Friedensbewegung in Serbien und Montenegro

von Bodo Weber
Schwerpunkt
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Es gibt in Serbien und Montenegro eine Reihe von Friedens- und Menschenrechtsgruppen, die sich mit vielfältigen Aktivitäten gegen Krieg und Totalitarismus und für eine friedliche, demokratische Gesellschaft einsetzen. Wir möchten in diesem Friedensforum eine Reihe nicht so bekannter Gruppen vorstellen, die Bodo Weber im Frühjahr dieses Jah­res besucht hat.

Gesellschaft für Frieden und Tole­ranz, Backa Palanka:

Backa Palanka ist eine Kleinstadt mit ca. 20.000 Einwohnern, die überwie­gende Mehrzahl Serben. Trotzdem leben aber insgesamt 17 Nationalitäten in der Stadt, die die direkt an der Grenze zu Kroatien liegt, bzw. der Region Baranja und Ostslawoniien (sog. UNPA-Ost), welche von Serben kontrolliert wird. Backa Palanka war eine der Hochburgen des Nationalismus von Beginn an, aus ihr kommen so zentrale politische "Persönlichkeiten" wie der frühere Mi­nister und heutige Chef des serbischen Zolls Mihajl Kertes. Wie auch im übri­gen Serbien herrscht bei denen, die nicht nationalistisch eingestellt sind, heute Angst und Apathie vor.

Die Gesellschaft für Frieden und Tole­ranz hat sich 1994 gegründet, eine Regi­strierung wurde ihr allerdings bis jetzt von staatlicher Seite verwehrt. Nichts­destotrotz hat die Gruppe, welche ca. 10 Mitglieder umfasst, verschiedenen Pro­jekte am Laufen:

- Plakat-Aktion: Aktivisten haben Pla­kate entworfen mit friedenspoliti­schem Inhalt, die sie regelmäßig in der Stadt aufhängen.

- Veranstaltungen: Bisher wurden ei­nige öffentliche Veranstaltungen or­ganisiert, z.B. mit Mitgliedern von holländischen Friedensgruppen über Struktur und Aktivitäten der Frie­densbewegung in Westeuropa. Im Moment ist ein Veranstaltungsreihe zum Thema Menschenrechte geplant, zu der u.a. der ehemalige jugoslawi­sche Außenminister Mirko Tepavac eingeladen werden soll.

- Gewaltfreie Konfliktlösung: Regel­mäßige Trainings für die Gruppen­mitglieder und eine Anzahl von Leh­rern aus Backa Palanka wurden bis­her organisiert. Da der Lehrer-Kreis sich mittlerweile sehr gut entwickelt hat, plant die Gesellschaft, jetzt auch Lehrer aus den umliegenden Dörfern in die Trainings einzuschließen.

- Most-Mira/Brücke des Friedens: Die­ses in Mohacs/Ungarn angesiedelte internationale Projekt zielt darauf ab, durch Treffen von Aktivisten, Flüchtlingen u.a. aus Kroatien und Serbien und dem besetzten Ostsla­wonien auf neutralem Boden, unter­brochenen Kontakt wieder aufzu­bauen und dadurch zu Verständigung beizutragen. Die Gesellschaft betei­ligt sich intensiv an diesem Projekt, so arbeitet etwa ein Mitglied zurzeit fest in Mohacs. Die Gruppen hat gute Kontakte zu Einzelpersonen im Sek­tor Ost, z.B. nach Ilok, aufgebaut, mit denen sie in regelmäßiger Verbin­dung steht. Bei einem Besuch von Zdravko Marjanovic, der eine Art Koordinator der Gesellschaft ist, beim Friedenszentrum in Osijek ist er auch mit Vertretern vom kroatischen Flüchtlingsverband zusammengetrof­fen. Bei dieser Gelegenheit entstand der Plan, ein Treffen der Flüchtlings­vereinigungen aus allen ehemaligen jugoslawischen Republiken auf die Beine zu stellen. Es ist für den 22. Juni vorgesehen, Zdravko organisiert das Ganze auf der serbischen Seite.

Die Gruppe verfügt über einen Compu­ter mit Modem. ein Fax werden sie demnächst bekommen. Als Büro dient Zdravkos Wohnung. Finanziell sind sie schlecht versorgt, so stellt etwa jede Reise zu Treffen in Mohacs ein Geld­problem dar.

Montenegrinisches Helsinki-Komitee

Das Montenegrinische Helsinki-Ko­mitee, Mitglied der Internationalen Hel­sinki Föderation für Menschenrechte, wurde Ende Oktober 1994 gegründet. Es besteht aus etwa 20 Mitgliedern, die in verschiedenen Orten Montenegros, etwa in Podgorica, Cetinje, im Sandzak, Budva, Tivat, Ulcinj und anderswo le­ben. Aktivitäten:

- Arbeit gegen Vertreibung von Min­derheiten: diese ist zur Zeit das zen­trale Projekt des Komitees. Mitar­beiterInnen sind gerade dabei, genaue Zahlen über das Ausmaß an Auswan­derungen aufgrund von Diskriminie­rungen zu sammeln. So etwa zur kroatischen Minderheit in Tivat, zur albanischen in Ulcinj und zur musli­mischen Bevölkerung im montene­grinischen Teil des Sandzaks. Gleich­zeitig wird versucht, gegen Men­schenrechtsverletzungen vorzugehen und politisch Druck zu machen für Minderheitenrechte, wie etwa im Be­reich der Bildung.

- Das Komitee übt Druck auf staatliche Stellen aus, damit während des Krieges mit Kroatien aus der Region Dubrovnik entwendeten Kunst­schätze und Wertgegenstände zu­rückgegeben werden. Hierbei waren sie schon recht erfolgreich, Teilrück­gaben fanden bereits statt.

- Daneben mischt sich das Helsinki-Komitee permanent in aktuelle Fälle ein, wie etwa die Vertreibung von Roma und die Niederbrennung ihrer Siedlung Ende April in der Stadt Da­nilovgrad oder etwa den zahlreichen Prozessen gegen unabhängige Jour­nalisten wegen angeblicher Verleum­dungen. Das Komitee verfügt weder über ein eigenes Büro, noch über Fax oder Computer. Es steht in Verbin­dung mit der Zentrale in Wien und dem serbischen Helsinki-Komitee und hatte auch schon einige interna­tionale Kontakte, blieb bisher jedoch ohne finanzielle oder materielle Un­terstützung bei ihrer so wichtigen Arbeit.

Sanzacki odbor za Zastitu Ljudskih Prava i Sloboda / Sandzak Komitee für den Schutz von Menschenrechten und Freiheit, Novi Pazar

Der Sandzak ist eine Region, die je zur Hälfte in Serbien und in Montenegro liegt und in der die Muslime ca 50% der Bevölkerung ausmachen (vor dem Krieg etwa 250.000). Novi Pazar stellt zugleich die größte Stadt und das Han­delszentrum dar, mit einem muslimi­schen Bevölkerungsanteil von 80%. Der Sandzak erlebt seit 1991 systematische Menschenrechtsverletzungen, die zur fast vollständigen "ethnischen Säube­rung" in einem Streifen von ca. 40 km entlang der bosnischen Grenze und dem Exodus von 80.000 Muslimen geführt haben. Im Unterschied zur Situation im Kosovo ist aber im Sandzak nicht das Verhältnis der Ethnien das Problem, sondern beschränkt sich dieses weitest­gehend auf den Konflikt zwischen Be­hörden und Minderheit. Zur Bekämp­fung dieser Situation wurde 1991 das Menschenrechtskomitee in Novi Pazar gegründet. Es hat 25 Mitglieder, der Präsident ist Safet Bandzovic. Das Ko­mitee hat Büros in vielen verschiedenen Orten im Sandzak, die in permanentem Kontakt mit der Zentrale stehen.

Aktivitäten:

- In erster Linie sammelt und doku­mentiert das Komitee Fälle von Men­schenrechtsverletzungen. Jedes Opfer wird befragt, eventuelle Folterspuren fotografiert, alles dann dokumen­tiert und an die Öffentlichkeit weiter­geben.

- Daneben organisiert es Anwälte als rechtlichen Beistand für Verhaftete, auch für Flüchtlinge.

- Auch Informationen über Kriegsver­brechen werden gesammelt.

- Regelmäßig werden Berichte veröf­fentlicht über die aktuelle Situation.

Außerdem hat das Komitee zahlreiche Bücher veröffentlicht zur Menschen­rechtsentwicklung. Das Sandzak Men­schenrechtskomitee unterhält gute Kontakte zu serbischen und montene­grinischen Menschenrechtsorganisatio­nen, zu Amnesty International, der Eu­ropäischen Menschenrechtskomission, zur Menschenrechtskomission der Ver­einten Nationen und anderen. Es verfügt über ein Büro, Fax, Computer und Mo­dem. Das meiste wurde von internatio­naler Seite gespendet. Das war aller­dings bisher schon alles an Hilfe von außen. Laufende Kosten, die zwischen 1.500 und 3.000 DM liegen, müssen aus einheimischen Spenden finanziert wer­den, was sich zunehmend schwieriger gestaltet. Nicht nur wegen der wirt­schaftlichen Lage, sondern auch deswe­gen, weil viele Angst haben, Geld zu geben, weil Spender schon von der Poli­zei verfolgt und auch misshandelt wor­den sind. Alle Mitarbeiter arbeiten un­entgeltlich, auch Ärzte und Anwälte.

Eine weitere Ausweitung der Aktivitä­ten, wie etwa die Einrichtung zusätzli­cher lokaler Büros oder die Übersetzung von Publikationen ins Englische, hängt also völlig von fremder Hilfe ab.

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Bodo Weber ist Mitarbeiter des AK Mir Stuttgart, der der Organisation "Ohne Rüstung Leben" angegliedert ist.