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Aus der Not eine Tugend gemacht (?)
Friedensbewegung und Kommunen
vonNichts ist so unvollkommen, als daß nicht gerade dieser Mangel einen Schritt nach vorn ermöglichte. Dies hat die Friedensbewegung in vielen Situationen bewiesen. Eine der Bedingungen und Impulse für die kommunale Friedensarbeit der 80er Jahre war das Fehlen direktdemokrati-scher Instrumente auf Bundesebene. Da die in Demos und Menschenketten sichtbare und durch Umfragen erhärtete mehrheitliche Ablehnung der sog. "Nachrüstung" keinen Weg fand sich durchzusetzen und auf Landesebene angestrengte Volksbegehren als unzulässig zurückgewiesen wurden, strömte dieses friedenspolitische Wollen in die Rathäuser der Städte und Gemeinden, wie es ähnlich, aber weniger breit und nachhaltig, schon 1958 im Zusammenhang mit der Frage deutscher Atombewaffnung geschehen war.
Nach dem neueren Vorbild der Stadt Manchester (Nov. 1980) und nachfolgend vieler weiterer Städte, Kreise und Regionen Großbritanniens und der Niederlande griffen grüne und sozialdemo-kratische KommunalpolitikerInnen ab 1982 auch in der BRD den Gedanken auf, ihre Gemarkung als "atomwaffenfrei" zu erklären. Allen Beteiligten war bewußt, daß dies nur die symbolische Bekräftigung eines politischen Wunsches sein konnte und ohne verbindliche Wirkung gegenüber Bund und NATO blieb.
Umso bemerkenswerter war die Empfindlichkeit, mit der die Landesinnenminister reagierten und diesen sich rasch ausbreitenden "Flächenbrand" mit "Maulkorberlassen" einzudämmen ver-suchten; die Kommunen, so meinten sie, überschritten mit solchen Beschlüssen ihre örtliche Selbstverwaltungskompetenz. Diese ministerielle Furcht vor zu lautem Nachdenken auf unterer Ebene entfachte das Feuer nur umso mehr. Etliche Städte beschritten den Verwa-ltungsgerichtsweg und erstritten Urteile, die als positive Marksteine in die Geschichte kommunaler Selbstverwaltung eingehen: daß nämlich Kommunen -- über ihre Entscheidungskompetenz hin-ausgehend -- sich mit allen sie berührenden Fragen "befassen" und dazu Stellung nehmen dürfen. Was für weniger brisante Politikfelder seit langem selbstverständlich war, wurde nunmehr auch für die Sicherheitspolitik anerkannt.
Für negative Stellungnahmen drängten sich weitere Vorgänge auf, insbesondere Raketentransporte, Manöver, Tiefflüge und militärische Baumaßnahmen. Im Bereich der Zivilen Verteidigung verweigerten einzelne Städte ihre Mitwirkung, namentlich bei WINTEX-CIMEX und im Schutzraum. Zunehmend geriet die eigene Rüstungsindustrie ins Blickfeld. Für kommunale Wirtschaftsförderung konnte nicht länger gleichgültig sein, was produziert wird. Konversion wurde allmählich auch als kommunale Aufgabe erkannt. Die Beteiligung der Einwohnermeldeämter an der Wehrerfassung und Fragen der Kriegsdienstverweigerung zeigen, daß den Kommunen Informations- und Bildungsaufgaben zufallen bis hin zu ihrer Rolle im Rahmen des Konzepts Soziale Verteidigung.
Immer weiter zog sich der Kreis der Aufgaben, die Inhalt kommunaler Friedensarbeit sein können: Friedenserziehung als Anliegen kommunaler Bildungseinrichtungen vom Kindergarten und Jugendhaus bis zur Volkshochschule, Bibliothek, Museum und Theater, Aufarbeitung der Lokalgeschichte, Straßenbenennungen bis hin zur kommunalen Außenpolitik, die in Form von Städtepartnerschaften schon seit Jahrzehnten eine wichtige Ebene der Völkerverständigung ist.
Diese Erweiterung kommunaler Friedensarbeit fand ihren Niederschlag nicht nur in Vorträgen und Tagungen (z.B. Schwerte 1987, s. dazu das Buch "Frieden in der Stadt") und in Ratsbeschlüssen (z.B. des Landkreises Minden-Lübbecke), sondern auch in einzelnen Stellen für Friedensarbeiter und in informativen Schriften, insbes. dem Handbuch "Kommunale Friedensarbeit", hrsg. v. G. Gugel und U. Jäger (1988) und dem Infodienst "Kommunale Friedensarbeit" der DFG-VK (bis Anfang 1990);
Die "Gemeinden für den Frieden" veranstalteten bis 1989 vier größere Tagungen. Der von den Städten Hiroshima und Nagasaki initiierten Solidaritätsaktion zur vollständigen Abschaffung von Atomwaffen traten bis Anfang 1988 84 Städte und Gemeinden der BRD sowie drei Landkreise bei. Was der Weltbund der Partnerstädte schon seit 1957 für die Verständigung zwischen Ost und West und Nord und Süd versuchte, wurde nun auch von anderen internationalen Kommunalverbänden aufgegriffen.
Durch das Ende des Kalten Krieges zwischen Ost und West scheinen manche dieser Bemühungen obsolet geworden zu sein; entsprechend still ist es um die kommunale Friedensarbeit. In dem noch viel schmutzigeren und zerstörerischen Weltwirtschaftskrieg gegen den Süden und gegen die Natur müssen die Kommunen ihre friedensfördernde Aufgabe erst finden. Vielleicht werden sie hier noch viel dringender gebraucht. Punktuell haben sie ihre Verantwortung auch schon entdeckt, z.B. in Partnerschaften mit Städten des Südens und im Bereich kommunaler Energiepolitik, wobei sich direktdemokratische Verfahren bereits bewährt haben (z.B. Schönau, Schramberg).
Doch wären sehr viel tiefgreifendere Initiativen für eine solidarische Weltwirtschaft gerade auf lokaler Ebene möglich und dringend geboten: beim Umgang mit Geld und Boden, bei der Einbeziehung sozialer und ökologischer Kosten in die Tarife, beim fairen Aushandeln von Preisen bis hin zur Selbstbeschränkung öffentlicher Aufgaben, neuen Formen bürgerlicher Selbstbestimmung (z.B. "Planungszellen") und zur Förderung eines freien Bildungswesens, das heilsame Gedanken zu denken erlaubt.
Wenn die Kräfte der Friedensbewegung im konkreten Handeln vor Ort die Richtung und Tiefe notwendiger gesellschaftliche Veränderungen erkennen und dabei mitwirken, könnte sich der vom (lückenhaften) Grundgesetz aufgenötigte kommunale Umweg als segensreich erweisen.