Ein Gespräch über Frauenfriedensarbeit mit Martine Bonny Dikonque und Marjorie Jobson

Frauenfriedensarbeit in Afrika: Nicht wie Schafe in Auseinandersetzungen gehen

von Kathrin Vogler

Frauen leisten in Afrika an vielen Stellen wichtige soziale und kulturelle Arbeit, sie zu fördern und in ihrer Eigenständigkeit zu stärken ist ein Baustein der Friedensarbeit. Martine Bonny Dikonque, Trainerin von INSER aus Kamerun und Marjorie Jobson von All Africa Women for Peace aus Südafrika waren im Mai auf Einladung des Weltfriedensdienstes e.V. auf einer Vortragsreise durch Deutschland und die Niederlande. In Münster hatten wir die Gelegenheit, einige ihrer Beiträge im Rahmen eines Rundtischgesprächs am 23. Mai zu dokumentieren.

Was sind die Arbeitsschwerpunkte Ihrer Organisationen?

Marjorie Jobson: In Südafrika schlossen sich 1994 Frauen zu einem Aktionsforschungsprojekt zusammen, aus dem die Organisation All Africa Women for Peace (AAWP) hervorging. Das Ziel war es, die Rechte von Frauen im Demokratisierungsprozess nach dem Ende der Apartheid einzufordern. Dabei konnten die Frauen schon auf existierende Strukturen einer aktiven Frauenrechtsbewegung zurückgreifen.

Im Kongress für ein demokratisches Südafrika (CODESA), der die Wahlen 1994 vorbereiten sollte, waren 19 Parteien vertreten, aber unter den Delegierten war nur eine Frau. Wir haben die Forderung aufgestellt, dass mindestens ein Drittel der Teilnehmenden Frauen sein sollten. Der ANC hat daraufhin beschlossen, dass auch bei den Listen für die Wahlen mindestens jeder dritte Name der einer Frau sein sollte. Das Ergebnis unserer Einmischung war, dass schließlich 26% der neu gewählten Parlamentsmitglieder weiblich waren. Der Unterschied in der Themenauswahl und in der Prioritätensetzung ist deutlich zu spüren. Es wurde eine Menge neuer Gesetze beschlossen, und alle berücksichtigten Frauenfragen.

Im Augenblick setzen wir uns stark mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik in Südafrika und ihren Auswirkungen auf die Gemeinden auseinander.

Martine Bonny Dikonque: INSER ist eine Organisation, die aus dem Zusammenschluss von zwei Gruppen entstanden ist. Unsere Aufgabe ist v.a. Unternehmensberatung unter den Schwerpunkten Gender, Ökologie und Konfliktmanagement. Dazu entwickeln wir Trainigsmethoden, Seminare und Programme, betreuen ihre Umsetzung in den Unternehmen und kontrollieren den Erfolg. Seit 1994 arbeiten wir in Kamerun, Tschad, Gabun, Ruanda, Kongo und der Demokratischen Republik Kongo.

Was ist die Zielsetzung Ihrer Trainings?

Dikonque: Zunächst haben wir uns die Bedürfnisse der Leute angesehen. Die meisten brauchen zunächst mal Geld für ein Geschäft. Viele Organisationen und Institutionen verteilen Geld als Starthilfe. Trotzdem waren aber nur 14% der neu gegründeten Geschäfte überlebensfähig. So haben wir festgestellt, dass Geld nicht das einzige Problem der ExistenzgründerInnen ist. Was vor allem fehlt, sind Geschäftssinn und Managementqualitäten. Daraufhin haben wir zunächst theoretische Kurse gemacht, aber das funktionierte noch immer nicht. Wir haben festgestellt, dass anstelle der reinen Wissensvermittlung die Verhaltensänderung im Mittelpunkt stehen muss. Daraufhin haben wir begonnen, dazu Trainigswerkzeuge zu entwickeln und einzusetzen. Wenn Sie jemandem erklären, dass er sich verbrennt, wenn er Feuer anfasst, wird er das zwar wissen, aber er wird es nicht verstehen, er weiß nicht, wie es sich wirklich anfühlt. Deswegen setzen wir bei unseren Kursen auf konkretes Handeln. Wenn jemand noch nicht genau weiß, ob es für ein Produkt oder eine Dienstleistung eine Zielgruppe gibt, dann schicken wir diese Person raus ins Feld, sie soll die Leute befragen und etwas über die Zielgruppe herausfinden.

Für welche Leute bietet INSER die Trainings an?

Dikonque: Es gibt keine Qualifikationsvoraussetzungen, wir setzen ganz unten auf der Graswurzelebene an, denn in den Ländern, in denen wir arbeiten, sind vor allem unter den Frauen viele ungebildet und Analphabetinnen. Wir arbeiten sowohl mit gemischten Gruppen, als auch nach Geschlechtern getrennt. Am Anfang steht immer eine Analyse der eigenen Stärken und Schwächen.

Wenn Männer Probleme im Geschäft haben, dann haben sie Probleme im Geschäft. Bei Frauen stehen meist persönliche Probleme im Vordergrund, die die geschäftlichen Schwierigkeiten verursachen. Deshalb haben wir ein kombiniertes Programm entwickelt, das die Themen Konflikt, Unternehmen und Geschlecht berücksichtigt. Unser Ziel ist, dass die Frauen in Auseinandersetzungen nicht wie Schafe hineingehen, sondern sich und ihre Interessen artikulieren.

Wie sieht die Arbeit von INSER in Ruanda aus?

Dikonque: Wir wurden mit unserem Programm zur Unternehmensgründung nach Ruanda eingeladen. Dort hat uns die GTZ "entdeckt" und gebeten, ein Programm zur Konfliktbearbeitung zu entwickeln. Es gab ein Programm, das auf Gesetzesänderungen zielte, aber das hatte wenig Einfluss auf die alltäglichen Konflikte. Die Menschen leiden dort nach dem Genozid unter vielfältigen Problemen und Traumata, aber sie können nicht darüber sprechen. Deshalb wollten wir eine Plattform entwickeln, auf deren Basis das Vertrauen gestärkt und dadurch der Austausch wieder möglich wurde. Gesucht wurde ein bestimmter Weg, um den Menschen zu helfen, wieder vorwärts zu gehen, ohne dass sie von der Last der Vergangenheit niedergedrückt wurden. Unser Programm basiert auf kulturellen Elementen des Landes in Zusammenarbeit mit ruandischen TrainerInnen. Es ist kein kognitives Programm, sondern ein handlungsorientiertes. Die TeilnehmerInnen handeln den ganzen Tag, zum Beispiel in Rollenspielen. Schon nach den ersten nach Geschlechtern getrennten Trainings entsteht meist das Bedürfnis, gemeinsam zu trainieren um die Auseinandersetzung zwischen Männern und Frauen zu suchen.

Gibt es in Ruanda die Möglichkeit, die verschiedenen Ethnien zusammenzubringen?

Dikonque: Wir brauchen sie nicht zusammenzubringen, sie leben seit Generationen zusammen, nebeneinander als Nachbarn. Sie sind miteinander verwandt oder verschwägert. Viele wissen nicht, dass es neben Hutus und Tutsis in Ruanda eine weitere kleine Bevölkerungsgruppe gibt - die Tua. Und wenn sich Hutus und Tutsis in einem einig sind, dann darin, dass die Tua nichts sind, dass sie wertlos sind. Bisher wurden sie immer vernachlässigt und ausgeschlossen, bisher gingen sie kaum zur Schule - was sich allmählich ändert. Deshalb legen wir in unserer Arbeit besonderen Wert darauf, auch diese Gruppe wahrzunehmen und einzubeziehen. Damit es nicht nach weiteren 50 Jahren der Frustration dahin kommt, dass sie sagen "Jetzt sind wir aber mal dran" und diejenigen sind, die Gewalt anwenden.

Was bedeutet das konkret?

Dikonque: Wir haben in einem Projekt mit einer Organisation alleinstehender Frauen zusammengearbeitet. In dieser Gruppe waren sowohl Witwen, die ihre Männer bei dem Genozid von 1994 verloren haben, als auch Frauen, deren Männer im Gefängnis sind, weil sie an dem Genozid beteiligt waren. Zunächst haben die Frauen der Gefangenen nicht zugegeben, dass ihre Männer im Gefängnis sind, erst als genügend Vertrauen aufgebaut war, konnten sie darüber sprechen. Dann gab es ein konkretes Problem. Es gibt nur zwei Tage in der Woche zu bestimmten Zeiten die Möglichkeit, die Männer im Gefängnis zu besuchen und ihnen Essen zu bringen. Die Frauen haben dafür aber von der Farm, auf der sie beschäftigt waren, nicht frei bekommen, sondern mussten für ihre Fehlzeiten Strafe zahlen. Nachdem wir das Problem in der Gruppe intensiv diskutiert hatten, haben sich schließlich auch die Witwen solidarisiert und alle gemeinsam gefordert, dass die Frauen dafür frei bekommen sollten. So wurde die Strafzahlung abgeschafft.

Für uns ist es wichtig, dass die Erfahrungen aus Ruanda nun in anderen Ländern präventiv genutzt werden.

Welche Erwartungen richten sich auf Europa?

Dikonque: In Afrika hoffen wir sehr auf Europa und erwarten Hilfe von dort. Zugleich aber werfen wir Europa seine Schuld vor. Ich will erklären, welche Probleme wir mit der Art der Hilfe für uns haben. Die Hilfe ist zweischneidig, denn die Entscheidung, wie uns geholfen wird, kommt nicht von uns, sondern von den Geldgebern. Die realen Probleme und Bedürfnisse Afrikas spielen weit weniger eine Rolle für die Geberländer als die bloße Zahl der Hilfsprojekte. Zum Beispiel: ein Projekt läuft in der Regel 3-5 Jahre. Manchmal braucht man aber zwei Jahre für die Vorbereitung und drei für die Anlaufphase. Manche Projekte haben eine zu große Zielgruppe, zum Beispiel bei unserer Arbeit mit den Geschäftsfrauen. Wenn wir nur 50 statt 70 ausbilden, ist der Erfolg viel größer und die Frauen sind hinterher erfolgreicher.

Jobson: Ein Beispiel aus Südafrika. Die Gemeinden zahlen nur 15 Rand am Tag als Gehälter, der Staat dagegen 55 Rand. So können wir in den Kommunen mit demselben Geld viel mehr Menschen sinnvoll beschäftigen als in staatlichen Projekten. Und die EU-Förderrichtlinien erfordern noch viel mehr Mittel für Gehälter. Nördlich der Stadt, in der ich lebe, gibt es ein Gebiet in dem ungefähr zwei Millionen Flüchtlinge aus Mozambique leben. Hier hatte die anglikanische Kirche ein fantastisches Programm zur Gemeindeentwicklung gestartet mit der Ausbildung von GesundheitsarbeiterInnen, mit einem Hospiz, einer Mutter-Kind-Klinik, einer HIV-Praxis, Sozialarbeit für kriminelle Jugendliche usw. Die EU stieg in dieses Projekt ein und finanzierte es für 5 Jahre. Die Bedingungen, unter denen gefördert wurde, widersprachen allerdings der Nachhaltigkeit, weil sie qualifiziertes, professionelles Personal fordern. Das bedeutete, dass die GesundheitsarbeiterInnen entlassen und dafür Krankenschwestern eingestellt werden mussten, dass für die Arbeit mit den Jugendlichen SozialarbeiterInnen eingestellt werden mussten etc. Wenn wir es auf unsere Art und mit unseren Gehältern gemacht hätten, hätte das Geld viele Jahre lang gereicht. So aber ist das gesamte Projekt nach fünf Jahren zusammengebrochen.

Dikonque: Die Geldgeber tun oft auch so, als gäbe es nur ein Afrika. In der Realität ist Afrika aber sehr vielfältig, es sind über 50 Länder mit unterschiedlicher Kultur und unterschiedlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen. Ein Modell kann nicht beliebig übertragen werden, auch wenn es in einem Land erfolgreich war.

Werden in Ihren Projekten Unterschiede zwischen den USA und Europa wahrgenommen?

Jobson: In der Entwicklungspolitik nicht. In der Friedensarbeit gibt es aber spezielle Unterschiede, denn die Bevölkerung wehrt sich gegen US-Geld für die Friedensarbeit. Wir wollen uns nicht kaufen lassen.

Dikonque: Uns ist es wichtig, trotz Finanzierung unserer Projekte durch die GTZ oder das UNDP nicht abhängig zu werden. In unseren Kursen treten wir dafür ein, dass jede Frau anfängt, mit dem zu arbeiten, was sie bereits hat, ob das nun 300 Euro sind oder nur 10.

Das Interview führte Kathrin Vogler.

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