Syrien

Frieden für Syrien?

von Christine Schweitzer

Die Situation in Syrien verändert sich rasant und das, was wir bei Redaktionsschluss dieses Friedensforums geschrieben haben, kann schon bei Erscheinen wieder veraltet sein. Derzeit (Anfang Februar 2017) ist die Lage dadurch geprägt, dass sich die militärischen Kräfteverhältnisse in Syrien verändert haben. Der sog. Islamische Staat hat militärische Niederlagen hinnehmen müssen, auch wenn er keineswegs aus Syrien vertrieben ist. Das Assad-Regime hat dank seiner internationalen Verbündeten die meisten Hochburgen der bewaffneten Opposition erobert (zuletzt: Ost-Aleppo). Und die militärische Intervention der Türkei hat das Projekt eines zusammenhängenden kurdisch kontrollierten Gebietes im Norden Syriens vorerst verhindert.

In der vorletzten Januarwoche verhandelten in Astana (Kasachstan) auf Einladung Russlands, des Irans und der Türkei das Assad-Regime und Teile der militanten Opposition. Die Vereinten Nationen und einige europäische Ländern hatten BeobachterInnen zu den Verhandlungen geschickt. Sie bestätigten die seit Ende Dezember bestehende Waffenruhe, die allerdings den IS und Al Nusra ausnimmt. Der Iran, Russland und die Türkei versprachen, den Waffenstillstand zu überwachen – wie dies in die Tat umgesetzt wird und wie auf – immer wieder vorkommende - Brüche des Waffenstillstands reagiert wird, ist unklar. t. Am 8. Februar (also nach Redaktionsschluss dieses FriedensForums) sollen die Verhandlungen in Genf fortgesetzt werden.

Ob die Genfer Verhandlungen einen Durchbruch bringen werden, bleibt abzuwarten. In diesem Artikel soll versucht werden, ein paar Punkte anzusprechen, die für eine Friedenslösung von Bedeutung sein dürften. Der Ausgangspunkt ist dabei, dass der Konflikt mindestens fünf Dimensionen hat, die geografisch weit über Syrien, ja über die gesamte Region hinausreichen.

1. Die Opposition zu Assad
Die Entscheidung über die Zukunft Syriens liegt alleine bei der syrischen Bevölkerung. Weder solche internationale VerhandlerInnen, die durch die Entscheidung, wen sie zu Gesprächen einladen und wen nicht, die eine oder die andere Koalition stärken (z.B. war bei den Genfer Verhandlungen 2016 die syrisch-kurdische PYD ausgeschlossen), noch militärisches Eingreifen auf egal welcher Seite sind hier auf längere Frist hilfreich. Auch Versuche, die verfeindeten Gruppen durch Druck zur Annahme einer neuen Verfassung zu bringen – wie es Russland anscheinend im Moment versucht – muss mit Skepsis gesehen werden, wenigstens solange die Verhandlungen nicht wirklich inklusiv sind.

Stattdessen sollte die sog. Internationale Gemeinschaft sich darauf beschränken, als redliche Vermittlerin mit allen Konfliktparteien (einschließlich radikaler islamistischer Gruppen und auf jeden Fall einschließlich der syrischen Kurden) Verhandlungen aufzunehmen. Solche Vermittlungsbemühungen müssen nicht heißen, dass alle an einem Tagungsort zusammenkommen – VermittlerInnen können hin und her reisen oder Treffen mit jeweils nur einigen Gruppen abhalten, um Möglichkeiten einer wirklichen Lösung auszuloten.

Lokale Waffenstillstände und die Schaffung von waffenfreien Zonen (erstere gibt es, letztere noch nicht) könnten dazu beitragen, dass in immer weniger Gegenden Syriens die Waffen sprechen. Des Weiteren muss sichergestellt werden, dass humanitäre Hilfe und Wiederaufbauhilfe diese Zonen erreicht.

2. Syrien als Schlachtfeld von ausländischen Militärs und Milizen
Je länger der Konflikt angedauert hat, umso mehr wurde er internationalisiert. Heute sind mindestens 26 Staaten direkt oder indirekt an dem Krieg in Syrien involviert. Die sind aber noch nicht die einzigen internationalen Kriegsbeteiligten: Kurz nach der Entstehung der FSA kamen mehr und mehr ausländische Kämpfer(Innen) aus aller Welt, von Libyen bis Tschetschenien, von Sudan bis Westeuropa und Nordamerika, ins Land und bildeten kämpfende Einheiten oder schlossen sich vorhandenen an. Der sog. Islamische Staat ist nur eine von ihnen. Auch die Assad-Regierung holte sich Unterstützung – sie wandte sich in erster Linie an schiitische Kämpfer - die libanesische Hizbollah-Miliz und Soldaten aus dem Iran.

Die Militärintervention der Anti-IS-Allianz in Syrien muss beendet werden, und zwar nicht nur sie, sondern der gesamte Krieg gegen den Terror. Jede Drohne, die unschuldige Menschen tötet, jede heimliche oder offene Militäroperation leistet vor allem eines: Sie schafft neue TerroristInnen. Und falls es gelingen sollte, den IS militärisch in die Knie zu zwingen, dann wird er in anderen Ländern und im Untergrund weiterkämpfen und womöglich auch den Terror verstärkt in den Westen tragen.

Der Schutz der Zivilbevölkerung passiert nicht durch Bomben aus der Luft. Er braucht mutiges humanitäres Engagement sowohl direkt in den Kriegsregionen wie in den Gebieten Syriens, wo derzeit nicht gekämpft wird, Zumindest in letzteren Gebieten könnte unbewaffnetes ziviles Peacekeeping eingesetzt werden, wie es die Nonviolent Peaceforce derzeit in Form von Trainings von Beirut aus anbietet.

Jeder Friedensplan für Syrien muss den Rückzug der fremden Truppen und Kämpfer beinhalten, nicht nur das Ende der Bombardierungen aus der Luft. Dabei wird es von besonderer Bedeutung sein, den Kämpfern, die nicht Teil einer „offiziellen“ Armee sind, in ihren Heimatländern Möglichkeiten einer Reintegration in ein ziviles Leben zu bieten. Denn sonst werden sie nur zu einem neuen Kriegsschauplatz weiterziehen.

3. Türkei-Kurdistan
Syrien ist eines von mehreren Ländern in der Region (neben der Türkei, Irak und Iran), wo eine zahlenmäßig bedeutsame kurdische Bevölkerung ansässig ist. Die kurdische PYD beteiligte sich am Aufstand gegen Assad und bekämpft, wie auch die irakischen Peschmerga, den IS. Sie unterhält gute Beziehungen zur PKK in der Türkei. Die Türkei fürchtet ein kurdisch kontrolliertes Gebiet südlich ihrer Grenze. Deshalb hat sie begonnen, Stellungen der PYD anzugreifen. Damit wendete sich die Türkei gegen eine der Gruppen, die von der Allianz gegen den IS mit Waffen und Training unterstützt werden.

Eine Friedenslösung für Syrien muss auch eine Regelung für die kurdische Bevölkerung in Nordsyrien beinhalten – vielleicht in Form ähnlicher Autonomieregelungen, wie sie die KurdInnen im Irak genießen. Dies wird aber wohl nur durchsetzbar sein, wenn es gelingt, den kurdisch-türkischen Konflikt konstruktiv zu bearbeiten. Hier braucht es das Wirken von VermittlerInnen, die von allen Seiten anerkannt sind, z.B. aus den Reihen der internationalen Organisation von 57 islamischen Ländern, der Organisation of Islamic Cooperation, die u.a. schon den Bürgerkrieg in Mindanao (Philippinen) beizulegen half. So konstruktiv im Moment die Verhandlungsrolle von Russland, Iran und der Türkei in Bezug auf den Krieg zwischen Opposition und Regime sein mag – für die KurdInnen im Norden bedeutet diese Allianz kaum etwas Gutes.

4. Stellvertreterkrieg zwischen sunnitischen und schiitischen Ländern
Der Krieg in Syrien ist auch, genau wie der im Jemen, ein Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien auf der einen und dem Iran auf der anderen Seite als die Führungsmächte der sunnitischen und schiitischen Ausrichtung des Islams. Die sunnitischen Länder unterstützen die Opposition gegen das Assad-Regime, wobei einige auch nicht vor einer (inoffiziellen) Förderung des IS Halt machten. Die Regierung Assad, geprägt durch die den Schiiten nahestehenden Aleviten, hat sich wiederum Unterstützung u.a. beim Iran und der libanesischen Hizbollah geholt.

Der Konflikt zwischen den beiden Konfessionen wird sich nicht kurzfristig lösen lassen, es gibt aber konstruktive Ansätze, die religiöse Dimension dieses Konflikts zu bearbeiten: Dialog zwischen den Konfessionen, Stärkung der Aspekte, die beide Konfessionen verbinden, Versöhnungsarbeit auf der Graswurzelebene. Da der Konflikt neben der religiösen aber auch eine machtpolitische und ökonomische hat, braucht es zum anderen dringend die schon oft geforderte Konferenz aller Staaten des Nahen und Mittleren Ostens nach Vorbild der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (heute: OSZE), um die – letztendlich diesen Konflikt bestimmende – politische und wirtschaftliche Konkurrenz zwischen den beteiligten Staaten anzugehen und zu überwinden.

5. Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen
Der Konflikt zwischen dem Westen und Russland hat nicht erst mit der Ukraine-Krise begonnen. Schon seit 2011 hat Russland auf diplomatischem Parkett, u.a. in den Vereinten Nationen, die Regierung Assad unterstützt. Syrien war für Russland ein wichtiger Handelspartner und außerdem Ort des einzigen Marinestützpunkts am Mittelmeer. 2013, als Großbritannien und die USA mit einer Militärintervention wegen des syrischen Giftgases drohten, spielte Russland aber eine konstruktive Rolle dabei, die syrische Regierung dazu zu bewegen, ihre Vorräte unter Aufsicht der UN abziehen und vernichten zu lassen. Jedoch nachdem wegen der Annexion der Krim und der Unterstützung der Rebellen in der Ostukraine Sanktionen gegen Russland verhängt wurden und auf beiden Seiten militärisch aufgerüstet wird, hatte sich der Krieg in Syrien auch zu einem Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen entwickelt.

Der Schlüssel zur Aussöhnung zwischen Russland und dem Westen liegt eher in der Ukraine als in Syrien. Dazu gibt es viele Vorschläge  – Volksabstimmungen, Minderheitenschutz, Abrüstung und Truppenabzug, gemeinsame Sicherheit u.a.m. sind einige der Stichworte.

Eine Friedenslösung für Syrien kann wohl nur gelingen, wenn alle fünf genannten Dimensionen angegangen werden. Dies erfordert ein Umdenken bei den beteiligten Regierungen. Druck von unten, durch uns in den Friedensbewegungen, ist die einzige Hoffnung, dass ein solches Umdenken einsetzt.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.