Friedenswochen - Ein Aktionsmodell geht ins dritte Jahrzehnt!

von Siegfried Menze

Viele kleine Leute in vielen kleinen Orten die viele kleine Dinge tun können das Gesicht der Welt verändern. (Afrika)
Für den 6.-16.11.1988 rufen die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), Aktion Sühnezeichen /Friedensdienste (AS/F), Arbeitsgemeinschaft der Evang. Jugend in der BRDeutschland und Berlin-West, Initiative Kirche von unten und Pax Christi zur 9. bundesweiten ökumenischen Friedensdekade auf. Damit geht die "Friedenswoche" ins dritte Jahrzehnt, Grund genug, einen Blick zurückzuwerfen, Etappen aus 20 Jahren zu skizzieren.

Es begann in den Niederlanden
1967 wurde in den Niederlanden vom "Interkirchlichen Friedensrat" (IKV) die erste Friedenswoche ("Verteilung des Wohlstands, keine Streuung der Kernwaffen") landesweit organisiert. Der IKV wurde Ende 1966 auf Vorschlag von Pax Christi als ein offizielles Gremium ökumenischer Zusammenarbeit der Kirchen in den Niederlanden gegründet. Er begreift "sich als eine Friedensbewegung innerhalb der Kirchen, die klarmachen will, daß 'Frieden' inhaltlich mehr bedeutet als Abwesenheit unmittelbarer Gewalt und daß 'Frieden' im positiven Sinn des Wortes von Menschen realisiert werden kann, vor allem durch politisches Engagement" (Bahr/Seippel, S. 35). Die Friedenswoche sollte vor allem Mitglieder der Kirchen besser ausrüsten "im Nachdenken über das Problem von Krieg und Frieden, um sie so zu politischen Aktionen und Entscheidungen zu befähigen'' (a.a.O.). Das Aktionsmodell wurde ein wichtiger niederländischer Exportartikel. Minden 1972 - erste bundesrepublikanische Friedenswoche In der alten Garnisons- und Frontstadt Minden an der Weser-Lech-Linie beschlossen Gruppen und Einzelpersonen (vor allem aus Friedens-, Eine Welt- und Menschenrechts-Initiativen), die bis dahin weitgehend unabhängig voneinander gearbeitet hatten, 1972 eine lokale Friedenswoche nach dem Vorbild des Nachbarlandes durchzuführen - "Friede ist mehr als kein Krieg". Unter "Frieden" wurde in Anlehnung an das biblische Shalom und den mehrdimensionalen Ansatz der kritischen Friedensforschung (Galtung/Senghaas) auch "soziale Gerechtigkeit für die Dritte Welt und Randgruppen in der eigenen Gesellschaft, Mitbestimmung und größtmögliche Identität des Einzelnen" (Luber/Bloch, S. 32) verstanden. Problemvermittlung reicht allein nicht aus, sondern "Friedensarbeit bedeutet ... , möglichst viele Mitbürger dazu ermutigen, gemeinsam den Spielraum von Selbständigkeit, Solidarität und Gerechtigkeit mit gewaltfreien, demokratischen Konfliktlösungen zu erweitern" (a.a.O.). Die erste Friedenswoche war nicht nur lokal erfolgreich. Es wurde der V er ein "Aktionsgemeinschaft Friedenswoche Minden e.V." (Friwo) gegründet, der in den 70ern auch verschiedene sozial-, bildungs- und friedenspolitische Projekte in der Region aufbaute (in . der Obdachlosen- und Ausländerarbeit; Bildungswerk und Heimvolkshochschule; Friedensbüro). Eine regionale Friedensarbeit entwickelte sich. Die Friedenswoche wirkte in die Region - die 2. Friedenswoche wurde im Kreis durchgeführt - und ins Bundesgebiet hinein, nach Berlin, Bietigheim, Hessen, Dortmund, Tübingen.

Nationalisierungsbestrebungen
über eine bundesweite Zusammenarbeit wurde früh nachgedacht. Beispielweise trafen sich 1974 und 1975 Delegierte lokaler FriedenswochenInitiativen. In Dortmund wurde ein Koordinierungsbüro eingerichtet, das dann in die älteste Friedensschule der BRDeutschland, das Internat. Freundschaftsheim (IFH) in. Bückeburg (heute: ökumenisches Begegnungszentrum) übersiedelte. Am 8./9.3.75 bildete sich im IFH eine "Arbeitsgemeinschaft der Friedenswochen". Ihr Fernziel war eine terminliche und evtl. thematische Koordinierung aller in einem Kalenderjahr in der Bundesrepublik stattfindenden Friedenswochen.
"Frieden schaffen ohne Waffen"· 1. bundesweite Friedenswoche 1980 Ideen brauchen für die Verwirklichung immer auch einen Apparat. Die AS/F überlegte seit langem, wie sie ihre Arbeit besser bekannt machen und wo sie die Rückkehrer aus den Freiwilligen Diensten im Inland weiterarbeiten lassen könnte. Eine bundesweite Friedenswoche, zumal als friedenspolitische Reaktion auf den sog. NATO-Doppelbeschluß 1979, schien ein vielversprechendes Aktionsfeld werden zu können, wenn die 79er West-Berliner Friedenswoche auch noch nicht viele bewegte. Nach 5 Jahren wurde die Idee real.

AS/F - wie die Friwo und das IFH Mitglied der AGDF - und AGDF riefen zur 1. bundesweiten Friedenswoche ("Frieden schaffen ohne Waffen") vom 16.-22.11.80 auf. In der Berliner Kontaktstelle arbeiteten Freiwillige. Zwei wichtige Ziele hatte diese Friedenswoche:
1.    Die Friedensbewegung sollte wachsen. Das quantitative Argument blockte in den 80em leider oft Diskussionen über Aktionsformen ab.
2.    "Deutlich werden muß, daß die Arbeit für den Frieden täglich geleistet werden muß, ob nun in der Familie, der Schule, im Betrieb, in der Jugendgruppe, der Kirchengemeinde, der Gewerkschaft, der Bürgerinitiative, im Stadtteil, -~· überall." (Rundbrief FRIEDEN SCHAFFEN.Nr. 2, S. 9). Deutlich wurde es in den 80ern u.a. mit der Gründung zahlreicher Initiativen in allen diesen Bereichen.
Nicht zufällig startete diese Friedenswoche mit dem Volkstrauertag. Seit langem bemühten sich AS/F und AGDF, daß der Volkstrauertag in den Kirchengemeinden als Friedenssonntag begangen wird. 1980 gaben sie zum fünften Mal eine Predigthilf e für Gemeinden mit diesem Anliegen heraus. Die ''Erinnerung an das Leid und den Schmerz des Zweiten Weltkrieges" soll fruchtbar gemacht werden "für das heutige Friedenszeugnis der Christen und Kirchen", "die unermeßlichen Opfer anderer Völker" sollen "nicht vergessen werden" (Rundbrief Nr. 2, S. 8).

Die bundesweite Friedenswoche übertraf alle Erwartungen. "In 350 Orten der Bundesrepublik und in allen Bezirken West-Berlins liefen Aktivitäten. In über 135 Städten, Stadtteilen, Dörfern, Kirchenkreisen und -gemeinden oder Schulen fanden Friedenswochen statt". Es beteiligten sich "überwiegend Gruppen aus der evangelischen und katholischen Kirche und Jugendliche … " (Rabe, Rundbrief Nr. 5, Mai 81, S. 2). Der Rat der Ev. Kirche von Deutschland erklärt im März 81 den Volkstrauertag zum Friedenssonntag und ruft zu einer Friedensdekade vom 8.- 18.11.81 auf.

Ausblick: lokales Engagement nicht vernachlässigen .
In den 70ern ging es mit dem Aktionsmodell "Friedenswoche" besonders um Problemverdeutlichung, um Medienwirksamkeit, um Bündnisse zwischen Personen und Gruppen mit unterschiedlichen politischen und weltanschaulichen Hintergründen. Anfang der 80er sollte und konnte der Widerstand gegen die NATO-Rüstung geschärft und verstärkt werden, wurden "Friedenswochen" nach Würdigung durch die offizielle Kirchliche Plattform · christlicher Friedensgruppen in den Gemeinden.

Heute sollten die globalen Kenntnisse vertieft, ihre regionale Bedeutung untersucht sowie regionale Konzepte von Friedensarbeit entworfen und umgesetzt werden. "Friedenswochen" sind damit für mich kein zentrales Aktionsmodell mehr. Sicher war ihre Wirkung immer begrenzt, jede Auswertung lehrte das. Dennoch sind sie, nicht nur gemessen an der Entwicklung des sog. Mindener Modells (vgl. Kommunale Friedensarbeit 2/88, S. 4/5) eine Wurzel kommunaler Friedensarbeit.

Für christliche Friedensgruppen sind sie zudem immer noch unverzichtbarer Kristallisationspunkt im Gemeindeleben, an dem die Gemeindemitglieder im Sinne des IKV ausgerüstet werden sollen. Außerdem sollten sie genutzt werden, den konziliaren Prozeß an der Basis voranzutreiben.

Wer sich selbst über die Anfänge der "Friedenswochen" informieren will, kann das u.a. in:
- Bahr/Seippel (Hg.): Soziales Lernen. Gruppenarbeit für den Frieden, Stuttgart 75
- Luber/Bloech (Hg.): Frieden auf dem lande. 30 Jahre IFH Bückeburg, Waldkirch 78
- AS/F (Hg.): Frieden schaffen ohne Waffen. Rundbriefe zur bundesweiten Friedenswoche

Der Aufruftext für die diesjährige Friedenswoche ist bei der AGDF, Blücherstr. 14, 5300 Bonn 1, erhältlich.
 

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