Hiroshima und Nagasaki 65 Jahre später

Friedensbewegungen im Nachkriegsjapan

von Akihiko Kimijima

Der diesjährige August, der den 65. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki bringt, wird eine gute Gelegenheit sein, über die Bedeutung der beiden Abwürfe und die Geschichte der Friedensbewegung im Nachkriegsjapan nachzudenken.

Die Folgen der Atomexplosionen manifestierten sich auf zweierlei Weise:

Der Artikel 9
Die erste war die Auswirkungen auf die Weltordnung und die Rolle militärischer Macht. Nach seiner Niederlage etablierte Japan in seiner Verfassung von 1946 den Artikel 9, der die Klausel über die totale Abrüstung der Achsenmächte durch die Alliierten und die Absage an jeglichen Militarismus enthält. Das japanische Volk begrüßte den Artikel 9, denn nach der Erfahrung von Hiroshima und Nagasaki, dem vernichtendsten Angriff in der Militärgeschichte, meinten die Menschen, dass unter keinen Umständen die Anwendung von Gewalt mehr berechtigt sei. Ein Gefühl des Misstrauens gegenüber militärischer Macht war im Nachkriegsjapan weit verbreitet.

Die Bewegung der Welt-Föderalisten wurde nach dem Krieg aktiv, weil die Menschen dachten, dass das jetzt abgerüstete Japan eine Weltregierung brauche, und dass das System souveräner Staaten unfähig sei, die Atomwaffen zu kontrollieren. Obwohl die Bewegung der Welt-Föderalisten im Kalten Krieg an Schwung verlor, blieb die Bewegung, den Artikel 9 zu bewahren, die ganzen 65 Jahre über stark.  Trotz des stetigen Prozesses der Wiederaufrüstung in Allianz mit den USA hat die japanische Bevölkerung sich bislang erfolgreich dagegen gewehrt, dass der Artikel 9 revidiert wird. Sie haben den Artikel 9 von einer Klausel erzwungener Abrüstung zu einer Klausel für die Schaffung von Frieden mit friedlichen Mitteln gemacht.

Abrüstung von Atomwaffen
Die zweite Auswirkung der Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki war die auf das internationale humanitäre Völkerrecht. Hibakusha, die “Überlebenden von Atombombenabwürfen” und ihre Organisation, Hidankyo, wurden zum Kern der Bewegung für die Abschaffung von Atomwaffen. Die öffentliche Meinung in Japan war stets für die Abschaffung von Atomwaffen, obwohl die japanische Regierung sich in ihrer Sicherheitspolitik auf den US-Atomschild verließ. Seit 1955 hat die “Weltkonferenz gegen Atom- und Wasserstoffbomben”, die jeden August in Hiroshima und Nagasaki stattfindet, eine wichtige Rolle in der Friedensbewegung gespielt. Die Friedenserklärungen, die von den Bürgermeistern von Hiroshima und Nagasaki jedes Jahr zum Jahrestag der Abwürfe publiziert werden, haben auch eine wichtige Rolle bei der Bildung der öffentlichen Meinung gespielt. Diese Erklärungen kritisieren oftmals mit scharfen Worten die Sicherheitspolitik der USA und Japan. Seit Präsident Obamas Rede in Prag gibt es aber auch Hoffnung in Hiroshima und Nagasaki, dass sich die US-Atomwaffenpolitik ändern könnte. Hibakusha, die Bürgermeister von Hiroshima und Nagasaki und japanische Zivilgesellschaft beteiligten sich in den 1990er Jahren an dem Weltgerichts-Projekt (World Court Project) und spielten eine sehr wichtige Rolle bei der Formulierung der beratenden Meinung des Weltgerichtshof (International Court of Justice), dass die Verwendung von Atomwaffen ganz allgemein gegen internationales Recht verstoße.

Obwohl die Tragödie der Atomwaffenabwürfe noch nicht allen Menschen in der Welt völlig bekannt ist, scheint es, dass der Aufschrei von sowohl den Hibakusha wie dem japanischen Volk gegen die Atomwaffen deren Anwendung nach Nagasaki verhindert hat.

Doch 65 Jahre sind seit den Angriffen vergangen, und die Hibakusha sterben. Deshalb wird die Rolle von Friedensmuseen bei der Verhinderung von Krieg und als Katalysatoren für Frieden immer wichtiger. Museen wie das Hiroshima Peace Memorial Museum, das Nagasaki Atomic Bomb Museum und das  Kyoto Museum for World Peace an der Ritsumeikan Universität sind einige wenige Beispiele für die vielen Friedensmuseen in Japan. Dazu kommt die Vereinigung der “Bürgermeister für den Frieden”, die von den Bürgermeistern von Hiroshima und Nagasaki organisiert wird, und 3.562 BürgermeisterInnen aus aller Welt als Mitglieder hat (Stand: 1. Februar). Sie spielt eine aktive Rolle bei der Formulierung einer Strategie für die Abschaffung von Atomwaffen (Hiroshima-Nagasaki Protokoll).

Solidarität der Opfer
Ebenfalls wichtig ist zu erwähnen, dass die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki die Kulmination von strategischen Bombardements waren, die keine Unterschiede zwischen zivilen und militärischen Zielen machten. Bombardierungen, mit denen die Achsenmächte in Guernica 1937 und in Chongqing 1938 begonnen hatten. Eine Interpretation ist, dass die Bombardierung von Chongqing zu Hiroshima und Nagasaki führte. Es ist bemerkenswert, dass eine Solidarität zwischen den Opfern von Chongqing und der japanischen Friedensbewegung entstanden ist. Mehr als 100 chinesische Opfer der Bombardierung von Chongqing haben 2006 und 2008 die japanische Regierung vor dem Distriktgericht in Tokio auf Schadensersatz verklagt und fordern eine Entschuldigung. Es ist wesentlich, die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki als Reaktion auf Japans Aggression zu verstehen und trotzdem die Auswirkung auf das internationale humanitäre Völkerrechts anzusprechen.

Trotz Japans drei nicht-nuklearer Prinzipien, nämlich dass es Atomwaffen weder besitzen noch herstellen noch deren Stationierung auf japanischem Gebiet zulassen will, wird die Möglichkeit einer ‘Nuklearisierung’ von konservativen Politikern und Kommentatoren in Japan immer mehr diskutiert. Die Friedensbewegung in Japan sieht sich deshalb in der Verantwortung, eine solche Nuklearisierung zu verhindern.

Übersetzung aus dem Englischen: Redaktion

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Akihiko Kimijima ist Professor für Verfassungsrecht und Friedensstudien am College of International Relations at Ritsumeikan University in Kyoto, Japan. Er ist Vorstandsmitglied der Peace Studies Association Japan und der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA). Er ist auch Mitvorsitzender von Nonviolent Peaceforce Japan.