FRONTEX - der paramilitärische Arm Europas im Krieg gegen die Migration aus Afrika

von Dirk Vogelskamp

Bei einer Anhörung im europäischen Parlament im Juli 2007 schätzten Fachleute aus verschiedenen Organisationen, dass jährlich zwischen 100.000 und 120.000 Menschen das Mittelmeer zu überqueren suchen - Flüchtlinge auf der Suche nach Schutz, Migranten auf der Suche nach Überlebensperspektiven in Europa. Über das Mittelmeer führen Flucht- und Arbeitswege. Sie kommen aus den afrikanischen Anrainerstaaten des Mittelmeers, aus der Sub-Sahararegion und anderen Teilen der Welt; sie sind nicht im Besitz öffentlicher Einreisepapiere. Des Weiteren wurde vermutet, dass etwa 10.000 Menschen in den zurückliegenden zehn Jahren auf der Überfahrt den Tod fanden. Eine eher konservative Schätzung.

Das Mittelmeer - ein Massengrab von Arbeitssuchenden und Flüchtlingen
Allein für das Jahr 2006 dokumentierte die andalusische Vereinigung für Menschenrechte (APDHA) 1.167 Todesfälle. Unter Einbeziehung zahlreicher Informationsquellen schätzt die Menschenrechtsorganisation die Zahl der Todesopfer auf etwa 7.000. Mindestens 921 Bootsflüchtlinge sind im vergangenen Jahr (2007) bei dem Versuch ums Leben gekommen, von Afrika nach Spanien überzusetzen, so die offizielle Behördenregistrierung. Die tatsächliche Zahl der Opfer schätzt APDHA auf mindestens 3.500. Da inzwischen die Migrationsrouten über das Mittelmeer und vor der westafrikanischen Küste blockiert und kontrolliert werden, müssen die Menschen, die den Kontinent verlassen wollen, immer weitere und gefährlichere Wege zurücklegen. Deshalb kann die Zahl der Ertrunkenen, der Verdursteten und tödlich Erschöpften nicht annähernd abgeschätzt werden. Der unerhörte Tod all dieser Menschen steht im Kontext einer europäischen Migrationsverwaltung, die die Südgrenzen immer dichter grenzpolizeilich und paramilitärisch gegen die "illegale" Migration abriegelt. Sie alle sind Opfer dieses mörderischen Grenzregimes.

FRONTEX als organisatorischer Kern strategischer Grenzkontrolle und -gewalt
Die lediglich exekutiv auf dem Verordnungswege geschaffene "Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der EU" (FRONTEX, abgeleitet aus dem Französischen frontiŠres extérieurs) nahm ihre Arbeit bereits im Mai 2005 auf. Die Aufgaben der Grenzschutzagentur sind weit gefasst: Sie soll die operative, also konkrete Maßnahmen betreffende Zusammenarbeit zum Schutz der Außengrenzen koordinieren, die Mitgliedstaaten bei der Grenzsicherung und bei der Abschiebung nicht aufenthaltsberechtigter Personen unterstützen, Risikoanalysen über irreguläre Einwanderungen er- und Informationen dazu bereitstellen, die aus polizeilicher und nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit gewonnen werden. Die Agentur "Frontex", mit einem jährlich steigenden Millionenbudget ausgestattet, kann für von ihr geführte Einsätze auf Ausrüstung (Schiffe, Hubschrauber, Flugzeuge, Wärmebildkameras ...) und Grenzpolizisten zugreifen, die in einem zentralen Register verwaltet und von den EU-Mitgliedstaaten bereitgestellt und finanziert werden. Inzwischen hat sie diverse multinationale Kontroll- und Überwachungseinsätze zu See, Land und an Großflughäfen geführt. Sie entwickelt "im Kampf gegen die illegale Migration" einen Rahmen von offiziellen Einrichtungen, informellen Kooperationen und praktisch grenzpolizeilichen Vernetzungen und Maßnahmen, die an dieser Stelle nicht alle angeführt werden können. Eines ihrer Schwerpunkteinsatzgebiete waren in den vergangenen Jahren Seepatrouillen im Mittelmeer und im Atlantik vor der westafrikanische Küste, um Fischerboote mit Migranten aufzubringen und sie an der Weiterfahrt zu hindern. Zu diesen Einsätzen gehörte ebenso die Identifizierung der unerlaubt und ohne Dokumente angelandeten Migranten auf den kanarischen Inseln durch Frontex-Experten und die Organisation ihrer kollektiven Rückschaffung. Bei den exterritorialen Grenzschutzmaßnahmen vor der westafrikanischen Küste wurden im Jahr 2006 lt. Frontex-Angaben 3.887 illegale Migranten in 57 Cayucos aufgebracht und entgegen internationalen Bestimmungen zurück an die Herkunftsküste eskortiert. Die Agentur gibt an, über 5.000 Migranten an der Überfahrt nach Europa gehindert zu haben. Bei den Seepatrouillen im Jahr 2007 seien bereits 8.258 "illegale" Migranten bis Dezember aufgebracht worden. Frontex, so das offizielle Vorhaben, soll zu einem organisatorisch koordinierenden Kern eines europäisch integrierten Grenzsicherungssystem gegen die unerwünschte Migration ausgebaut werden, in dem polizeiliche, nachrichtendienstliche, militärische und zivile Institutionen eng miteinander kooperieren.

Grenzscheiden der Globalisierung
Im Rahmen gegenwärtiger kapitalistischer Globalvergesellschaftung mit ihren katastrophalen Folgen für Menschen und Umwelt nimmt Migration quantitativ zu; aber nur die wenigsten schaffen den Sprung in die wohlhabenden Metropolen, wo sie ihr Überleben zumeist prekär sichern können. "Illegale Migration" gerät zumeist an den Grenzscheiden zwischen den prosperierenden Wohlstands- und den Depressionszonen der Globalisierung in den Blick. Diese Grenzscheiden sind vor allem ein politischer und sozialer Sachverhalt und erst in zweiter Linie ein geographischer. Das europäische Migrationsregime greift deshalb politisch und grenzpolizeilich weit auf die Nachbarregionen über. Die Frontex-gestützte europäische Organisation der Bekämpfung "illegaler Migration" an den Südgrenzen besteht aus Lagern, militarisierter Seeüberwachung und technisch ausgefeilten Erfassungsinstrumenten, um Migration aus Afrika einzudämmen, zu unterbinden und festzusetzen. Menschenrechte und Flüchtlingsschutz bleiben zumeist wohlfeile Rhetorik. "Flüchtlingsschutz" findet, wenn überhaupt, fernab der globalen Metropolen in den regionalen Schutzzonen und Lagersystemen statt. Das internationale Schutz- und Abwehrsystem ist so ausgerichtet und wird mithilfe von Frontex so fortentwickelt, dass die Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen und Migranten von Land zu Land weitergeschoben wird, bis sie irgendwann in den UNHCR-F Flüchtlingsreservaten oder in den Verstecken und Siedlungsrändern der Megacities auf den Transitrouten der Migration stranden. Flüchtlinge und Migranten sind eine höchst verletzliche und zugleich äußerst rechtsschwache Gruppe im internationalen Rechtssystem. Ihre Menschenrechte werden fortwährend verletzt. Es zeichnet sich am Horizont kein "Menschrechtsregime" ab, das diese durchsetzen könnte oder wollte. Vielmehr nimmt die "Bekämpfung der illegalen Migration" an den europäischen Außengrenzen schon heute Formen der Triage an.

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Dirk Vogelskamp ist Referent des Komitee für Grundrechte und Demokratie.