Freiwilligendienste

von Josef Freise

EIRENE (griechisch: Frieden) ist einer der sechs staatlich anerkannten deutschen Entwicklungsdienste und außerdem ein Friedensdienst, der auch in Industriestaaten Projekte unterstützt, die sich gegen die Wur­zeln von Ungerechtigkeit und Unfrieden dort engagieren. So erfüllen deutschen Kriegsdienstverweigerer über EIRENE ihre Zivildienstpflicht in Auslandsdiensten z.B. in der ökumenischen Jugendarbeit in Nordir­land, in Flüchtlingslagern und Aids-Hospizen der USA und in Ökologie-, Behindertenprojekten sowie alternativen Lebensgemeinschaften in Frankreich.

Der folgende Artikel stellt einen Ausschnitt aus der Nord-Süd-Arbeit von EIRENE vor: Im Solidarischen Lerndienst werden neue Formen der Partnerschaft zwischen Basisgruppen aus Industriestaaten und Zweidrittelwelt erprobt, die einen wichtigen Akzent gegen die häufig technokratische und paternalistische Fachkräfteentsendung setzen.

Solidarischer Lerndienst
In einem afrikanischen Land kam ein Weltbankvertreter in das EIRENE-Büro und fragte an, ob EIRENE interessiert sei, sich an Projekten zur sozialen Abfederung zu beteiligen. Dadurch sollten die schlimmsten Härten abge­mildert werden, die aufgrund der von IWF und der Weltbank für nötig erach­teten Einsparungen im Staatshaushalt (Kürzung im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsektor etc.) entstünden. Wir haben abgelehnt, weil es nicht unsere Aufgabe ist, Pflaster zu kleben, die wir im Ansatz für falsch halten. Wir waren der Auffassung, da andere Veränderun­gen in den politischen Rahmenbedin­gungen nötig gewesen wären - sowohl innergesellschaftlich in dem afrikani­schen Land als auch zwischenstaatlich in den Beziehungen zwischen Deutsch­land, der EG, den internationalen Insti­tutionen und dem afrikanischen Land. Selbstkritisch mußten wir aber zugeben, daß auch die Projekte, bei denen wir mitarbeiten, diese Ebene nicht errei­chen. Unsere Mitarbeit in Graswurzel-Projekten des Basisgesundheitsdienstes, der integrierten ländlichen Entwicklung, der Behindertenarbeit und Grundschul­pädagogik weisen zwar auf andere Ge­sellschftsstrukturen hin, verändern aber nicht die politischen Rahmenbedingun­gen direkt. Solche strukturellen Verän­derungen wären aber nötig gegen die Verschuldung der Zwei-Drittel-Welt, die zu immer größerer Verelendung weiter Bevölkerungskreise führt, gegen die ökologische Zerstörung, die Hungerkatastrophen nach sich zieht, und ge­gen Rüstungsexporte, die regionale Kriege ermöglichen.

EIRENE möchte die Vernetzung von Basisgruppen der nördlichen und südli­chen Erdhälfte stärken. Aufgabe solcher Gruppen wäre es, in den jeweiligen Heimatländern Einfluß auf die politi­schen Rahmenbedingungen zu nehmen. In vielen Ländern Afrikas bilden sich aufgrund der Demokratisierungs-Pro­zesse derzeit solche Basisinitiativen und Nichtregierungs-Organisationen (NRO). Im Tschad unterstützt EIRENE den Aufbau und Zusammenschluß von Menschenrechtsgruppen. Ein afrikanischer NRO-Sprecher beschrieb als eine wich­tige Funktion von Freiwilligendiensten die ausländische Präsenz zum Schutz gefährdeter afrikanischer Gewerk­schafts- und Menschenrechts-Vertrete­rInnen. So konnte eine verhaftete kenia­nische Gewerkschaftlerin durch Inter­vention ausländischer Organisationen aus dem Gefängnis befreit werden.

EIRENE hat das Programm des Solidari­schen Lerndienstes (SLD) ins Leben ge­rufen, um eine solche Vernet­zung durch den Dialog zwischen Ak­tions- und Soli­daritätsgruppen in Indu­strieländern und Basis- und Selbsthilfe­bewegungen in der Zwei-Drittel-welt zu stärken.

Wenn Freiwillige im Rahmen des SLD in ein Land der südlichen Erdhälfte ge­hen, dann hat das persönliche Lernen einen ebenso hohen Stellenwert wie das Helfen, der Einsatz der persönlichen und beruflichen Fähigkeiten. Durch ihr Eingebundensein in das Leben und Handeln der Basisgruppe haben die SLD-Freiwilligen die Chance, die politi­sche, soziale und kulturelle Realität des Gastlandes kennenzulernen. Der Bezug der Freiwilligen zu einem Unterstüt­zungskreis im Heimatland soll einen di­rekten Dialog und eine unmittelbare Partnerschaft zwischen Süd und Nord ermöglichen.

Der Unterstützungskreis im Herkunfts­land der Freiwilligen hat mehrere Funk­tionen: Zum einen finanziert er durch regelmäßige Beiträge die Reise-, Versi­cherungs- und Unterhaltskosten sowie die Vor- und Nachbereitung der/des Freiwilligen. Dabei wirkt dieses direkte Unterstützungssystem als guter Motor für eine weitere Funktion der Unterstüt­zungskreise, die entwicklungspolitische Öffentlichkeitsarbeit: Die Freiwilligen melden als Botschaft zurück, wie sich die wirtschaftlichen und politischen Be­ziehungen ihrer Heimatländer in den Gastländern auswirken. Über entwicklungspolitische Lobby-Organisationen wie die neugegründete Initiative GER­MANWATCH, über Menschenrechts-Organisationen wie amnesty internatio­nal und entwicklungspolitische Initiati­ven wie die Rüstungsexport-Kampagne versucht EIRENE mit den Unterstüt­zungskreisen, sich politisch einzumi­schen.

Ohne den Versuch solcher Einfluß­nahme wäre die Vermittlung von Frei­willigen ein Alibi für mangelndes politi­sches Engagement zu Hause. Wenn wir davon ausgehen, daß zentrale Wurzeln der ungerechten Strukturen in der Zwei-Drittel-Welt bei uns in den Industrie­staaten liegen, müssen wir auch die Konsequenzen für einen verstärkten po­litischen Einsatz im Inland ziehen.

Daß dies auch die afrikanischen Partner so sehen, wurde bei der Themenfestle­gung für eine europäische Generalver­sammlung entwicklungspolitisch tätiger Nichtregierungs-Organisationen deut­lich. Auf den Vorschlag, über den Weg der Entwicklungsländer zu einer sustainable society (überlebensfähigen Gesellschaft) zu diskutieren, reagierten afrikanischen Gäste empört: Genauso müßten wir über den Weg der Indu­strieländer zu einer sustainable society reden, denn Ihr zerstört die Erde doch in einem viel schlimmeren Maße als wir.

Die Erfahrungen im Solidarischen Lerndienst machen deutlich, daß wir voneinander lernen und so zu einer echten Partnerschaft kommen können. Gleichberechtigte Partnerschaft bein­haltet auch die Gegenseitigkeit des Austausches. VertreterInnen unserer Partner laden wir regelmäßig zu Besuchsreisen nach Europa ein. Darüber hinaus wär ein Programm des Solidari­schen Lerndienstes in Europa für Perso­nen aus afrikanischen Basisgruppen sinnvoll. In der stärker entwickelten Solidaritätsbewegung in Lateinamerika gibt es bereits erste Versuche in dieser Richtung: Im Rahmen eines ökumeni­schen Dienstes in Deutsch­land der evangelischen Entwicklungsorganisa­tion Dienste in Übersee ar­beitet eine Bolivianerin im europäischen Büro der Menschenrechts-Organisation SERPAJ bei der Kampagne 1992 zu 500 Jahren Kolonialisierung und Widerstand in Lateinamerika mit, während eine deutsche EIRENE-Freiwillige die Kam­pagnen im lateinamerikanischen SERPAJ-Büro in Ecuador unterstützt.

Solidarische Lerndienste sind ein klei­ner Mosaikstein im Bemühen um grund­legende Veränderungen im Süden und im Norden. um zu dem Ziel beizu­tragen, das Jens Reich, Mitbegründer des Neuen Forums in der früheren DDR, so beschrieb: Wir wollen erreichen, daß die Erde in hundert Jahren noch steht. Nichts weiter. Daß weder die ökologi­sche noch die militärischen noch die Bevölkerungs- oder Hungerkatastro­phe stattgefunden hat.

Eirene, Engerser Str. 74b, 5430 Neuwieg, Tel.: 02631/27082

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Josef Freise ist Geschäftsführer von ELRENE. (1991)