Flüchtlinge vor den Stränden Europas

von Elke Steven

In den letzten Jahren ertranken 1.000, vielleicht auch 5.000 Menschen vor der Küsten Europas. Vor allem im Sommer - wie sollte es anders sein - versuchen Menschen, das vermeintlich rettende Ufer zu erreichen. Die wenigsten schaffen es. Für diese ist es häufig nicht das rettende Ufer, sondern nur eine weitere menschenunwürdige Station, von der aus sie direkt zurück in die Not gebracht werden.

Auch von den 37 afrikanischen Schiffbrüchigen, die von Cap Anamur vor dem Ertrinken gerettet wurden, konnten 36 Asylsuchende nur äußerst kurzfristig in Italien sein. Schnell wurden sie nach Afrika abgeschoben. Ein Gericht hat inzwischen festgestellt, dass dies rechtswidrig geschah. Das aber nutzt ihnen im fernen Afrika nichts mehr. Der rechtswidrig handelnde italienische Staat kann sich der Unterstützung - nicht der Empörung - der anderen europäischen Staaten gewiss sein.

Damit solche rechtswidrigen Abschiebungen demnächst legal vonstatten gehen können, träumt der deutsche Verfassungsminister von Lagern vor den Küsten Europas. Dort gelte kein deutsches, kein europäisches Recht. Was dort mit Flüchtlingen geschieht - so meinen diejenigen, die sich außerhalb von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie stellen - ist egal, so lange diese Flüchtlinge nicht nach Europa kommen. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung stellt Schily fest: "Eine gerichtliche Kontrolle (der Entscheidungen) muss es nicht zwangsläufig geben. Wir sind dort außerhalb des Rechtsgebietes der Europäischen Union". (SZ, 2.8.2004) So spricht Schily auch im selben Interview zynisch vom "Asyl-Shopping". Bereits in der FAZ vom 23. Juli 2004 schrieb er: "Wer mit seeuntüchtigen Booten (...) versucht (...), sich Zutritt nach Europa zu verschaffen, sollte (...) nicht die Erwartung verbinden, er erwerbe (...) den Zugang zu einem Asylverfahren." Noch nicht einmal das Verfahren soll gewährt werden. Die vor Not und Elend Flüchtenden sollen irgendwo auf der Welt - nur nicht in Europa - einen Antrag auf Asyl stellen und die bürokratische, rechtlich unanfechtbare Ablehnung abwarten. Wenn, wie Schily meint, jeder Staat für sich in Anspruch nimmt, "selber darüber zu entscheiden, wer einreisen darf und wer nicht", bedeutete dies die Preisgabe des internationalen Flüchtlingsschutzes. Für einen solchen Verfassungsminister gelten Menschenrechte nur auf dem Papier. Sie sollen nicht für Flüchtlinge gelten, die "rechtswidrig" - illegal - versuchen, nach Europa zu kommen. Die geforderten Lager vor den Toren Europas rufen Assoziationen an Guantanamo hervor - die Aufhebung von Rechten, Rechtsstaatlichkeit und internationalem Recht. Die Unantastbarkeit der Würde stellt in Frage, wer so argumentiert.

Auch der EU geht es vor allem um die Sicherheit von Staaten, nicht um die Sicherheit, die Freiheit und Menschenrechte von Menschen. Die EU-Kommission will die außereuropäischen Transitstaaten so befördern,dass man sie als sichere Drittstaaten akzeptiert, in denen die Flüchtlinge "Zugang zu wirksamem Schutz erhalten" können. Diesen "wirksamen Schutz" bietet Europa längst nicht mehr. Die italienische Regierung hat die von Cap Anamur geretteten Flüchtlinge sofort in Abschiebelager gesperrt, ein "Asylverfahren" durchgezogen, das rechtlichen Beistand, selbst eine ordentliche Übersetzung nicht vorsah. Die Abschiebung wurde vor jeder rechtlichen Überprüfung vollzogen. Die Klage zweier Anwälte hatte Erfolg. Ein Gericht entschied, dass das Recht der Afrikaner "auf eine umfassenden Analyse ihres Asylantrags und auf ein gerechtes Verfahren verletzt" wurde. (taz, 2.8.2004)

Cap Anamur wollte auf diese Zusammenhänge aufmerksam machen. Sie wollten die Flüchtlinge und ihre lebensbedrohliche Situation in den Vordergrund der Wahrnehmung und Auseinandersetzung stellen. Man kann den politischen Aktivitäten von Cap Anamur aus gutem Grund kritisch gegenüberstehen - als Pazifisten allein deshalb, weil die Hauptvertreter den Nato-Krieg gegen Jugoslawien fälschlich und menschenrechtswidrig legitimierten. Die Rettung von Schiffbrüchigen war jedoch nicht nur ihre Pflicht, selbst wenn sie es medienwirksam inszenieren wollten. Das Ziel - das Schicksal der Flüchtlinge und deren Menschenrechte in den Mittelpunkt zu stellen - ist richtig und bedarf jeder Unterstützung.

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Im Blickpunkt
Elke Steven ist Soziologin und Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln.