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Freiwilligendienste
vonEIRENE (griechisch: Frieden) ist einer der sechs staatlich anerkannten deutschen Entwicklungsdienste und außerdem ein Friedensdienst, der auch in Industriestaaten Projekte unterstützt, die sich gegen die Wurzeln von Ungerechtigkeit und Unfrieden dort engagieren. So erfüllen deutschen Kriegsdienstverweigerer über EIRENE ihre Zivildienstpflicht in Auslandsdiensten z.B. in der ökumenischen Jugendarbeit in Nordirland, in Flüchtlingslagern und Aids-Hospizen der USA und in Ökologie-, Behindertenprojekten sowie alternativen Lebensgemeinschaften in Frankreich.
Der folgende Artikel stellt einen Ausschnitt aus der Nord-Süd-Arbeit von EIRENE vor: Im Solidarischen Lerndienst werden neue Formen der Partnerschaft zwischen Basisgruppen aus Industriestaaten und Zweidrittelwelt erprobt, die einen wichtigen Akzent gegen die häufig technokratische und paternalistische Fachkräfteentsendung setzen.
Solidarischer Lerndienst
In einem afrikanischen Land kam ein Weltbankvertreter in das EIRENE-Büro und fragte an, ob EIRENE interessiert sei, sich an Projekten zur sozialen Abfederung zu beteiligen. Dadurch sollten die schlimmsten Härten abgemildert werden, die aufgrund der von IWF und der Weltbank für nötig erachteten Einsparungen im Staatshaushalt (Kürzung im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsektor etc.) entstünden. Wir haben abgelehnt, weil es nicht unsere Aufgabe ist, Pflaster zu kleben, die wir im Ansatz für falsch halten. Wir waren der Auffassung, da andere Veränderungen in den politischen Rahmenbedingungen nötig gewesen wären - sowohl innergesellschaftlich in dem afrikanischen Land als auch zwischenstaatlich in den Beziehungen zwischen Deutschland, der EG, den internationalen Institutionen und dem afrikanischen Land. Selbstkritisch mußten wir aber zugeben, daß auch die Projekte, bei denen wir mitarbeiten, diese Ebene nicht erreichen. Unsere Mitarbeit in Graswurzel-Projekten des Basisgesundheitsdienstes, der integrierten ländlichen Entwicklung, der Behindertenarbeit und Grundschulpädagogik weisen zwar auf andere Gesellschftsstrukturen hin, verändern aber nicht die politischen Rahmenbedingungen direkt. Solche strukturellen Veränderungen wären aber nötig gegen die Verschuldung der Zwei-Drittel-Welt, die zu immer größerer Verelendung weiter Bevölkerungskreise führt, gegen die ökologische Zerstörung, die Hungerkatastrophen nach sich zieht, und gegen Rüstungsexporte, die regionale Kriege ermöglichen.
EIRENE möchte die Vernetzung von Basisgruppen der nördlichen und südlichen Erdhälfte stärken. Aufgabe solcher Gruppen wäre es, in den jeweiligen Heimatländern Einfluß auf die politischen Rahmenbedingungen zu nehmen. In vielen Ländern Afrikas bilden sich aufgrund der Demokratisierungs-Prozesse derzeit solche Basisinitiativen und Nichtregierungs-Organisationen (NRO). Im Tschad unterstützt EIRENE den Aufbau und Zusammenschluß von Menschenrechtsgruppen. Ein afrikanischer NRO-Sprecher beschrieb als eine wichtige Funktion von Freiwilligendiensten die ausländische Präsenz zum Schutz gefährdeter afrikanischer Gewerkschafts- und Menschenrechts-VertreterInnen. So konnte eine verhaftete kenianische Gewerkschaftlerin durch Intervention ausländischer Organisationen aus dem Gefängnis befreit werden.
EIRENE hat das Programm des Solidarischen Lerndienstes (SLD) ins Leben gerufen, um eine solche Vernetzung durch den Dialog zwischen Aktions- und Solidaritätsgruppen in Industrieländern und Basis- und Selbsthilfebewegungen in der Zwei-Drittel-welt zu stärken.
Wenn Freiwillige im Rahmen des SLD in ein Land der südlichen Erdhälfte gehen, dann hat das persönliche Lernen einen ebenso hohen Stellenwert wie das Helfen, der Einsatz der persönlichen und beruflichen Fähigkeiten. Durch ihr Eingebundensein in das Leben und Handeln der Basisgruppe haben die SLD-Freiwilligen die Chance, die politische, soziale und kulturelle Realität des Gastlandes kennenzulernen. Der Bezug der Freiwilligen zu einem Unterstützungskreis im Heimatland soll einen direkten Dialog und eine unmittelbare Partnerschaft zwischen Süd und Nord ermöglichen.
Der Unterstützungskreis im Herkunftsland der Freiwilligen hat mehrere Funktionen: Zum einen finanziert er durch regelmäßige Beiträge die Reise-, Versicherungs- und Unterhaltskosten sowie die Vor- und Nachbereitung der/des Freiwilligen. Dabei wirkt dieses direkte Unterstützungssystem als guter Motor für eine weitere Funktion der Unterstützungskreise, die entwicklungspolitische Öffentlichkeitsarbeit: Die Freiwilligen melden als Botschaft zurück, wie sich die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen ihrer Heimatländer in den Gastländern auswirken. Über entwicklungspolitische Lobby-Organisationen wie die neugegründete Initiative GERMANWATCH, über Menschenrechts-Organisationen wie amnesty international und entwicklungspolitische Initiativen wie die Rüstungsexport-Kampagne versucht EIRENE mit den Unterstützungskreisen, sich politisch einzumischen.
Ohne den Versuch solcher Einflußnahme wäre die Vermittlung von Freiwilligen ein Alibi für mangelndes politisches Engagement zu Hause. Wenn wir davon ausgehen, daß zentrale Wurzeln der ungerechten Strukturen in der Zwei-Drittel-Welt bei uns in den Industriestaaten liegen, müssen wir auch die Konsequenzen für einen verstärkten politischen Einsatz im Inland ziehen.
Daß dies auch die afrikanischen Partner so sehen, wurde bei der Themenfestlegung für eine europäische Generalversammlung entwicklungspolitisch tätiger Nichtregierungs-Organisationen deutlich. Auf den Vorschlag, über den Weg der Entwicklungsländer zu einer sustainable society (überlebensfähigen Gesellschaft) zu diskutieren, reagierten afrikanischen Gäste empört: Genauso müßten wir über den Weg der Industrieländer zu einer sustainable society reden, denn Ihr zerstört die Erde doch in einem viel schlimmeren Maße als wir.
Die Erfahrungen im Solidarischen Lerndienst machen deutlich, daß wir voneinander lernen und so zu einer echten Partnerschaft kommen können. Gleichberechtigte Partnerschaft beinhaltet auch die Gegenseitigkeit des Austausches. VertreterInnen unserer Partner laden wir regelmäßig zu Besuchsreisen nach Europa ein. Darüber hinaus wär ein Programm des Solidarischen Lerndienstes in Europa für Personen aus afrikanischen Basisgruppen sinnvoll. In der stärker entwickelten Solidaritätsbewegung in Lateinamerika gibt es bereits erste Versuche in dieser Richtung: Im Rahmen eines ökumenischen Dienstes in Deutschland der evangelischen Entwicklungsorganisation Dienste in Übersee arbeitet eine Bolivianerin im europäischen Büro der Menschenrechts-Organisation SERPAJ bei der Kampagne 1992 zu 500 Jahren Kolonialisierung und Widerstand in Lateinamerika mit, während eine deutsche EIRENE-Freiwillige die Kampagnen im lateinamerikanischen SERPAJ-Büro in Ecuador unterstützt.
Solidarische Lerndienste sind ein kleiner Mosaikstein im Bemühen um grundlegende Veränderungen im Süden und im Norden. um zu dem Ziel beizutragen, das Jens Reich, Mitbegründer des Neuen Forums in der früheren DDR, so beschrieb: Wir wollen erreichen, daß die Erde in hundert Jahren noch steht. Nichts weiter. Daß weder die ökologische noch die militärischen noch die Bevölkerungs- oder Hungerkatastrophe stattgefunden hat.
Eirene, Engerser Str. 74b, 5430 Neuwieg, Tel.: 02631/27082