Zur strategischen (Neu-)Ausrichtung

Friedensbewegung und Medien: Frieden neu definieren

von Stephan Hebel

Wenn hier das Verhältnis der Friedensbewegung zu den Medien kritisch betrachtet wird, soll die Verantwortung der Presse nicht unterschlagen werden. Tatsächlich kommt die Berichterstattung, etwa in der Ukraine-Krise, oft erschreckend gleichförmig daher. Die gleichzeitig laufenden Kampagnen zur weiteren Enttabuisierung des Militärischen führen oft zu einem wenig appetitlichen Gemisch aus aggressiver Anti-Russland-Rhetorik und Plädoyers für verstärkte Rüstung.

Der „Spiegel“-Titel brüllte in „Bild“-Manier „Stoppt Putin jetzt!“ (1) Und auch die „Zeit“ lässt oft jede kritische Distanz vermissen. Kürzlich war in ihrer Online-Ausgabe zu lesen: „Dank der Ukraine-Krise und der aggressiven russischen Außenpolitik scheint die Zeit des Sparens beim Militär im Westen vorbei zu sein. Selbst in Deutschland, wo die Bundeswehr seit Jahrzehnten als unterfinanziert gilt, gibt es plötzlich wieder Aufrüstungspläne.“ (2) Das ist die Logik des Kalten Krieges: Wenn der Westen aufrüstet, trägt allein Putin die Schuld. Und die Bundeswehr „gilt“, ganz unhinterfragt, als „chronisch unterfinanziert“.

Man mag es sich einfach machen und ein Plakat mit der Aufschrift „Lügenpresse“ malen. Aber solche Pauschal-Parolen bleiben hinter der eigentlichen Problematik weit zurück. 

Dazu nur drei Hinweise.

Erstens: Richtig ist, dass die privatwirtschaftliche Organisation von Zeitungen und Zeitschriften, der politische Einfluss in den Kontrollgremien der Sender und massive Konkurrenz oft zu fragwürdigen und einseitigen Zuspitzungen führen. Richtig ist auch, dass vor allem der Hauptstadt-Journalismus ein allzu enges Beziehungsgeflecht zu den politischen Akteuren pflegt. (3) Richtig ist schließlich, dass 30 Jahre Neoliberalismus im „gesellschaftlichen Charakter“ (Erich Fromm) Spuren hinterlassen haben: Auch bei Medienleuten ist die vermeintlich „unideologische“ Ideologie des Pragmatismus und damit ein Misstrauen gegen alternative Gesellschaftsentwürfe verbreitet. Geheimer Tagesbefehle der Nato bedarf es dafür nicht.

Zweitens: Der Journalismus ist dennoch kein monolithischer Block. Medienunternehmen werden auf ein Mindestmaß an Meinungsvielfalt achten, wenn ihnen die Kunden davonzulaufen drohen. Und viele JournalistInnen haben sich, quer zu den Strukturen, ihre kritische Haltung bewahrt. Die Verunsicherung, mit der sogenannte „Leitmedien“ auf massenhaften Leserprotest in der Ukraine-Krise reagierten (4), sollten soziale Bewegungen zu weiterer Einflussnahme nutzen, statt sich angewidert abzuwenden und im eigenen Saft zu schmoren.

Drittens: Den professionellen Journalismus durch den Austausch im Netz – so wichtig dieser ist – ersetzen zu wollen, wäre ein Irrweg. Jürgen Habermas, der die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation durchaus zu schätzen weiß („Aus Lesern werden Autoren“), hat zugleich gewarnt: „Den in sich abgeschlossenen Kommunikationsräumen fehlt das Inklusive, die alle und alles einbeziehende Kraft einer Öffentlichkeit. (…) Die nach wie vor nötigen Kompetenzen des guten alten Journalismus sollten im Meer der digitalen Geräusche nicht untergehen.“ (5) Kein Wunder, dass Habermas seit Jahren fordert, zum Erhalt des Qualitätsjournalismus über andere als rein privatwirtschaftliche Organisationsformen der Presse nachzudenken. (6)

Was heißt das alles für die Friedensbewegung?
Zunächst ein Wort zum „Friedenswinter“. Von außen betrachtet, hat das Bündnis mit den Mahnwachen die Friedensbewegung in ein Glaubwürdigkeitsproblem manövriert, und zwar keineswegs nur bei denen, die ihr negativ gegenüberstehen.  Man kann natürlich der Kritik (7) so begegnen wie Reiner Braun, der schlicht bemerkte, er würde Ken Jebsen  „nicht als Antisemiten bezeichnen“ (8) (was bekanntlich nicht bedeutet, dass dieser sich nicht auch antisemitisch äußern würde). Aber das erinnert doch allzu sehr an die legitimierende Wortakrobatik von PolitikerInnen. Der Schaden, den die Irritation in der öffentlichen Wahrnehmung  auslöst, dürfte den Nutzen einer gesteigerten DemonstrantInnen-Zahl deutlich übersteigen. Und zumindest daran sind nicht die Medien alleine schuld.

Insgesamt gilt: Dass museale Ostermarsch-Parolen wie „Die Waffen nieder“ quasi automatisch auf Gefolgschaft treffen, ist heute unsicherer denn je. Vor der Mobilisierung steht deshalb umso dringlicher die Orientierung, die Überzeugungsarbeit in einer individualisierten, segmentierten und teilweise entpolitisierten Gesellschaft.

Nicht nur die gesellschaftlichen und globalen Verhältnisse sind seit dem Ende des Kalten Krieges unübersichtlicher geworden, sondern bekanntlich auch viele Fragen von Krieg und Frieden. Natürlich kann man so gut wie alles zurückführen auf das interessegeleitete und tödliche Versagen westlicher Politik – ganz falsch ist das meistens nicht. Aber nicht alle, die sich fragen, wann und wo – jenseits westlicher Interessen – eben doch mit Gewalt gegen Massenvergewaltigungen und Steinigungen vorzugehen sei, sind Anhänger des Militarismus. Diesem Verdacht jedoch muss sich manch Zweifelnder ausgesetzt fühlen, der die Verlautbarungen der Friedensbewegung liest. Es geht nicht darum, auf scharfe Kritik zu verzichten. Es geht um Überzeugungsarbeit.

In Sachen Ukraine zum Beispiel hieße das, dem politisch-medial verbreiteten Feindbild-Denken gerade nicht eine plumpe Umkehrung entgegenzusetzen. Es hat hier hervorragende Ansätze gegeben. (9) Aber sie werden konterkariert durch – freundlich gesagt – unterkomplexe Äußerungen wie diejenige, Putins Politik sei lediglich „reaktiv“ (10).

A propos reaktiv: Muss nicht die Friedensbewegung verstärkt eigene Akzente zu setzen, statt nur auf Konflikte zu reagieren? Könnte nicht die Kooperation für den Frieden den Ostermärschen 2016 ein Schwerpunktthema geben, etwa Kleinwaffen-Export? Sie könnte in ihrem Umfeld an den Unis ein Gutachten dazu in Auftrag geben (unterstützt von einer politischen Stiftung), das sie, womöglich mit Hilfe einiger Prominenter, in Berlin präsentiert. Sie könnte Gäste aus betroffenen Ländern einladen, die örtlichen Gruppen für Veranstaltungen zur Verfügung stehen – und für Interviews mit lokalen Medien. Die Ostermärsche selbst wären dann End- und Höhepunkt dieser Informations-Kampagne.

Ja, vieles davon wird längst versucht. Und ja, es ist schwer, es mit geringen Mitteln zu stemmen, erst recht nach dem tragischen Tod einer so wichtigen Figur wie Manfred Stenner. Aber es hilft nichts: Die Friedensbewegung steht vor der Aufgabe, „ihren“ Frieden für eine breite Öffentlichkeit neu zu definieren. Wenn das gelingt, besteht trotz allem auch die Chance, mehr Medienecho zu finden als Parolen, die nur die bereits Überzeugten überzeugen.

 

Anmerkungen
1 Der Spiegel Nr. 31 vom 28.7.2014

2 Hauke Friederichs: Die Ukraine-Krise belebt das Rüstungsgeschäft, Zeit online, 11.3.2015, http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2015-03/ruestungsindustrie-pan...

3 Ausführliches dazu in Stephan Hebel: Deutschland im Tiefschlaf. Wie wir unsere Zukunft verspielen. Frankfurt am Main 2014, S. 41ff.

4 So sah sich zum Beispiel der „Zeit“-Autor Bernd Ulrich veranlasst, mit einem Leitartikel auf der Titelseite zu reagieren, in dem er sich „irritiert“ von den Protesten zeigte. Bernd Ulrich: Wie Putin spaltet. Die Zeit, 10.4.2014

5 Jürgen Habermas: Im Sog der Gedanken. Frankfurter Rundschau, 14.6.2014

6 Jürgen Habermas: Medien, Märkte und Konsumenten. Süddeutsche Zeitung, 16.5.2007

7 Siehe Paul Schäfer: Mit rechts für den Frieden? Frankfurter Rundschau, 31.1.2015; Klaus Lederer:  DIE LINKE und der „Friedenswinter“ oder Wie ernst nehmen wir unsere eigenen Beschlüsse? Berlin, Informationsvorlage vom 29.11.2014

8 „Putins Politik ist reaktiv“. Interview in der „taz“ vom 13.12.2014

9 Siehe Andreas Buro, Karl Grobe: Der Ukraine-Konflikt. Kooperation statt Konfrontation, herausgegeben von der Kooperation für den Frieden, Bonn 2014

10 Reiner Braun: „Putins Politik ist reaktiv“, a.a.O.

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