Erfahrungen aus Österreich

Freiwilligendienste als Alternative zum Militärdienst?

von Pete Hämmerle
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Österreich ist eines der inzwischen wenigen Länder Europas, in dem noch die allgemeine Wehrpflicht (für Männer ab 18 Jahren, die bei der Musterung als tauglich eingestuft wurden) besteht. Hier soll ansatzweise versucht werden, die Entwicklung freiwilliger Friedensdienste unter dieser besonderen Voraussetzung in den letzten Jahren nachzuzeichnen, aber auch einige grundsätzliche Fragen des Verhältnisses von Militärdienst, Zivildienst und Freiwilligendiensten in Hinblick auf die Förderung des Friedens aufzuwerfen.

Erst im Jahr 1974 wurde in Österreich der Zivildienst als Ersatzdienst für Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen eingeführt, vorwiegend im Bereich der Rettungs- und Sozialdienste. In der Blütezeit der Friedensbewegung in den 1980er Jahren wurden in Oberösterreich unter dem Dach der katholischen Jugend einige kleine Friedensdienstprojekte durchgeführt. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurde 1991 die Möglichkeit von Gedenk-, Sozial- und Friedensdiensten im Ausland als „Auslandszivildienst“ gesetzlich verankert. Im selben Jahr gründeten die wichtigsten österreichischen Friedensorganisationen, u.a. das Friedenszentrum Schlaining, der Internationale Versöhnungsbund, Pax Christi und mehrere lokale Friedensbüros (Salzburg, Graz, Linz) den Verein „Österreichische Friedensdienste“ (ÖFD) mit dem Fokus auf die Durchführung freiwilliger Friedensdienste im In- und Ausland, sowohl für Zivildienstleistende wie für Freiwillige (v.a. Frauen). Im Unterschied zu anderen Staaten gab es in Österreich kaum eine Tradition freiwilliger Friedensdienste, etwa im kirchlichen oder gesellschaftspolitischen Bereich, sodass dieser Initiative in mehrfacher Hinsicht eine Pionierfunktion zukam.

Die Kriege im zerfallenden Jugoslawien in der unmittelbaren europäischen Nachbarschaft, die zur selben Zeit begannen, stellten nach der kurzen Euphorie der großteils gewaltlosen Überwindung der kommunistischen Systeme Osteuropas und dem Ende der Blockkonfrontation die größte Herausforderung für die Österreichischen Friedensdienste dar. Die Instrumente ziviler Konfliktintervention standen erst am Beginn ihrer Entwicklung, und die neu entstandenen Friedensgruppen im ehemaligen Jugoslawien sprachen sich für eine langfristige Unterstützung ihrer Friedensbemühungen von außen, z.B. in Form von personeller Mitarbeit Friedensbewegter, aus. So entsandten die ÖFD 1993 die ersten Friedensdiener*innen nach Slowenien zur Mitarbeit in der Flüchtlingsbetreuung und nach Westslawonien in das von der UNO und der Antikriegsbewegung Kroatien gestartete Projekt des sozialen Wiederaufbaus in Pakrac. Im Laufe der folgenden zehn Jahre arbeiteten rund 120 österreichische Freiwillige, zumeist „Auslandszivildiener“ (bundesdeutsch: Zivildienstleistende), in den Bereichen Friedens- und Menschenrechtsarbeit, Frauen- und Jugendarbeit, Wiederaufbau der höheren Bildung und Stärkung der Zivilgesellschaft in lokalen Organisationen in sämtlichen Nachfolgestaaten des ehem. Jugoslawien. 2004 wurden diese Friedensdienste aufgrund zunehmend fehlender finanzieller Unterstützung durch den Staat eingestellt, die Österreichischen Friedensdienste orientierten sich daraufhin auf die Einführung eines Zivilen Friedensfachdienstes nach deutschem Modell. Die Möglichkeit des „Friedensdienstes“ als Freiwilligendienst ist zwar nach wie vor im neu geschaffenen Freiwilligengesetz enthalten, wird in der Praxis aber nur mehr von zwei Trägerorganisationen in kleinem Rahmen durchgeführt.

Potenziale von freiwilligen Friedensdiensten als Alternative zum Militär(dienst)
Zunächst sollen kurz einige Faktoren genannt werden, die die Militarisierung von Staaten und Gesellschaften, und insbesondere junger Menschen, generell beeinflussen:

  • Eine Kultur des Krieges und der Gewalt oder eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit: Eine entscheidende Frage scheint mir zu sein, inwiefern eine Gesellschaft und ihre Mitglieder kulturell, strukturell und persönlich daran glauben, dass Gewalt die normale, beste oder die einzige Möglichkeit ist, mit Konflikten umzugehen, bzw. welche Erfahrungen und Möglichkeiten eines alternativen, gewaltfreien Umgangs mit Konflikten bestehen und „kultiviert“ werden. Das beginnt selbstverständlich schon in der frühesten Kindheit, sowohl durch alltägliche Erfahrungen wie durch Lernen im informellen und formellen Bereich.
  • Weiteres scheint mir die direkte Erfahrung körperlicher Gewalt, sowohl im persönlichen Bereich wie verstärkt beim Aufwachsen in stark von Gewalt geprägten Umfeldern – im Extremfall im Krieg oder unter diktatorischen Verhältnissen – ein wichtiger Faktor für die Militarisierung der Jugend zu sein.
  • Und schließlich hängt der Grad der Militarisierung eines Staates wohl auch von den zur Verfügung stehenden Machtmitteln und dem Willen zu ihrem Einsatz zusammen: Waffen, (Militär-)Bündnisse, geopolitische Bedeutung eines Staates usw. Zwischen einem (führenden) NATO-Mitgliedsstaat, einem neutralen Kleinstaat in Europa und einem Land in einem bewaffneten Konflikt im Mittleren Osten oder in Afrika gibt es diesbezüglich sicher Gemeinsamkeiten, aber auch strukturelle Unterschiede.

Die Frage nach dem Potenzial von Zivildienst oder Freiwilligendiensten als Alternative zu Militarisierung und Militärdienst ist unter den oben genannten Faktoren v.a. eine Frage des bestehenden Systems. Unter den Bedingungen der allgemeinen Wehrpflicht und eines Ersatzdienstes ist der Aspekt der Freiwilligkeit nur eingeschränkt gegeben, außerdem ist die frühere Betonung auf Kriegsdienstverweigerung und einer damit verbundenen Sensibilisierung und Politisierung dieser Personengruppe in den letzten 20 Jahren stark rückläufig. Die Wehrpflicht bietet die Chance einer gewissen Breite des Zugangs zu einer nicht unbeträchtlichen Gruppe junger Männer, schließt allerdings alle Nicht-Zivildienstpflichtigen aus. Der Zivildienst ist „normal“ geworden und in der Mitte der Gesellschaft angekommen – nicht  als Alternative zu Militär und Gewalt, sondern als soziale Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft. Derzeit werden in Österreich als Reaktion auf die Corona-Krise die Mobilisierung von Milizsoldaten und die Verpflichtung von ehemaligen Zivildienern im außerordentlichen Zivildienst diskutiert und vorbereitet – welche Auswirkungen das auf die zukünftige Debatte haben wird, bleibt abzuwarten.

Im System „Berufsheer“ ist der freiwillige Friedensdienst tatsächlich eine bewusste Entscheidung jeder und jedes Einzelnen, als Angebot von Trägerorganisationen, die von sich aus den Wert von freiwilligem Engagement für den Frieden sehen und fördern wollen. Die Zahl der damit Angesprochenen ist sicherlich geringer als in einem Wehrpflichtsystem, die Motivation dafür höher. Wenn es gelingt, freiwillige Friedensdienste so attraktiv zu machen, dass damit nicht nur eine finanzielle Grundabsicherung für die Dienstdauer, sondern v.a. der Erwerb von Fertigkeiten und Erfahrungen im gewaltfreien Umgang mit Konflikten einhergeht, steckt im Freiwilligendienst sicher Potenzial für die Förderung einer Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit – zumindest in unseren „westlichen“ Gesellschaften.

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Pete Hämmerle ist Mitarbeiter beim Internationalen Versöhnungsbund, österreichischer Zweig.