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4.-7.10.90 in Kiruna/Nordschweden
Friedenskongress· Soziale Verteidigung
vonUngefähr 200 Menschen folgten der Einladung der Grünen Partei Norrbottens (Lapplands) zu einem "Nordischen Friedenskongress· über Soziale Verteidigung". Das Ziel der VeranstalterInnen, die eng mit den War Resisters International zusammenarbeiten, war, über die Mittel und Wege zu diskutieren, "die Natur zu schätzen, Demokratie zu stärken und eine wirkliche Demokratisierung in der ganz Welt zu erreichen", wie es in der Einladung hie·. Als ReferentInnen waren u.a. geladen: Julio Quan von der FriedensuniversitÑt in Costa Rica, der sein Konfliktmodell vorstellte, Trini Leung aus Hongkong, die über die Demokratiebewegung in China sprach und Marko Hren aus Slowenien, der über die Unabhängigkeit- und Anti militärische Bewegung in seiner Heimat berichtet. Aus der BRD war ich die einzige Vertreterin; mit der Aufgabe, einen Beitrag zur Geschichte der Sozialen Verteidigung zu halten und mit Johann Galtung über die Kombination von Sozialer und militärischer Verteidigung zu streiten.
Soziale Verteidigung begriffen die OrganisatorInnen in einem weiten Sinne:
Was ist Soziale Verteidigung?
Soziale Verteidigung ist eine Alternative zu militärischer Verteidigung. Aber es ist eine Verteidigung, die Bedrohungen der Umwelt und soziale Ungerechtigkeiten genauso ernst nimmt wie die militärischen Bedrohungen. Soziale Verteidigung ist ein gewaltfreier Kampf. Ein Kampf ohne Waffen. Eine andere fundamentale Idee ist, eine dezentralisierte, weniger verletzbare und mehr sich selbst erhaltende Gesellschaft aufzubauen.
Soziale Verteidigung ist eine Verteidigung ohne Kontrolle durch die Regierung und ohne die strikt hierarchische Struktur des Militärs.
Warum Soziale Verteidigung ?
Wir bewegen uns auf einen ökologischen Zusammenbruch zu. Die politischen Systeme haben sich als inadäquat erwiesen, wenn es darum geht, die Richtung zu Ändern. Die enormen Ressourcen, die jedes Jahr eingeplant werden, um die Zerstörung durch Krieg vorzubereiten, sind nur ein Beweis von vielen.
Wir, die Menschen, können die Verantwortung für die Zukunft nicht den Industrieführern und Politikern überlassen.
Wir sollten den Weg zeigen!
Durch bewußt gewaltfreien Kampf kann die alternative Bewegung effektiver werden und in den neunziger Jahren die Initiative von den industriellen Lobbyisten Übernehmen."
(Übersetzung: C.S.)
Diesem umfassenden Ansatz entsprach das Programm der Konferenz: die Überwiegende Zeit war - nach einer Einführung in die Entwicklung des Begriffes Sozialen Verteidigung - verschiedenen gewaltfreien Bewegung in Schweden) und anderen Ländern gewidmet: dem Kampf in Alta (Norwegen) für eine samische Kultur, Greenham Common, der Intifada, Südafrika, den Widerstand in Südschweden gegen das Fällen von Bäumen zum Bau einer neuen Straße usw. Ein sehr interessanter Vortrag von Per Gathon (Parlamentsmitglied in Schweden befaßte sich mit der Bedrohung der Demokratie. Garthon stellte eine Studie über Machteliten in der schwedischen Gesellschaft vor, die zum Ergebnis hat, da· die wahre Macht nicht bei den demokratischen Institutionen, sondern bei Kreisen von Lobbyisten liegt (was sicher nicht nur für Schweden zutrifft). Anstatt Demokratie als kollektive Entscheidungsfindung zu begreifen, werde sie heute als "individuelle Wahlfreiheit" definiert. Dies sei eine gefährliche Entwicklung, zumal sie mit einer Globalisierung der Politik (hin zu einer "Weltregierung") anstatt mit der Stärkung von Demokratie auf lokaler Ebene einherginge.
Ein Vormittag war der Frage des Weges zur Abrüstung und der Einführung von Sozialer Verteidigung über eine zeitweilige Kombination mit militärischer Verteidigung gewidmet. Johan Galtung trug diesen Vorschlag in einer seiner wie üblich stilistisch brillanten Rede vor, wo er argumentierte, da· nicht alle Menschen PazifistInnen seien und deshalb ein gradueller Prozess· gewählt werden müsse. Dieses Thema, das anschließend an Galtungs Vortrag in einer Podiumsdiskussion vertieft wurde, war den VeranstalterInnen u.a. deshalb wichtig, weil sie innerhalb ihrer Partei im Dezember dieses Jahres eine Abstimmung darüber durchführen wollen, welches Verteidigungskonzept sie in ihr Programm aufnehmen wollen.
Die Konferenz endete mit einem Rollenspiel, dessen Szenario der Besuch von EG-VertreterInnen in Kiruna war zu dem Zeitpunkt, nachdem Schweden der EG beigetreten ist. Die EG-VertreterInnen - personifiziert durch alle anwesenden AusländerInnen - sollten den EinwohnerInnen Norrbottens die Segnungen des gemeinsamen Marktes, z.B. einen Ausbau des Bergbaus und der Tourismusindustrie - nahebringen.
Der Kongress· hatte einen eindeutig einführenden Charakter. Die Plena und auch die sog. Arbeitsgruppen wurden durch Vorträge bestritten; Zeit für die Diskussion blieb kaum. Während dies den anwesenden AusländerInnen - fast alles Mitglieder der War Resisters International - eher unangenehm auffiel, ergab eine kleine Umfrage unter den SchwedInnen, daß sie mit dem Verlauf sehr zufrieden waren und sehr viel Neues und Interessantes gehört hätten. Ich glaube, dass die Konferenz in der Lage war, der Debatte in der gewaltfreien Bewegung Schwedens neue Anstöße zu geben.
Wer schwedisch lesen kann, kann sich über die weitere Diskussion in einer neuen Zeitung namens "Paria" informieren, die vor dem Kongress das erste Mal erschienen ist. Sie kann für 100 Kronen/Jahr (ca. 27.- DM) bestellt werden unter folgender Adresse:
Paria, Bokfîrlaget NU, Mijälafors 2552, 95042 Morjörv, Tel.: 0046/23/52052 (Per Holmquist).
Einer der Hauptorganisatoren der Tagung, Jürgen Johansen, hat gerade ein Buch über Soziale Verteidigung unter dem Titel "Socialt Försvar" herausgegeben, das für 100 Kronen unter der gleichen Adresse bestellt werden kann.
Die Konferenz selber soll dokumentiert werden; die Dokumentation wird bei der gleichen Adresse bezogen werden können.
Christine Schweitzer ist Mitarbeiterin der Graswurzelwerkstatt Köln