FF5/2000: Hintergrund Replik auf Volker Böge: "Nebel werfen auf Nebenkriegsschauplätzen"

von Winni Nachtwei
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Zu Recht kritisiert Volker Böge, dass in der Öffentlichkeit fast nur die Sekundärfragen einer Bundeswehrreform (Umfang, Wehrform), aber kaum ihr WOFÜR debattiert wird.

Ich sehe keinerlei Veranlassung, die vom Kabinett beschlossene Bundeswehrreform schönzureden: Der Minister dekretierte sie ohne die versprochene breite gesellschaftliche Debatte und ohne koalitionäre Konsensbildung. Die Grünen konnten einzig zur Deckelung des Militärhaushaltes beitragen.

Volkers scharfe Kritik an der Bundeswehrreformdebatte und den Grünen dabei lässt wesentliche Realitäten und Differenzierungen außer Acht.

Den neuen Hauptauftrag "Krisenbewältigung" setzt er gleich mit Interventionismus für interessengeleitete Machtpolitik und mit Angriffsorientierung. Bei aller Berechtigung eines Interventionsmusverdachts - damit sind die Schlüsselfragen nach der Definition legitimer deutscher, europäischer ... Interessen, des verantwortungsvollen Umgangs mit der realen Macht einer Bundesrepublik Deutschland, des staatlichen Verhaltens in humanitären Extremsituationen keineswegs vom Tisch. Volker spricht dem Militär jede nützliche Funktion bei der Bewältigung von Gewaltkonflikten ab. Das kann er nur, indem er die Erfahrungen aus etlichen Konfliktregionen und friedenserhaltenden (UN-)Einsätzen im letzten Jahrzehnt schlicht negiert. Um ein Wiederaufflammen von Kämpfen auf dem Balkan zu verhindern und den fragilen Friedensprozess abzusichern, sind S/KFOR noch auf viele Jahre unverzichtbar. Diese Einsätze prägen die Realität der heutigen Bundeswehr und sind ein wesentlicher Hintergrund ihrer Reform, insbesondere die Aufstockung der sog. Einsatzkräfte.

Elementare Erfahrung aus allen Versuchen multilateraler Krisenbewältigung ist aber auch, dass Militär manchmal Waffenruhe, aber nie Frieden schaffen kann. Um innerstaatliche Gewaltkonflikte tatsächlich zu befrieden, müssen die verschiedensten Akteure, auch zivile und militärische zusammenwirken und muss vor allem der eklatante Entwicklungsrückstand der Fähigkeiten ziviler Krisenprävention und Konfliktbearbeitung aufgeholt werden.
 

Eine Militärreform kann nur dann zur Gewaltminderung im Dienste kollektiver Sicherheit beitragen, wenn sie eingebettet ist in ein regelrechtes Aufholprogramm zur Stärkung ziviler Konfliktbearbeitung. Wir behaupten keineswegs, dass dieser Anspruch schon realisiert ist, dafür ist die Mittelverteilung noch viel zu unausgewogen. Die zivilen Instrumente zum "Wurmfortsatz der hochgerüsteten Streitmacht" abzuwerten, verkennt aber die bisherigen Durchbrüche zum Aufbau einer Infrastruktur ziviler Konfliktbearbeitung auf nationaler und internationaler Ebene. Fortschritte hierbei sind notwendige Voraussetzung, um angesichts der heutigen Schwäche abrüstungsorientierter Kräfte künftig zu einem Abbau von Militär zu kommen.

Aber: Die Bundeswehrreform begnügt sich nicht, wie zu wünschen wäre, mit einer Verbesserung von Peacekeeping-Fähigkeiten. Sie fördert zugleich die Interventionsfähigkeit der Bundeswehr. Das ist gefährlich, weil sie missbrauchsgefährdet und umfassende militärische "Friedenserzwingung" nach allen Erfahrungen äußerst riskant, kostspielig und illusorisch ist. Zugleich ist Tatsache, das heute schon der Auftrag der Bündnisverteidigung erhöhte Mobilität, Flexibilität etc. erfordert.

Damit die Bundeswehr nicht zu einem Instrument interventionistischer Politik wird, ist es umso wichtiger, die Schwelle für Bundeswehreinsätze durch klare Bedingungen zu erhöhen, zuerst und absolut die Bindung an ein VN-/OSZE-Mandat. Meine Forderung nach einer Zweidrittelzustimmungspflicht des Bundestages findet sich wohl im Beschluss der BDK Münster, wurde aber bisher von der Fraktion abgelehnt.

Volker blendet - wie viele langjähige MitstreiterInnen aus der Friedensbewegung - bei seiner antimilitaristischen Fundamentalkritik den teilweisen Funktionswandel von Militär und Herausforderungen an Regierungspolitik aus. Damit verlieren leider die richtigen Aspekte seiner Kritik an Wirksamkeit.

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