"Ferien vom Krieg" im Sommer 2003

von Helga Dieter

Über 2.300 Menschen und Gruppen aus der Friedensbewegung haben auch im zehnten Jahr Ferienpatenschaften gespendet, damit Kinder und Jugendliche aus Krisen- und Kriegsgebieten, gemeinsam mit ihren angeblichen Feinden, zwei erholsame Wochen verbringen konnten.

Im zweiten Jahr kamen neunzig Jugendliche und junge Erwachsene aus Israel und Palästina zu drei Begegnungen nach Deutschland. In der ersten Gruppe hatten die PalästinenserInnen von der Westbank "nur die üblichen Schwierigkeiten", um über Jordanien nach Deutschland zu reisen, ihr Aufenthalt fiel in die Zeit des Waffenstillstandes. Bei der zweiten und dritten Gruppe gab es dann aber erhebliche Schikanen, besonders für eine Jugendgruppe aus Nablus, das von der israelischen Armee hermetisch abgesperrt war. Die drei Gruppen aus Israel und Palästina schreiben in einem gemeinsamen Dankesbrief an die SpenderInnen u.a.: "Dieses Seminar war eine einzigartige Erfahrung. Was für uns unter den alltäglichen Umständen kaum denkbar ist, wurde hier ermöglicht: Wir teilten unsere Gedanken, Ansichten und den Alltag in großer Aufrichtigkeit.(...) Für viele war diese Begegnung die erste Gelegenheit, einen Menschen aus Fleisch und Blut von der anderen Seite zu treffen. Die Atmosphäre in dem Seminar war getragen von Respekt, Verständnis und dem Gefühl der Gleichheit.(...) Die Israelis lernten zuzuhören, als die Palästinenser über das Leid ihres Volkes seit der Nakba 1948 (Katastrophe, Vertreibung) und die schmerzlichen, weiterhin bestehenden Bedingungen der Flüchtlinge berichteten sowie über ihre tägliche Angst vor Militärangriffen und ihre Situation als Gefangene unter Ausgangssperre und Besatzung. Die Palästinenser lernten zuzuhören, als die Israelis über das Leid ihres Volkes im Holocaust berichteten und ihre gegenwärtige, ständige Angst vor Selbstmord-Attentätern, die den Alltag bestimmt, wenn sie einen Bus besteigen oder ausgehen wollen." (gez. Initiative Breaking Barriers, Friedensschule "Neve Shalom/Wahat al Salam" [s. Artikel über die Verleihung des Aachener Friedenspreises], Youth Federation Nablus.)

Darüber hinaus konnten wir aus den Spenden der Aktion "Ferien vom Krieg auch Ferienspiele für 200 Kinder aus Flüchtlingslagern in Bethlehem, Jenin und Nablus finanzieren.

Auch im Kosovo ist die Situation nach wie vor weit von einer Normalisierung der Verhältnisse entfernt. In diesem Jahr konnten an der Adria in Montenegro zwei gemeinsame Freizeiten für 120 albanische und serbische Kinder durchgeführt werden, zum ersten Mal kamen sie sogar aus der gleichen Stadt (O-Rahovac). Während des Aufenthaltes fanden im Kosovo eine Reihe von Anschlägen auf Angehörige der serbischen Minderkeit statt. Die aktuellen politischen Spannungen hatten keine direkten Auswirkungen auf die Ferienstimmung. Trotz der erheblichen Sprachprobleme gingen die Kinder und ihre BetreuerInnen aufeinander zu und fanden sich zu gemeinsamen Aktivitäten zusammenn. Die Rückreise war jedoch von Protesten serbischer Nationalisten betroffen, die durch eine Demonstration und Steinwürfe dagegen protestierten, dass Kosovo-Albaner ihren Urlaub in Montengro verbringen können. Vor Ort löste die Tatsache, dass es eine gemeinsame Freizeit von Albanern und Serben geben konnte, immer wieder Erstaunen aus.

Im Norden Mazedoniens spitzte sich in diesem Sommer die Situation wieder zu. Albanische, mazedonische und türkische Kinder aus Tearce, die erst kürzlich in das umkämpfte Dorf zurückgekehrt waren, fuhren gemeinsam an den Ohrid-See und entwarfen in einem Workshop zusammen ein Friedenslied.

In der Bucht von Kotor in Montenegro trafen sich 300 Kinder aus Serbien und der serbischen Republik (Bosnien). Darunter waren auch 70 Roma, 32 muslimische sowie einige kroatische und albanische Kinder. In gemischten Gruppen verbrachten sie eine unbeschwerte Zeit mit Baden, Ausflügen, Tanzen und kreativen Gruppenaktivitäten. Wie schwierig das immer noch ist zeigte sich, als in der serbischen Republik eine Gruppe von 10 kroatischen Kindern unter fadenscheinigen Gründen kurzfristig absagte.

Die fünf Freizeiten mit je fast 100 TeilnehmerInnen aus Kroatien, Bosnien und Serbien stießen in Drvenik an der kroatischen Adria zunächst auf eine feindliche Umgebung. Die Bewohner des Ortes fürchteten, dass bei so vielen Kindern die "richtigen" Touristen wegblieben. Diese Ablehnung schweißte die Kinder über die Grenzen hinweg umso mehr zusammen, für die BetreuerInnen war es eine besondere Belastung. Zur letzten Freizeit waren Jugendliche eingeladen, um mit "den anderen" über Perspektiven einer friedlichen Zukunft zu diskutieren. Die Gruppe aus Sombor (Serbien) hatte sich besonders gut auf Simulationsspiele zur gewaltfreien Konfliktlösung vorbereitet. In der zwischen Muslimen und Kroaten geteilten bosnischen Stadt Gornji Vakuf/Uskoplje wurde mit internationalen Mitteln eine neue Schule gebaut, in der unter einem Dach zwei völlig getrennte Schulen eingerichtet wurden. Die Jugendlichen beider Seiten haben nun Aktionen diskutiert, um einen gemeinsamen Unterricht zu fordern.

In allen Gruppen wurde ein "Friedensappell von Kindern aus Krisen- und Kriegsgebieten" diskutiert, der im Vorjahr in einer Freizeit formuliert wurde und nun als Unterschriftensammlung in sechs Sprachen kursiert. Die Aktion wird von vielen Kindern und Jugendlichen bis Februar 2004 zu Hause fortgesetzt.

"Wir können miteinander leben, sogar unter einem Dach. Das ist eine phantastische Erfahrung." Dieses Resumee einer Teilnehmerin aus Palästina gilt für alle Freizeiten.

(Aus den Berichten des Teams zusammengestellt von Helga Dieter.)
 

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Friedensbewegung international