Freispruch bei Aufruf zur Befehlsverweigerung aus Gewissensgründen

von Mani StennerMartin Singe

Bonner Amtsgericht billigte mit der Entscheidung zu einem Golfkriegs-Flugblatt von Pax Christi den Soldaten das Recht auf Befehlsverweigerung zu

Selbst der Staatsanwalt  beantragte Freispruch im  ersten Prozeß Mitte September gegen Unterzeichner eines Flugblattes gegen die deutsche Beteiligung am Golfkrieg. Die Bonner Pax Christi Gruppe hatte sich zum Ablauf des Ultimatums im Januar noch einmal in einem dringenden Appell an die Öffentlichkeit gewandt. Darin hieß es u.a.: Wir rufen alle Soldaten, Zivilbeschäftigte der Bundeswehr und Mitarbeiter/innen im Verteidigungsministerium auf: Verweigern Sie alle Befehle und Tätigkeiten, die einen Krieg am Golf ermöglichen und die Ihrem Gewissen widersprechen!. Gegen 103 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner hatte die Bonner Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren wegen Aufruf zu einer Straftat eingeleitet. Umso überraschender kam für die zahlreichen Zuschauerinnen und Zuschauer beim  Prozeß im Bonner Amtsgericht der Rückzieher von Staatsanwalt Gawlick,  der für den evangelischen Theologiestudenten Gunnar Evang selbst den Freispruch beantragte, da der Angeklagte - wie im übrigen auch die Autoren - das Flugblatt als Gewissensschärfung an die Angehörigen der Bundeswehr verstand. Die Gewissensfreiheit auch von Soldaten ist aber vom Grundgesetz geschützt. Rechtsanwalt Malte T. Burchard hatte denn auch schon zu Beginn des Prozesses für den Fall einer Verurteilung seines Mandanten einen Gang nach Karlsruhe angekündigt. Für Amtsrichter de Vries, der der Staatsanwaltschaft bereits im Vorfeld die Unterzeichnung der Strafbefehle gegen die Pax Christi-Gruppe verweigert hatte, war der Freispruch nur noch eine Formsache. Das heutige Urteil steht allerdings im Widerspruch zur damaligen Entscheidung des Bonner Landgerichts über die Beschlagnahme des Flugblatts. Das Bonner Friedensplenum sieht in diesem Freispruch erster Klasse eine gerichtliche Bestätigung auch für das Recht der Soldaten, aus Gewissensgründen die zurzeit heftig diskutierten künftigen Einsätze außerhalb der Landesverteidigung zu verweigern.

Über 8o Verfahren in derselben Sache wurden inzwischen eingestellt. Allerdings ist sich die Staatsanwaltschaft offensichtlich uneinig: zwei weitere Prozesse gegen Unterzeichner finden Mitte Oktober statt, über deren Ausgang hier noch nicht berichtet werden kann. Ein weiterer Unterzeichner hat jetzt einen Strafbefehl über 2o Tagessätze erhalten. Andere wiederum haben noch keinerlei Nachricht erhalten.

Gegen ein sehr ähnlich formuliertes Flugblatt wird auch in Rheinbach bei Meckenheim vorgegangen. Der Prozeß gegen den presserechtlich Verantwortlichen findet am 11.11.91 im Amtsgericht 53o8 Rheinbach, Schweigelstr. 30 um 12.3o h in Raum 205 statt.

Den vier Vorsitzenden verschiedener christlicher Friedensorganisationen, die auch einen Aufruf zur Befehlsverweigerung  veröffentlicht hatten (Berichte z.B. in der FR), wurde Verfahrenseinstellung gegen eine geringe Geldbuße angeboten. Dies lehnen sie ab. Sie sind bereit, vor Gericht für ihr Recht zu streiten. So sind noch viele weitere Prozesse zu erwarten. Wir bitten auch aus anderen Städten Informationen über Verfolgungen von Golfkriegsgegnern an unser Büro weiterzugeben.

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".