leitlinien für eine feministische Außenpolitik (1), von zahlreichen Organisationen und zivilgesellschaftlichen Netzwerken kritisch beleuchtet worden. (2) Die Verankerung der feministischen Außenpolitik, in deren Sinne die Bundesregierung laut Koalitionsvertrag 2021 „Rechte, Ressourcen und Repräsentanz von Frauen und Mädchen“ (3) weltweit fördern möchte, stellt für viele einen wichtigen Schritt hin zu einer progressiveren Außenpolitik dar. Das Auswärtige Amt spricht hier sogar von einem „Kulturwandel“ in der Außenpolitik, der als Prozess gestaltet werden soll.

Wie steht es nun um die deutsche feministische Außenpolitik und was sollte sie (im besten) Fall beinhalten? Die folgende Ausführung will anhand zweier Schlaglichter – Aufarbeitung koloniale Vergangenheiten und Migrationspolitik – diesen Fragen kurz nachgehen.

Was macht eine feministische Außenpolitik aus?
Eine feministische Außenpolitik setzt sich eine menschenzentrierte, inklusive, bedarfs- und an Frieden orientierte außenpolitische Praxis zum Ziel. Sie folgt dabei einem intersektionalen Ansatz, welche sich der überschneidenden und gegenseitig bedingenden Machtstrukturen und Formen der Diskriminierung anhand von bspw. Klasse, race, gender und gender Identität oder Religionszugehörigkeit bewusst ist und sie aufbricht. Sie ist visionär, indem sie Utopien einer gerechteren globalgesellschaftlichen Zukunft in Zeiten multipler Krisen mit einem realistischen, auf Anwendung fokussierten Kern zeichnet. (4) Sie setzt sich globalen Machtstrukturen von Kapitalismus, Kolonialismus und Patriarchat entgegen und bezweckt ein Ende von Ausbeutung vom Menschen und planetarischer Ressourcen. Staaten, die sich einer solchen Außenpolitik verschreiben, sind sich der historisch gewachsenen Machtstrukturen und ihrer eigenen Rolle in deren Entstehung und (Fort)Bestehen bewusst und fördern deren Aufarbeitung und Abbau aktiv. Feministische Außenpolitik wirkt also transformativ. Strukturell arbeitet sie ressortübergreifend, also in allen global wirkenden Politikbereichen, wie bspw. der Migrations- oder Außenhandelspolitik. Sie ist partizipativ, anti-rassistisch und bezieht Stimmen gesellschaftlich marginalisierter Gruppen, wie LGBTIQ* und BIPOC in ihre Politikgestaltung mit ein. Sie wirkt im Tandem mit einer kritischen Zivilgesellschaft, die aus Graswurzel-, transnational-feministischen und Menschenrechtsorganisationen besteht. Dabei dreht sie nicht einfach an der Stellschraube, mehr Frauen in beispielsweise Friedensverhandlungen miteinzubeziehen, sondern verankert eine multiperspektivische und auf Teilhabe konzipierte Politik, die Gesellschaften ganzheitlich abbildet, im Zentrum ihres Handlungsbereichs. Sie bricht das zumeist ausschließlich militaristische Konzept von Sicherheit auf und gestaltet, an den Bedarfen von Menschen orientiert, sichere Lebensumstände. Der Frage folgend, wie Außenpolitik wo wirkt, ist sie damit kein nationales, sondern globales Anliegen.

Grundsätzlich sollte eine feministische Außenpolitik nicht als monolithisches Konstrukt verstanden werden. Sie entwickelt sich, auch im wissenschaftlichen Diskurs (5), stetig weiter und steht unter dem Eindruck der stark variierenden Auslegungen einzelner Staaten, die sich zu einer solchen Außenpolitik zumindest zeitweise verpflichtet haben.

Wie steht es um die deutsche feministische Außenpolitik?
Anders als viele der erwähnten Stellungnahmen zu den Leitlinien möchte dieser Text nun einen Blick auf die zwei ineinander verschränkten Themenfelder Aufarbeitung kolonialer Vergangenheiten und Migrationspolitik werfen, welche in den Leitlinien und ihrer Umsetzung kaum bis gar keinen Anklang finden.

Aufarbeitung kolonialer Vergangenheiten
Notwendigerweise liegt der Fokus beim Thema deutsche Vergangenheitspolitik sowohl innen- als auch außenpolitisch zumeist auf der Aufarbeitung der Shoah. Überlegungen zur deutschen kolonialen Vergangenheit und ihrer Fortschreibungen in einer von globalem Kapitalismus und Kolonialität gezeichneten Ungleichheitsverhältnissen bis in die Gegenwart beginnen erst langsam im öffentlichen Diskurs mit Blick auf Außenpolitik Fuß zu fassen. Es scheint, die deutsche Außenpolitik leide vielfach weiterhin an einer kolonialen Amnesie. (6) Im Sinne einer feministischen Außenpolitik muss sich die Bundesregierung zum Ziel setzen, die deutsche koloniale Vergangenheit systematisch aufzuarbeiten und deren Fortschreibungen in einem globalen Kontext zu reflektieren und aufzubrechen. (7) Das Kapitel der Leitlinien zur Kultur- und Gesellschaftspolitik reißt diese historische Verantwortung kurz an. Es ist bemerkenswert ernüchternd, dass sich das Thema nicht durch alle Politikfelder, die insbesondere die Zusammenarbeit mit Regionen und Menschen aus ehemals kolonisierten Regionen betrifft, niederschlägt. Die zurückliegenden bzw. laufenden Restitutionsdebatten um die Rückgabe von einem Kleinstanteil der tausenden sog. ‚Beninbronzen‘ sind hier nur ein zarter Anfang. Das Vorhaben, die Aufarbeitung durch Stipendien an Forscher*innen aus den ehemals kolonisierten Regionen voranzubringen, wirkt unüberlegt und unausgegoren. Auch der Verweis auf die Verwendung einer inklusiveren Sprache erscheint losgelöst vom Vorsatz einer systematischen Aufarbeitung. Deutscher Kolonialismus war Teil des pan-europäischen imperialen Projekts, für welches die Berliner Konferenz 1884 eine entscheidende Rolle spielte und das bis heute geopolitisch weitreichende Folgen hat. Deutschland profitiert nach wie vor von ausbeuterischen (neo)kolonialen Strukturen durch u.a. wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse mit insbesondere ehemals kolonisierten Teilen der Welt. Diese Komplexität wird jedoch mit keinem Satz in den Leitlinien erwähnt. Aufgrund der Abwesenheit eines selbstkritischen anti-rassistischen Bewusstseins, welches transnational und europäisch gedacht wird, können die Leitlinien dem Versprechen eines „Kulturwandels“, der transformativ und intersektional wirken soll, nicht gerecht werden.

Migrationspolitik
Wie passt dies nun mit dem Thema Migration zusammen und wieso sollte es als Teil einer (deutschen) feministischen Außenpolitik gedacht werden? Außenpolitik wirkt global. Sie betrifft Menschen in ihrem alltäglichen Leben. Auch Migrationspolitik muss hierin eingebettet werden. Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht, die meisten der nach Europa fliehenden Menschen stammen aus ehemaligen Kolonien. (8) Gründe für ihre Flucht sind mannigfaltig, doch einer der größten ist die gnadenlos voranschreitende globale Klimakrise, daraus entstehende Konflikte sowie Zusammenbrüche ganzer Landwirtschaften durch Dürreperioden, die das menschliche Überleben verunmöglichen. Europa zählt zu den größten Treibhausgasemittenten und ist bis heute an der Ausbeutung ehemals kolonisierter Regionen beteiligt. Gleichzeitig ist die europäische und deutsche Migrationspolitik auf Abschottung bzw. selektiv, am ökonomischen Wert von Arbeitskräften und nachweislich rassistisch konzipiert. Als eine der ehemaligen Kolonialmächte Europas trägt Deutschland maßgebliche Verantwortung für die weltweit eklatanten Ungleichheitsverhältnisse. Diese Absurdität kulminiert tagtäglich an den EU-Außengrenzen. Die zunehmende Abschottung und Militarisierung dieses tödlichste aller Grenzregime  zeigt sich  beispielsweise an der Involvierung von europäischen Rüstungskonzernen, für die Außengrenzen zu einem Testfeld geworden sind (9). Weiters wird die Instandhaltung dieses Regimes durch die mit öffentlichen Geldern gesicherte Subventionierung autokratischer Regierungen ehemaliger Kolonien befördert, wie das kürzlich beschlossene Migrationsabkommen mit Tunesien zeigt. Als Teil der EU akzeptiert die Bundesregierung das Sterben von Menschen in der Wüste oder im Mittelmeer, denen ihre Lebensgrundlage entzogen wurde. Die deutsche Migrations- und Grenzpolitik ist damit ein blinder Fleck in der derzeitigen Auslegung der feministischen Außenpolitik und ist alles nur nicht eines – feministisch.

Ausblick
Mit Blick auf diese beiden Themen mag man tatsächlich von einer „unmöglichen Allianz“ (10) sprechen. Bleibt zu fragen, für wen diese Außenpolitik gelten soll, in wessen Sinne sie feministisch ist und was der ihr zugrundeliegende Feminismus beinhaltet. Derzeit zeichnet sich eine oberflächliche, den deutschen wirtschaftlichen und politischen Interessen folgende liberalfeministische Auslegung ab. Die Hoffnung bleibt, dass innerhalb dieser Legislaturperiode Grundlagen gelegt werden, zumindest Akzente zu setzen. Aber es bleibt ein langer Weg.

Anmerkungen
(1)Auswärtiges Amt (2023) Feministische Außenpolitik gestalten. Leitlinien des Auswärtigen Amts, https://www.auswaertiges-amt.de/blob/2585008/d444590d5a7741acc6e37a14295..., Stand 1.3.2023.
(2) Bspw. Netzwerk 1325 (2023) Die Leitlinien zur Feministischen Außenpolitik des Auswärtigen Amts. Ein Statement aus feministischer Perspektive,  https://www.boell.de/sites/default/files/2023-06/e-paper-die-leitlinien-..., Stand 14.7.2023.
(3) SPD, Bündnis90/Die Grünen/FDP (2021) Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/, Stand 9.12.2021
(4) Cheung et al. (2021) Practicing Feminist Foreign Policy in the Everyday: A toolkit. https://eu.boell.org/en/practicing-feminist-foreign-policy-everyday-toolkit, Stand 14.7.2023.
(5) Achilleos-Sarll et al. (2023) The Past, Present, and Future(s) of Feminist Foreign Policy, International Studies Review, 25 (1).
(6) Zimmerer (2015) Kulturgut aus der Kolonialzeit - ein schwieriges Ende? , https://kolonialismus.blogs.uni-hamburg.de/wp-content/uploads/MUKU_1502_..., Stand 14.7.2023.
(7) Achilleos-Sarll (2018) Reconceptualising Foreign Policy as Gendered, Sexualised and Racialised: Towards a Postcolonial Feminist Foreign Policy (Analysis). Journal of International Women’s Studies 19, 34–49, http://wrap.warwick.ac.uk/99167
(8) Roshani und Diaby (2022) Feministische Außenpolitik und Staatlichkeit. Eine dekolonial-feministische Analyse Feministischer Außenpolitik im Kontext europäischer Migrationspolitik. In Oppelt, Pauls, Weber (Hrsg.) Postkoloniale Staatsverständnisse. Reihe Staatsverständnisse. Baden-Baden: Nomos.
(9) Bernading et al. (2021) Wie militarisiert ist die deutsche Außenpolitik? Heinrich-Böll Stiftung, CFFP, WILPF, https://boell.org/en/2021/09/29/wie-militarisiert-ist-die-deutsche-ausse...
(10) Hêlîn Dirik (2023) Unmögliche Allianz. Die ausgerufene feministische Außenpolitik stellt Deutschlands bisherige internationale Machtpolitik nicht infrage – sie stützt diese. analyse & kritik 629. https://www.akweb.de/ausgaben/692/feministische-aussenpolitik-konzept-un... 13.7.2023.
 

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