Das Rüstungsexportdesaster nimmt auch unter der Ampelregierung seinen Lauf

Frieden schaffen mit exorbitant viel Exportwaffen

von Jürgen Grässlin
Hintergrund
Hintergrund

Ende August 2022 veröffentlichte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) den Rüstungsexportbericht für das Vorjahr. Das Besondere daran: Nach gewonnener Bundestagswahl wird das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck als zuständigem Minister geführt. Für Rüstungsexporte verantwortlich ist Staatssekretär Sven Giegold, einst Aktivist bei Attac. Beide vertreten sie Bündnis 90 / Die Grünen in der neuen Ampelkoalition.

Erfreulich klar brachte das BMWK das Exportdesaster der Vorgängerregierung unter der Ägide von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz auf den Punkt: Demnach waren 2021 Einzelausfuhrgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern in Höhe von rund 9,4 Milliarden Euro erteilt worden. "Das ist der historisch höchste jährliche Genehmigungswert". (1) Im Vorjahr hatte dieser Wert bei ehedem hohen 5,8 Milliarden Euro gelegen.

Hinzugerechnet werden mussten die Sammelausfuhrgenehmigungen (für Exporte an mehrere Empfänger bzw. über mehrere Jahre hinweg). Diese umfassten ein Volumen von 4,1 Milliarden Euro. Machte summa summarum den dramatischen Genehmigungswert von 13,5 Milliarden Euro in einem einzigen Jahr.

Besonders folgenschwer war, dass die sogenannten "christlich-sozialen" Koalitionäre im Bundessicherheitsrat in den allerletzten Tagen ihrer Amtszeit für die militärischen Machthaber im Entwicklungsland Ägypten Kriegswaffenlieferungen im Wert von 4.3 Milliarden Euro genehmigt hatten. Von Abfeuerausrüstungen über Flugkörper und Seeminen bis hin zu Fregatten. (2)

Genau derlei Waffentransfers widersprachen eklatant den Politischen Grundsätzen der Bundesregierung. Schließlich war das Regime von Abd al-Fattah as-Sisi durch einen Militärputsch an die Macht gelangt. Seither unterdrückte das Militärregime Andersdenkende und Andersgläubige mit brutalen Mitteln, Exekutionen wurden vollzogen. Mehr noch: Seit sechseinhalb Jahren beteiligte sich Ägypten an der von Saudi-Arabien geführten rechtswidrigen Militäroperation Operation Decisive Storm im Jemen-Krieg.

Und auch die Exportgenehmigungen für 2022 verhießen nichts Gutes. So hatte die Ampelkoalition bis zum 30. August bereits Waffentransfers im Volumen von 5,2 Milliarden Euro genehmigt.

Wie die Soziale Bewegung für ein Kontrollgesetz kämpft
So durfte es nicht weitergehen! Genau deshalb setzten wir uns seitens der Kampagne „Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!" mit unseren weit mehr als hundert Mitgliedsorganisationen in den letzten beiden Jahren mit Nachdruck für ein neues striktes Rüstungsexportkontrollgesetz (REKG) ein.

In enger Absprache mit der Aufschrei-Kampagne legte Greenpeace im April 2021 den 34-seitigen Entwurf „Rüstungsexportkontrollgesetz. Gesetzesentwurf über ein einheitliches Verfahren, bindende Grundsätze und die Kontrolle über den Export von Rüstungsgütern" vor. (3)

Nach zahlreichen Podiumsdiskussionen und Off-the-Record-Gesprächen mit Entscheidungsträgern in den jeweiligen Parteien waren die Weichen gestellt. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP wurde festgeschrieben: „Wir setzen uns für ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz ein." Dennoch war Vorsicht geboten: Im „begründeten Einzelfall" sollten auch weiterhin Kriegswaffen in bedenkliche Länder exportiert werden können. (4)

Schwerpunkt der Grünen war in den vergangenen Jahren die Forderung nach einem Verbandsklagerecht gewesen. Mit diesem Rechtbehelf sollen bestimmte NGOs klagen können, um die Rechtmäßigkeit von Exportgenehmigungen ggf. vor Gericht klären zu lassen. Vorbild waren die rechtlichen Vorgaben im Umwelt- und Behindertenbereich. Alles sollte besser werden, zumal mit Habeck und Giegold nunmehr die Grünen an den Schalthebeln der Macht saßen.

Schnee von gestern?
Das Problem: Mit der völkerrechtswidrigen Intervention russischer Truppen in der Ukraine wurde unsere vormals so gute Ausgangslage - mit breiter Zustimmung in der Bevölkerung gegen Waffenexporte in die besonders problematischen Drittländer - seit Frühjahr 2022 schlichtweg obsolet. Im Rahmen der "Zeitenwende" bewilligte die Ampelkoalition das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr, zudem auch umfassende Waffenlieferungen an die ukrainischen Verteidigungskräfte.

Genau in diesen bewegten Tagen rief das BMWK sowohl die in dem Themenbereich arbeitenden NGOs und Friedensforschungsinstitute als auch die Rüstungsindustrie mit ihren Lobbyverbänden auf: Sie alle sollten ihre Stellungnahmen zum geplanten neuen Rüstungsexportkontrollgesetz einreichen und in folgenden Fachgesprächen vertreten. Für Aktion Aufschrei legten wir beachtliche 30 Änderungs- und Ergänzungsvorschläge vor.

Hatten wir nach dem Fachgespräch mit Sven Giegold, Katja Keul und den BMWK-Vertretern noch eine halbwegs positive Einschätzung, so zeigte sich mit der Veröffentlichung der Eckpunkte für das neue Rüstungsexportkontrollgesetz im Oktober, wohin die Reise gehen sollte. Für Aktion Aufschrei kritisierten wir die Vorlage scharf. Diese bleibe "weit hinter den Erwartungen an eine wirkliche restriktive Exportpraxis zurück, wenn es auch gute Punkte darin gibt“, kommentierte Aufschrei-Sprecherin Christine Hoffmann.

Ich empfand die Eckpunkte des BMWK als „ein Schlag ins Gesicht“ all derer, die jahrelang gemeinsam mit den Grünen als Oppositionspartei für eine wirklich restriktive Rüstungsexportpolitik gekämpft haben. Mein Vorwurf: Es ist unglaublich enttäuschend und auch äußerst kurzsichtig, dass ausgerechnet das von den Grünen geführte BMWK das Verbandsklagerecht – für das die Partei jahrelang gekämpft hat! – fallen lässt.

Mit Nachdruck forderten wir, das BMWK müsse den Gesetzentwurf dringend nachschärfen und sich dabei gegen die Koalitionspartner SPD und FDP durchsetzen. (5)

Fortgesetzte Beihilfe zum Morden
Genau diese desaströse Entwicklung hatte sich bereits Ende September abgezeichnet, als Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner zweitägigen Werbereise für kurzfristige Gasexporte die langfristige Zulieferung von Wasserstoff aus der Golfregion von Kronprinz Mohammed bin Salman in Saudi-Arabien begrüßt. Es ist jener Kronprinz , der laut US-Geheimdiensten den Auftrag zur Ermordung des saudischen Journalisten Khashoggi erteilt hatte und der die Jemen-Kriegskoalition anführte.

Scholz brachte derweil eine frohe Kunde für den Kronprinzen mit. Laut aktuellem Beschluss des Bundessicherheitsrat durften Airbus N.V. seine Teilezulieferungen zur Ausrüstung und Bewaffnung sowie auch Munition für die EUROFIHGTER und TORNADO wieder aufnehmen. Kampfjets, mit denen die Royal Saudi Airforce seit Jahren nachweislich auch zivile Ziele im Jemen bombardierte und zahlreiche unschuldige Menschen tötete. (6)

Rückendeckung erhielt Scholz von Annalena Baerbock. Es gebe "keine direkten Waffenlieferungen von Deutschland nach Saudi-Arabien", so die Bundesaußenministerin. Tatsächlich lieferten die deutschen Konzerne schon immer an Großbritannien zu. Im englischen Warton erfolgt die Endmontage der Kampfbomber, ehe sie an Riad ausgeliefert werden. "Diese Projekte können wir gerade jetzt nicht blockieren", bekräftigte die Grünen-Politikerin. (7) Wohlwissend, dass sie damit höchstpersönlich der Beihilfe zum Morden im Jemen-Krieg zustimmte.

Die Erwartungen an das neue Rüstungsexportkontrollgesetz müssen wohl noch tiefer herabgeschraubt werden. Die neue Leitlinie der Ampelkoalition lautet: Frieden schaffen mit exorbitant viel Exportwaffen. Auch in Kriegsgebiete und nicht einzig zur Verteidigung.

Anmerkungen
1 Rüstungsexportbericht für das Vorjahr 2021 verabschiedet – „vorläufige Genehmigungszahlen im Jahr 2022", PM des BMWK vom 31.08.2022
2 Rüstungsexportbericht der Bundesregierung 2021, siehe S. 100
3 Rüstungsexportkontrollgesetz. Gesetzesentwurf über ein einheitliches Verfahren, bindende Grundsätze und die Kontrolle über den Export von Rüstungsgütern", Deutscher Bundestag, 20. Wahlperiode, von Greenpeace Deutschland
4 „Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit", Koalitionsvertrag 2021 - 2025, S. 116
5 „Schritte zum Rüstungsexportkontrollgesetz begrüßt, gravierendende Defizite und völlig unzureichende Restriktivität beklagt", Mitteilung von Aktion Aufschrei für die Medien vom 21.10.2022
6 Schreiben von Dr. Robert Habeck, Bundesminister, am Michael Grosse-Böhmer, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, vom 28.09.2022
7 Gespräch von Annalena Baerbock mit der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 30.09.2022

Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK)
Kontakt: Tel.: 0049-761-7678208, Mob.: 0049-170-6113759, E-Mail: jg [at] rib-ev [dot] de, graesslin [at] dfg-vk [dot] de

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Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).