Am Beispiel der "Ferien vom Krieg"

Friedenspolitische Relevanz internationaler Jugendbegegnungen

von Helga DieterBrigitte Klaß

Die vorgegebene Artikelüberschrift hieß ursprünglich: „Friedenspädagogische Relevanz internationaler Jugendbegegnungen“ und wurde von uns geändert. Die Unterscheidung von Friedenspädagogik für Jugendliche (Einübung verbaler Lösungsstrategien bei Alltagskonflikten, psychosoziale Mechanismen der Aggressionsabfuhr, Planspiele zu politischen Entscheidungen usw.) und Friedenspolitik (Stellungnahmen, Analysen und Enthüllungen gegen Militarisierung und Kriegsinterventionen) halten wir für problematisch. Da die kritische Form der Politikberatung für Staatsorgane von diesen nicht gehört wird, ist ihre aufklärerische Wirkung eher nach innen gerichtet und zeigt auf, was zur Friedenssicherung global möglich wäre. Insofern ist sie faktisch eine normative Ebene der Friedenserziehung.

Gesellschaftliche Veränderungen werden seit der Studentenbewegung stärker durch soziale Bewegungen junger Menschen bewirkt als durch etablierte gesellschaftliche Institutionen. Die Vernetzung findet immer weniger bei internationalen Begegnungen statt, sondern immer mehr im Internet. Sie kann dabei eine Dynamik entfalten, die friedenspolitisch schwer einschätzbar ist. So ist anzunehmen, dass sich die weltweiten G 8 Proteste, die Revolte im „arabischen Frühling“ oder die Zeltstädte in Israel wechselseitig beeinflussten, auch wenn sich die Akteure nie begegneten. Es geht dabei nicht um die Idealisierung einer neuen Jugendbewegung, sondern um ein verändertes Politikverständnis.

Dass in Krisen- oder Kriegen sich „normale“ Menschen beider Seiten in größerer Zahl zusammenfinden, um Lösungen zu suchen, ist höchst selten und – wie die Aktion „Ferien vom Krieg“ (1) zeigt-, leider nicht so einfach, wie Bert Brecht es ausdrückte: „Sprechen erst die Völker selber, werden sie schnell einig sein!“

Internationale Jugendbegegnungen
Die Bedeutung der internationalen Jugendbegegnungen für die deutsche Nachkriegsgesellschaft wird vermutlich unterschätzt, wie z.B. das Deutsch-Französische-Jugendwerk, das zur Aussöhnung mit dem „Erbfeind“ beitrug (8 Millionen TeilnehmerInnen). Austauschkontakte zwischen Schulen, Kirchengemeinden, Städtepartnerschaften usw. wurden staatlich gefördert. Gemeinsam ist diesen unterschiedlichen und oft problematischen Ansätzen eine große Breitenwirkung.

Fast alle Fördermittel zielen heute dagegen auf die Auslese einer Elite. Vom Kosovo bis Palästina geht es um die „Education for Leadership“. Die Kriegsherren, die selbst nicht miteinander verhandeln wollen, schicken systemkonforme junge Leute, meist aus der eigenen Familie oder Partei, zu internationalen Friedens-Kongressen ins Ausland. Die treffen dort junge AnführerInnen aus dem feindlichen Lager, die ebenfalls von ihrer Regierung geschickt wurden. Die lächeln dann mit PolitikerInnen des Gastlandes zusammen in die Kameras. Selbst in seriösen Friedensorganisationen werden Trainingskurse zur „Leadership“ angeboten. Unsere Einwände gegen die dahinter stehenden Konzepte von Hierarchie und Herrschaft stoßen auf Unverständnis.

Für den deutsch-israelischen Jugendaustausch gibt es deutsche Fördermittel, allerdings nicht für PalästinenserInnen. Als wir einmal in den Genuss kommen wollten, musste man vorab eine Teilnehmenden-Liste in einem Büro in Tel Aviv abgegeben, das sich im Hause des Geheimdienstes befand. Diese Voraussetzung der friedensstiftenden Jugendbegegnung erschien unseren israelischen Partnern unzumutbar.

Das Beispiel der „Ferien vom Krieg“
Die Begegnungen bei der Aktion „Ferien vom Krieg“ sind nicht typisch für internationale Friedenscamps, wo sich in der Regel Jugendliche aus vielen Ländern treffen und Erfahrungen austauschen, wie etwa bei den Kriegsdienstverweigerern oder bei der Vorbereitung von Aktionen. Junge Menschen aus verfeindeten Lagern treffen sich bei den „Ferien vom Krieg“ auch in Zeiten größter Spannungen. Doch was heißt dabei „international“? Eine der schwierigsten Konstellationen ist die zwischen bosnischen Serben; bosnischen Kroaten und Bosniaken. Alle sind jetzt BosnierInnen, alle waren früher JugoslawInnen, dennoch wachsen sie in feindlicher Atmosphäre voneinander hermetisch getrennt auf.

Im Rahmen der Aktion „Ferien vom Krieg“ wurden seit 1994 mehr als 20.000 Kinder und Jugendliche aus den verfeindeten Entitäten Bosniens, aus Kroatien und Serbien sowie aus dem Kosovo zu gemeinsamen Ferien ans Meer eingeladen, inzwischen sind es jährlich noch fast 300. Die meisten geben die zentrale Botschaft der „Ferien vom Krieg“ weiter: “Wir können zusammen leben, sogar unter einem Dach!“ Schon die riesige Zahl von MultiplikatorInnen ist in dem kleinen Bosnien von großer Relevanz.

Mit dem zeitlichen Abstand zu den Kampfhandlungen erhöhten wir die Altersgruppe auf 14-18 Jahre. Neben gemeinsamen kreativen Workshops gibt es auf Wunsch der Jugendlichen immer mehr Angebote zum Krieg im eigenen Land, der bis heute ein Tabu in den Schulen und den meisten Familien ist. Die Jugendlichen erleben die Schuldzuweisungen und den Hass gegenüber den „Feinden“ ohne vertieftes Wissen über den Krieg. Bei den Begegnungen löst die Sichtweise der „Anderen“ nun Irritationen und Betroffenheit aus. Die Jugendlichen fragen nach. In den Workshops zum Krieg werden seitdem die Verhältnisse im ehemaligen Jugoslawien, die Gewalteskalation in den blutigen Sezessionskriegen sowie die politischen und ökonomischen Interessen der Kriegsherren thematisiert. Daraus entsteht bei vielen das Bedürfnis, gemeinsam nach außen friedenspolitisch zu handeln.

Auf dem Höhepunkt der zweiten Intifada 2002 wurde das Projekt auf junge Menschen (20-30 Jahre alt) aus Israel und Palästina (Westbank) ausgeweitet. Weil Israelis der Zugang in die besetzten Gebiete verboten ist, und PalästinenserInnen nicht nach Israel einreisen dürfen, finden die Dialogseminare in Deutschland statt. Für die meisten ist der Ort aber völlig unerheblich. Sie sind darauf konzentriert, die zwei Wochen zu nutzen, um ihre Schicksale und Sichtweisen zu erzählen bzw. die der anderen mit Erstaunen zu hören. In den ersten Jahren haben bei einigen Gruppen auch deutsche Jugendliche teilgenommen. Das war für alle drei Seiten eher kontraproduktiv.

Bei der Annäherung der feindlichen Lager brechen sowohl beleidigende Vorurteile als auch tiefsitzende Verletzungen auf. Die Situation kann sehr emotional, aggressiv oder vertraulich werden. Daran Unbeteiligte neutralisieren oder stören den sozialen Prozess schon durch ihre Anwesenheit. Oft werden sie in die Anwalts- oder Schiedsrichterrolle gedrängt, was den Dialogprozess belastet. Eine breite internationale Beteiligung ist bei Friedensbegegnungen also nicht immer förderlich.

Zwar haben diese Begegnungen keinen unmittelbaren Einfluss auf politische Entscheidungen, aber inzwischen doch einen wichtigen Einfluss auf die politische Meinungsbildung. So wurde z.B. ein Video mit der szenischen Inszenierung eines Friedensliedes, das ein Teilnehmer bei you-tube ins Netz stellte, in kurzer Zeit 65.000 mal gesehen und in über 100 Medien im gesamten ehemaligen Jugoslawien darüber berichtet (http://www.youtube.com/watch?v=ZBex3NrenBI). Die sozialen Proteste in Israel wurden von einer Teilnehmerin des Vorjahres initiiert, die als erste ihr Zelt in Tel Aviv aufstellte. Im nächsten Jahr finden die „Ferien vom Krieg“ im ehemaligen Jugoslawien zum 20. Male statt. Dazu sind in Frankfurt eine Konferenz und im bosnischen Tuzla ein großes Fest geplant.

Anmerkung
1 Die Aktion „Ferien vom Krieg“ können wir hier nur kurz skizzieren. Wir gehen davon aus, dass die Leser dieser Zeitschrift sie kennen, andernfalls schicken wir gerne Informationsmaterial. Dieser Artikel ist die Kurzfassung von ausführlicheren Erwägungen zum Thema. Die meisten Beispiele zum Dialogprozess und Belege für Aktionen fielen der Kürzung zum Opfer, sie können aber im Internet bei www.ferien-vom-krieg.de) nachgelesen werden.

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Brigitte Klaß arbeitet als Sachbearbeiterin in einem Geschäft für Braut- und Abendmoden. Seit 2000 fährt sie zu den "Ferien vom Krieg" im ehemaligen Jugoslawien und koordiniert diesen Teil des Projektes. Sie ist in Frankfurt auch in der Friedensbewegung aktiv.