Wissenschaft und Bewegung – keine wunderbare Freundschaft? Ein Kommentar

Friedensforschung und Friedensbewegung

von Christine Schweitzer
Schwerpunkt
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Wenn man sich die Studienpläne der Studiengänge der Friedens- und Konfliktforschung anschaut, einem Studienfach, das erst in den frühen 2000er Jahren an deutschen Universitäten eingeführt wurde, dann mag man manchmal zweifeln, wie viel Bezug zu den Anliegen und der Arbeit der Friedensbewegung besteht. Auch die Studierenden – zumindest diejenigen, die sich als Praktikant*innen in unser Büro vom Bund für Soziale Verteidigung wagen – bestätigen zumeist, dass sie viel Theorie über Konflikt und Krieg und internationale Beziehungen lernen, aber die Friedenspraxis nicht im Vordergrund steht. Die „kritische Friedensforschung“ scheint mit dem Mainstreaming der Friedens-und Konfliktforschung in Deutschland am Aussterben.

„Strip the experts“ titelte der australische gewaltfreie Aktivist, Friedensforscher und Publizist Brian Martin, 1991 eines seiner Bücher (zu beziehen im IRENE-Verlag). Seine zentrale Aussage: Traue den Expert*innen nicht, stelle die vorgeblichen Fakten und Annahmen infrage, diskreditiere sie und deren Expertise, kurz: Bilde Dir Deine eigene Meinung, recherchiere selbst, dann weißt Du, was Du hast.

Braucht die Friedensbewegung die Friedensforschung?
Wenn die Frage so gestellt wird, dann muss sie – trotz Brian Martin – bejaht werden. Die Friedensforschung ist für die Bewegung eine wichtige Quelle von Informationen und als Glaubwürdigkeit verleihender Referenzpunkt - zum Beispiel im Feld von Rüstungsprojekten und deren Technologie, Rüstungsexporten und Völkerrecht. Man denke z.B. an die Arbeit des schwedischen SIPRI-Instituts (1), dessen Berichte immer wieder gerne herangezogen und zitiert werden. Auch die Friedensgutachten, die gemeinsam von fünf deutschen Friedensforschungsinstituten (2) erstellt werden, werden gerne rezipiert, auch wenn sie des Öfteren auf Kritik stoßen, wenn sie zu wenig regierungskritisch und zu wenig pazifistisch ausfallen. Zeitschriften wie die im Nomos-Verlag bis 2020, aber leider gerade jetzt eingestellte Sicherheit und Frieden (3), die im Berliner Wissenschaftsverlag erscheinende Friedens-Warte, die schon 1899 von Alfred H. Fried gegründet wurde (4) und natürlich die der Bewegung vielleicht am nächsten stehende Wissenschaft & Frieden (5) finden trotz teilweise nicht unerheblicher Paywalls Leser*innen auch in der Friedensbewegung.
Eine enge Beziehung zwischen Wissenschaft und Praxis gibt es im Feld der Zivilen Konfliktbearbeitung, ein Feld, in dem teilweise Wissenschaftler*innen selbst auch in die Praxis gehen. Beispiel wären die Second-Track-Workshops der Berghof Foundation im Südkaukasus (6) oder die Arbeit der Kooperation zwischen Entwicklungsministerium, großen NROs und Wissenschaft im Bonner FriEnt (Frieden und Entwicklung). (7) Auch die Plattform Zivile Konfliktbearbeitung vereint Praktiker*innen der Konfliktbearbeitung und Wissenschaftler*innen. (8)

Aber braucht die Friedensforschung die Friedensbewegung?
Diese Frage ist nicht so eindeutig zu beantworten. Wenn man sich auf den Jahresversammlungen der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung, quasi einem Berufsverband der Friedensforschung (wenngleich nicht formal) (9), umsieht, so wird man wenige Menschen aus der Friedensbewegung sehen. Und umgekehrt wird man bei Veranstaltungen der Friedensbewegung einzelne Wissenschaftler*innen als Referent*innen sehen, aber nur wenige in den Reihen der „normalen Aktiven“, sofern es eine solche Kategorie überhaupt gibt. Das war mal anders – die im oder nach dem 2. Weltkrieg geborene Generation hatte eine Zahl von Politolog*innen, Psycholog*innen oder Pädagog*innen hervorgebracht, die sich in der Bewegung engagierten oder es vereinzelt noch tun. Der unvergessene Andreas Buro gehört genauso in diese Kategorie wie Wolf-Dieter Narr oder, um wenigstens ein paar zu nennen, die noch unter uns sind, Hanne-Margret Birckenbach, Werner Ruf, Theodor Ebert und Reiner Steinweg,.
Ein etwas anderes Bild als in den Geisteswissenschaften gibt es in den Naturwissenschaften: In den 1980er Jahren hatten sich mehrere berufsbezogene Organisationen gebildet, die es bis heute gibt und deren Mitglieder schwerpunktmäßig an Universitäten tätig sind: die Naturwissenschaftler*innen – Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit (10), das Forum Friedenspsychologie (11) und das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (12) gehören dazu.

Desiderata (wissenschaftlich für: Was man sich wünschen sollte)
Es wäre zu wünschen, dass diejenigen, die Frieden „studieren“ – also diejenigen, die einschlägige Studienfächer belegt haben und diejenigen, die sie unterrichten - sich mehr in die Friedensbewegung einbringen würden. Sie könnten dort mit ihrem Hintergrund und ihrem Wissen einen Unterschied machen. Es steht zu fürchten, dass vielen von ihnen überhaupt nicht bewusst ist, wer oder was die Friedensbewegung ist, wie wir im Friedensforum auch bei den Anfragen für die Artikel zu diesem Heft erleben mussten. Für jüngere Menschen heute ist es nicht mehr unbedingt klar, was Friedensbewegung ist und tut.
Die in der Friedensbewegung Aktiven sollten aber ihre eigenen Fähigkeiten in kritischer Analyse und Recherche auch weiterbilden und lernen – soweit sie dies nicht schon längst tun – keiner Quelle blind zu vertrauen, sondern Faktenchecks anzustellen und zu erkennen, wann Behauptungen ungeprüft proliferiert werden und woran man das erkennt. Das Ergebnis wären weniger unsinnige Verschwörungstheorien und mehr Seriosität, die auch im Gespräch mit Andersdenkenden – die man ja überzeugen möchte – von Gewinn sein dürfte.

Anmerkungen
1 https://sipri.org
2 Das Friedensgutachten gibt es seit 1987 und wird erstellt von BICC, HSFK, IFSH und INEF. Siehe https://www.friedensgutachten.de/
3 https://www.sicherheit-und-frieden.nomos.de/. Im Editorial der letzten Ausgabe hieß es zur Begründung der Einstellung: „S+F sind die Themen nie ausgegangen. Die kritische Analyse und Diskussion kontroverser Fragen der Friedensforschung und Sicherheitspolitik ist heute so wichtig wie selten zuvor. Die rapide Entwicklung neuer und zunehmend digitaler Publikationsformate der letzten Jahre hat aber gezeigt, dass Wissensbestände, insbesondere an der Schnittstelle zur politischen Praxis, heute anders vermittelt werden müssen. Zudem stellt eine auch international fundamental veränderte Publikationslandschaft eine kleine und vorwiegend deutschsprachige Zeitschrift vor weitreichende Herausforderungen.“
4 https://elibrary.bwv-verlag.de/journal/fw
5 https://wissenschaft-und-frieden.de/
6 https://berghof-foundation.org/
7 https://www.frient.de/
8 https://pzkb.de/
9 https://afk-web.de/
10 http://natwiss.de/
11 http://www.friedenspsychologie.de/
12 https://www.fiff.de/

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.