14. Strategiekonferenz 2020 der Kooperation für den Frieden

Frontex, PESCO und EU-Armee - eine schlafende Schönheit ist erwacht?

von Renate Wanie
Initiativen
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Die Entscheidung, Europa zum Thema einer Strategiekonferenz zu machen, hat sich 2018 in Heidelberg auf einem Werkstatt-Treffen entwickelt. Die Richtung hieß  „Friedensprojekt Europa“. Denn die militärische Aufrüstung der EU erhält wenig Beachtung. Fast alle EU-Staaten verpflichteten sich z.B., regelmäßig ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen und sich an gemeinsamen Rüstungsprojekten zu beteiligen. Damit wird PESCO, die „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ zum Herzstück der „Gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik“ (GSVP) der EU.

Mit dem Titel „Frontex, Pesco und EU-Armee – oder zivile Alternativen zur EU-Aufrüstung?“ wurde auf der 14. Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden, einem Zusammenschluss von mehr als 50 Organisationen und Initiativen der Friedensbewegung, die Militarisierung der EU-Politik analysiert sowie Visionen und zivile Alternativen diskutiert. Die Konferenz fand in Stuttgart statt.

Märkte, Macht und Muskeln
Zunächst analysierte Dr. Thomas Roithner, Friedensforscher und Privatdozent an der Universität in Wien, Elemente der Sicherheits- und Friedenspolitik der EU und der Rolle Deutschlands. Dabei wies er auf neue Formen der Politik hin, mit der moderne Staaten nicht mehr ein Territorium direkt besetzen, um es zu kontrollieren. Geopolitik werde mehr und mehr von geoökonomischen Instrumenten, d.h. von wirtschaftlichen Investitions- und Absatzstrategien für Rohstoffe und der Rüstungsindustrie, bestimmt. Wirtschaftliche und politische Spielregeln konkurrieren, die militarisierte Machtausweitung bestimme die globalisierte Welt. Es werde beispielsweise nicht mehr von Rüstungsprojekten gesprochen, sondern von Industrieprojekten. Auf die Frage eines Abgeordneten zur Aufstockung des Militärhaushaltes im EU-Parlament, weshalb es keine Erhöhung der zivilen Projekte gebe, sei u.a. die Antwort gewesen, Projekte im Rahmen der zivilen Krisenprävention gehen zu langsam!

Bezüglich der derzeitigen Politik in Österreich sprach Roithner von einer „Versicherheitlichung“, wo z.B. zunehmend Aufgaben der Polizei vom Bundesheer übernommen werden. „Zivile Probleme brauchen jetzt zivile Lösungen und keine Militarisierung.“ Als globales Beispiel nannte Roithner die militärische Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika, an der auch EU- und NATO-Missionen sowie Russland und die USA mit immer wieder neuen Begründungen zur Sicherheit permanent präsent seien. Das habe jedoch offenkundig mit der geostrategischen Lage und den Öltransporten, weniger mit dem Kampf gegen die Piraterie zu tun . Abrüstung, zivile Krisenprävention oder Vermittlung seien vergeblich in den EU-Papieren zu finden.

Der Weg Europas zur militärischen Großmacht?
„Wer exportiert, macht Politik in dem jeweiligen Land. Rüstungsexporte sind ein Machtfaktor“ - mit dieser These stieg Claudia Haydt, Soziologin und Referentin bei der Informationsstelle Militarisierung, Tübingen (IMI), in ihren Vortrag ein. Es existiere nicht nur ein industrielles, sondern auch ein machtpolitisches Interesse, Rüstungsexporte zu fördern.

Dafür spreche auch der deutsch-französische „Aachener Freundschaftsvertrag“ vom 22. Januar 2020. Der Vertrag solle Begegnungen und den Austausch der Bürgerinnen und Bürger unterstützen. Doch er sei im Wesentlichen ein binationaler Aufrüstungsvertrag. Dessen Kernstück stärke neben der Aufrüstung im Rahmen einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) die jeweilige Rüstungsindustrie und weiche die Rüstungsexportlinien auf. Zudem sei Frankreich seit dem Brexit die einzige verbliebene Atommacht in der EU. Es fordere von Europa viel mehr Engagement bei der gemeinsamen Verteidigung und biete Partnern einen größeren Einblick in ihre nationale nukleare Abschreckung an, um sie in die nukleare Militärstrategie seines Landes einzubeziehen. Haydt rief dazu auf, mit dem Atomwaffenverbotsvertrag Druck zu machen, sich internationalen Kampagnen anzuschließen und den ICAN-Städte-Appell immer wieder zu verbreiten.Ebenso wie Thomas Roithner machte Claudia Haydt deutlich, dass in den verschiedenen EU-Verträgen und -Strategien die globalen ökonomischen Interessen der EU zunehmend militärisch abgesichert werden. So werde dem „Schutz“ des neoliberalen Weltwirtschaftssystems hohe Priorität eingeräumt und mit Bezug zur EUGS (Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU) weltweit „militärische Sicherheit“ geschaffen, z.B. im Seeverkehr durch offene und geschützte Wege auf Ozeanen und Meeren, die für den Handel von entscheidender Bedeutung seien. Hier müsse der Zugang zu natürlichen Ressourcen sichergestellt werden. Ganz im Sinne der neuen EU-Globalstrategie werde betont, dass die EU zur Durchsetzung ihrer Interessen auf eine Kombination von zivilen und militärischen Fähigkeiten setze und dafür entsprechend ein breites Spektrum von politischen Maßnahmen und Instrumenten gefördert werden müsse. Unabhängig von der NATO und damit von den USA sollen militärische Kapazitäten und damit eine wettbewerbsfähige europäische Verteidigungsindustrie aufgebaut werden, um autonom zu handeln. Gleichzeitig sei jedoch eine tragfähige europäische Verteidigung auch für eine transatlantische Partnerschaft von großer Bedeutung. Eine Zivilmacht Europa wird damit endgültig zu Grabe getragen, so Claudia Haydt.    

Vermutlich wenig bekannt: Nur wenige Tage nach dem Brexit-Referendum im Jahr 2016 wurde ohne das befürchtete Veto Großbritanniens (für die EU ein „Militarisierungsbremsklotz“) die neue Globalstrategie EUGS angenommen, die die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) aus dem Jahr 2003 ablöst. Diese Globalstrategie gehe von einer aktuellen Bedrohungslage der EU aus, bei der die Verteidigungslinie oftmals außerhalb Europas liegen werde. So sehe das dafür ausgearbeitete Einsatzspektrum im Gegensatz zu Zeiten des Kalten Krieges zivile Missionen wie auch militärische Operationen im Rahmen der GSVP (Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU) außerhalb der EU vor – im Dienste einer europäischen Machtpolitik.

Eine Demonstration der Stärke, die ebenfalls an Zeiten des Kalten Krieges erinnere, so der Vergleich von Claudia Haydt, sei Defender 2020, das NATO-Großmanöver (die NATO ist kein Bestandteil der GSVP), das derzeit mit 40.000 Soldat*innen, Panzern und LKWs quer durch Deutschland ziehe. Hier sei die Friedensbewegung gefordert, sich dieser immensen Militarisierung entgegen zu stellen, gemeinsam in internationaler Kooperation.

Visionen für ein Europa, das Frieden wagt
„Wir vermissen Visionen zum Frieden in Europa und wie Europa in der Welt dem Frieden dienen kann. Deshalb stellen wir Thesen zur Diskussion“, so lautete das Anliegen der beiden Autor*innen der Thesen aus der Friedensbewegung, Reiner Braun und Wiltrud Rösch-Metzler. Für die Podiumsdiskussion eingeladen wurden Alain Rouy, Le movement de la paix aus Paris, und Ulrike Duchrow vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg aus Heidelberg.

Alain Rouy bezog sich auf die vorliegenden Thesen und kündigte an, sie nach Frankreich zu bringen. Ihnen liege eine Friedenspolitik zugrunde, die auf Entspannung setze, auf Dialog, Verhandlungen und Kooperation, ohne Grenzen und Ausgrenzung setze. Diese Grundlagen müssten ebenso in die OSZE hineingetragen werden. Rouy forderte die EU auf, sich von Militärbündnissen wie der NATO zu befreien, was auch bedeute, den Waffenhandel abzuschaffen und die vielen Militärbasen im Ausland aufzulösen. Er verlangte ein atomwaffenfreies Europa, das über die EU hinausgehe. Europa müsse eine Kultur des Friedens entwickeln, auch die UNO habe ein nachhaltiges bis revolutionäres Potenzial! Europa brauche eine tiefgreifende Veränderung. Dabei spiele die Zivilgesellschaft eine entscheidende Rolle.

Ulrike Duchrow bezog sich auf These 3, ein Europa des Friedens, das „solidarisch ist mit allen Menschen, die wegen politischer Verfolgung, Krieg oder der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen durch den Klimawandel fliehen müssen“, und setzte den Tausenden, die in den letzten Jahren z.B. im Mittelmeer umgekommen sind, das Recht auf einen Zugang zum Asylverfahren entgegen. Die Abwehrmaßnahmen der EU bezeichnete sie als „Krieg gegen Flüchtlinge“. Zwei der sechs Maßnahmen, die sie einforderte, seien hier genannt: „Die europäische Seenotrettung muss wieder aufgenommen werden; es muss eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa geben, d.h. das Dublin IV System muss abgeschafft werden.“ Gerechte Handelsbeziehungen müssen geschaffen werden. Ein Zitat aus dem Buch, „Diktatoren als Türsteher Europas“ bringe es auf den Punkt: „Von geschützten Grenzen und der Öffnung der Märkte träumt Europa. Von geschützten Märkten und offenen Grenzen träumt Afrika.“ (2) Ideal sei, wenn Geflüchtete erst gar nicht nach Europa kommen müssen.

Eine intensive Diskussion unter den Teilnehmenden schloss sich an, in der u.a. eine Europäisierung der Friedensbewegung und die Kooperation mit der Geflüchtetenbewegung gefordert wurde.

Strategieplanungen zur Umsetzung der Visionen und Forderungen
Für eine Protestaktion am Africom wurde die Mittagspause von den Konferenzteilnehmenden genutzt. Lebenslaute spielte auf, Odilo Metzger, Pax Christi, hielt eine Rede über das Africom, die Kommandozentrale für Killerdrohnen, und Torsten Schleip von der DFG-VK informierte über das aktuelle NATO-Großmanöver Defender 2020.

Zur Umsetzung von Forderungen für zivile Alternativen zur Militarisierung Europas wurde die Methode World Café genutzt. Ziel war es, mithilfe von Moderator*innen aus sieben unterschiedlichen Initiativen und Kampagnen, an sieben verschiedenen Thementischen im Brainstorming Ideen für Strategien zur Umsetzung auf europäischer Ebene zu sammeln. Die Themen wurden am Ende der Konferenz exemplarisch vorgetragen und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit vorgestellt.

Anmerkungen
1 Jakob, Christian und Schlindwein, Simone: Diktatoren als Türsteher Europas. Wie die EU ihre Grenzen nach Afrika verlagert. 2017, 2. Auflage

Der Titel des Artikels wurde einem Zitat von Jean-Claude Juncker entlehnt: Juncker, Jean-Claude zu PESCO in: zeit-online, 11.12.2017: „EU-Staaten beschließen ständige militärische Zusammenarbeit.

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