"Frieden jetzt!" 8000 Menschen aller Kontinente in Den Haag

von Konrad Tempel
Initiativen
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Fünf Tage lang berieten VertreterInnen von Friedensinitiativen aus der ganzen Welt miteinander über brennende Fragen regionaler und globaler Bedeutung. In der mehrstündigen Abschlussveranstaltung am 15. Mai wurden noch einmal die vier großen Problembereiche angesprochen, denen sich die Versammlung im Niederländischen Kongresszentrum - 100 Jahre nach der ersten Internationalen Haager Friedenskonferenz - widmete:

  • Kriegsursachen / Kultur des Friedens
  • Stärkung von Menschen- und Völkerrecht und entsprechenden Institutionen
  • Vorbeugung, Bewältigung und Transformation gewaltsamer Konflikte
  • Abrüstung, einschließlich der Abschaffung von Atomwaffen, und "human security".
  • Einige Aussagen in dieser Schlussrunde fanden langanhaltende Zustimmung:

Jody Williams, die amerikanische Nobelpreisträgerin für die Landminen-Kampagne, wies darauf hin, dass Emotion ohne entsprechendes Handeln keinen Nutzen brächte und dass es an den einfachen Menschen überall in der Welt sei, gegen die Interessen der Mächtigen ihren Beitrag zu humaneren Entwicklungen zu geben.

Die sozialdemokratische schwedische Europa-Abgeordnete Maj Britt Theorin forderte, dass jede und jeder das Völkerrecht respektiere: "Schluss mit den ethnischen Säuberungen! Schluss mit den Bombardierungen der NATO!"

Und Kofi Anan, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, bekräftigte in seiner Rede, dass die Staaten den Menschen zu dienen hätten und nicht umgekehrt. Er zählte die vielen, von der Weltöffentlichkeit wenig beachteten Kriege in seiner afrikanischen Heimat auf und wies auf die Toten dieser gewaltsamen Auseinandersetzungen hin - allein im Sudan 2 Millionen - und die insgesamt vier Millionen Flüchtlinge. Es seien tiefgreifende Veränderungen in der Zivilgesellschaft nötig, um solche Massaker weltweit zu verhindern.
 

Zugleich riet er eindringlich dazu, nicht die Forderung nach absoluter Gerechtigkeit zu erheben, weil das die Kämpfe in die Länge zöge und eine Verständigung erschwere. "Als äußerstes Verbrechen der heutigen Politiker muss gelten, die Chance zum Frieden zu verpassen!"

Die Konferenz, die von 700 Friedens- und Menschenrechts-Initiativen einberufen wurde, war in vielen Ländern von mehr als sechzig großen Organisationen vorbereitet worden, dem Koordinationskomitee gehörten u.a. VertreterInnen der Internationalen Juristenvereinigung gegen Atomwaffen / IALANA, der internationalen Ärztevereinigung gegen den Atomkrieg / IPPNW, der Weltföderalisten und des Internationalen Friedensbüros in Genf an. Im deutschen Vorbereitungkomitee wirkten neben den Ärzten und Juristen u.a. auch die Helsinki Citizens Assembly, der Versöhnungsbund, die katholische Friedensbewegung Pax Christi und der Bund für Soziale Verteidigung mit.

Die Struktur der Beratungen war durch ein Grundmuster geprägt: Vorträge vom Podium und Nachfragen der ZuhörerInnen. Selbst in vielen kleineren Treffen in den unzähligen Sälen und Foyers des Kongresszentrums dominierte diese Kommunikationsform, durch die eine Fülle von sachkompetenten Informationen weitergegeben wurden, die aber dem Dialog nur wenig Raum ließ. So war dem Programm nicht zu entnehmen, dass vorgesehen war, über die "Haager Agenda für Frieden und Gerechtigkeit für das 21. Jahrhundert" zu diskutieren. Dieses Dokument - das in 50 Punkten die wichtigsten Forderungen der Friedens-, Ökologie- und Befreiungsbewegungen bündelt - war vorher an vielen Stellen beraten worden und lag in einer veränderten Konferenzausgabe vor. Dass es darüber hinaus offenbar weiteren Diskussionsbedarf zu einzelnen Abschnitten gab und dass tatsächlich gemeinsam darüber nachgedacht werden konnte, entdeckten die meisten TeilnehmerInnen erst, nachdem die unzulänglich angekündigten Termine verstrichen waren.

In dieser Haager Agenda, die allen Staats- und Regierungschefs zugesandt wird und die die couragierte Ministerpräsidentin von Bangladesh mit ihren Politiker-Kollegen diskutieren will, wird ebenso die Demokratisierung der UNO, die schnelle Etablierung des Internationalen Strafgerichtshofs, die Ausweitung der "Mehrspurigen Diplomatie" - des Zusammenwirkens vor allem zivilgesellschaftlicher Kräfte - angemahnt wie Ratifizierung der Konvention gegen Landminen durch alle Staaten und die Beschränkung des Waffenhandels.

4 "Ausrottung von Kolonialismus und Neokolonialismus: Indigene und nicht repräsentierte Völker leiden darunter, dass ihnen das Selbstbestimmungsrecht vorenthalten wird, dass sie durch ethnische und kulturelle Unterdrückung dem Völkermord ausgesetzt sind, dass die Freiheit von Kultur, Sprache und Religion verletzt und dass ihr Leben, ihr Land und ihre Gewässer militarisiert und nuklearisiert werden.
 

Der Haager Appell hält es für sinnvoll,

u.a. dass ein permanentes Forum für die indigenen Völker im Rahmen der UNO eingerichtet wird,

dass die Ablagerung von giftigem Müll der Industrieländer in Entwicklungsländern gestoppt wird und dass die Militärbasen aufgelöst werden."

37 "Stärkung der Koalition zwischen den Organisationen der Zivilgesellschaft: Die Vielfalt zivilgesellschaftlicher Aktitivitäten im Bereich der Gewalt-Prävention, -Bewältigung und Transformation ist eine ihrer größten Vorteile. Die Wirksamkeit dieser Aktivitäten wird jedoch häufig durch einen Mangel an Koordination beeinträchtig... Deshalb ist es nötig, kreative Netzwerke zu bilden, die ihre Kooperation und die Vermehrung ihres Unterstützer-Potentials fördern."

31 "Förderung des Trainings von Friedenfachkräften: Die Nachfrage nach zivilgesellschaftlichem "Peace building", sei es durch Wahlbeobachtung, Menschenrechtsarbeit oder generelle Präsenz, wächst sehr schnell; bisher gibt es noch keinen Pool für speziell ausgebildete Zivilpersonen. Dem gegenüber besteht jedoch ein großer Bedarf dafür, ein besonderes Training für zivile Frauen und Männer in den Verfahren zur Konfliktbearbeitung, Mediation und Verhandlungsführung aufzubauen und ihren Einsatz in Konfliktgebieten zugunsten friedensbildender Aufgaben zu fördern. Das langfristige Ziel sollte sein, eine internationale Körperschaft gründlich ausgebildeter "Friedensfachkräfte" (civilian peace professionals) bereitzustellen, auf die kurzfristig zum Einsatz in Konfliktgebieten zurückgegriffen werden kann."

Obwohl die Zivile Konfliktbearbeitung in einigen Workshops thematisiert werden konnte, u.a. durch VertreterInnen des deutschen Forums Ziviler Friedensdienst, muss als bedenkenswertes Defizit der Konferenz die Aussparung der Trainings-Thematik angesehen werden.

Die Mitwirkung von über 1500 Jugendlichen, die ein integrierender Teil der Konferenz waren, gab der Forderung, den Einsatz von Kindersoldaten zu ächten ( 19), besondere Aktualität.

Überschattet wurden die vielen Versammlungen durch den Krieg auf dem Balkan, der zu mehreren Extratreffen führte. Immer wieder tauchte dabei die umstrittene Alternative `Gerechtigkeit oder Frieden` auf, so dass in vielen Sitzungen gleichermaßen der Ruf "Stop the Bombing" wie Zustimmung zur NATO-Politik hörbar wurde.

Es liegt auf der Hand, dass ein einzelner Teilnehmer bei einer so vielfältigen Veranstaltung nicht die Gesamtfülle überblicken und einschätzen kann und dass deshalb jede Wertung nur Bruchteile des Ganzen betrifft. Die positive Bedeutung dieser Konferenz besteht aus meiner Sicht in folgendem:
 

Friedensgruppen aller Kontinente konnten sich aufgrund vielfach übereinstimmender Themen, gleich intensiven Engagements, wechselseitiger Zustimmung und überall sichtbaren globalen Perspektive einer gewaltärmeren, kooperativeren Welt als Teil einer gemeinsamen Bewegung erleben und - im Wortsinn - begreifen.

Alle Bemühungen etwa zur Milderung von Leiden, zur Durchsetzung von Menschenrechten und zum Umdenken im Hinblick auf Rüstung und Krieg erhielten nationenübergreifende Aufmerksamkeit. Sie gaben damit der auch hier unüberschaubaren, aber nicht zu übersehenden Fülle von inhumanen Strukturen und Verhaltensweisen plastischen Ausdruck.

Jede einzelne Initiave vermochte aus diesem allgemeinen globalen Interesse heraus eine Anerkennung ihres spezifischen Engagements abzuleiten und damit eine Intensivierung zu erfahren.

Für die in den zentralen Zusammenkünften behandelten Thematiken - die verständlicherweise nur eine Auswahl brennender Menschheitsprobleme darstellen konnten - ergaben sich weiterführende Anstöße durch vertieftes Verständnis der Implikationen, durch neue Argumente und durch neue Koalitionen.

Während der 5 Tage gemeinsamen Lebens zeigte sich eine große Vielfalt von Auffassungen und Ausdrucksformen der anwesenden Einzelnen und Gruppe, in Kleidung, Musik und Tanz ebenso wie in der ungesteuerten und chaotisch wirkenden Fülle von gedruckten und handgeschriebenen Einladungen, Informationen und Voten, die Tische, Säulen, Wände, Geländer und Fußböden bedeckten. Für viele anrührende Ausstellungen u.a. von Kinderzeichnungen war nur Raum im Treppenbereich, in einer riesigen Halle waren hunderte von kleinen Ständen aufgebaut, an denen Gespräche möglich waren und Material zur Verfügung stand. Der Weg dahin wiederum war von Bild- und Plakatwänden gesäumt, u.a. über Landminen und Friedensmuseen. Der sich darin ausdrückende sichtbare und spürbare innere Reichtum der Versammlung schien sich bis zur Schlussversammlung hin noch zu steigern, wo dann - bejubelt - vom `Frieden in unseren Verschiedenheiten` die Rede war.

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Konrad Tempel war Initiator der deutschen Ostermärsche "gegen Atomwaffen jeder Art und jeder Nation" 1960, beteiligt an der Gründung der Bildungs- und Begegnungsstätte / Kurve Wustrow, des Bunds für Soziale Verteidigung, des forum Ziviler Friedensdienst und der Non-violent Peaceforce und dort jeweils langjährig verantwortlich engagiert, Quäker.