Für die Abschaffung der "Schule der Nation" BoA und Wehrpflicht

von Peter Wattler

Das Militär hat einen Knacks bekommen. Alle wissen das. Die Bundeswehr spricht von Legitimationskrise. Meinungsumfragenbelegen, daß immer weniger Menschen die Bundeswehr als den Freiheitsgaranten begreifen, als den sie sich selbst so gerne verkauft.  Das alles ist es ehr erfreulich und wir müssen hier unterstellen, daß unsere Leser das ähnlich beurteilen, weil zu einer umfassenden Argumentation für Entmilitarisierung ist an dieser Stelle der Platz fehlt.

BoA - wer Realist ist, läßt das B inzwischen weg, um einem sich zusehens verüberflüssigenden Ideologiestreit aus dem Weg zu gehen - "...ohne Armee" jedenfalls, diese Formel hat offensichtlich gute Chancen, zum neuen - diesmal Maximal- - Konsens der Friedensbewegung zu avancieren. Wir halten das für schädlich und gefährlich. Die  Rolle der Lebensretterin für eine untergehende Bewegung ist für eine gerade erst im Entstehen begriffene Kampagnenidee eine zu hohe Bürde und könnte ihr schnell das eigene Leben kosten. Es gab bisher noch zuwenig Zeit und Gelegenheit, ein eigenes Profil und eine eigene - nicht funktionärsdominierte - AnhängerInnenschaft zu sammeln. Es ist zudem unredlich, wenn mancher jetzt hingeht und das alte Süppchen mit neuem Etikett verkaufen will. Zudem wird es schnell bemerkt und diskreditiert den Versuch eines Neuansatzes. Der Schein des möglich gewordenen Maximalkonsenses trügt: Tatsächlich kann doch von Kompromißbereitschaft kaum noch die Rede sein, wenn mit dem Verlangen nach Integration von Abrüstungsforderungen, die sich auf irgendwelche Waffengattungen und Typen bezieht, praktisch die Selbstaufgabe der Kampagne gefordert wird, noch bevor sie richtig gestartet wurde. Nichts scheint uns schädlicher, als die Forderung nach Abschaffung der Armee dadurch zu entwerten, daß sie um den Preis höherer Integrationkraft zur allseits geteilten Utopie für ein nächstes Jahrtausend degradiert. Dann doch lieber gleich die Vorstellung einer heilen, waffenlosen Welt, in der der Krieg endgültig abgeschafft ist, da können wir jedenfalls sicher sein, daß die CDU und die Katholische Kirche auch gleich mit in das Bündnis eintritt.

Es muß eigentlich erstaunen, daß die Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht als einem ganz wesentlichen Faktor von Militärakzeptanz bisher nur von wenigen erhoben wird und die Grundlage des staatlichen Anspruchs, Männer zwangsweise zum Erlernen des Kriegshandwerks heranzuziehen, also die allgemeine Wehrpflicht - nach Art. 12 GG übrigens eine Kann-Bestimmung - von Kritik weitgehend verschont bleibt.

Angesichts der Tatsache, daß auch viele Progressive die Wehrpflicht als geeignetes Instrument zur Verhinderung einer Armee als "Staat im Staate" verstehen, soll dieser Argumentationsstrang hier näher auf seine Richtigkeit hin untersucht werden.
Gegen eine Handlungsperspektive mit der Konzentration auf die Wehrpflicht wird häufig eingewendet, daß wir uns mit den gewichtigen Argumenten einer drohenden Freiwilligen-/Berufsarmee eingehender auseinandersetzen müßten. Dazu ist festzuhalten: Tatsächlich haben wir in der BRD gar keine Wehrpflichtarmee. Diese hätte nämlich nach der Theorie nur wenige professionelle "Kader" mit Lehrfunktionen. Demgegenüber zeigt sich, daß die Wehrpflicht historisch - was die jüngere Vergangenheit angeht - immer im Dienste der militärisch-politischen Bedarfsdeckung zur Soll-Erfüllung der festgesetzten Mannschaftsstärke beigetragen hat - und insofern auch gar nicht so "allgemein" ist wie es der Name behauptet. Mit der Wehrpflicht wird also keinesfalls eine Armeestruktur beschrieben:

  • 50% der 495.000 "Mann" starken Bundeswehr sind Berufs- und Zeitsoldaten; sie haben sämtliche Führungspositionen schon ab Unteroffiziersebene inne; die Technisierung ist soweit fortgeschritten, daß zur Bedienung komplizierterer Waffensysteme ebenfalls fast ausschließlich Berufs- und Zeitsoldaten herangezogen werden.
  • Wehrpflichtige braucht die Armee lediglich als "Fußvolk", als "billiges" Kanonenfutter im wahrsten Sinne. Da sie in der sprichwörtlich ausgeprägten Hierarchie an unterster Stelle stehen, haben sie auch keinen Einfluß auf die Entscheidungen, die inneren Strukturen und die gepflegte "politische Kultur" innerhalb der Streitkräfte, schon gar nicht die Kontrolle über den Einsatz kriegsbedeutsamer Vernichtungswaffen. Damit erweist sich die Funktion der Wehrpflichtigen als Mittel der Demokratisierung der Armee als (politisch gepflegter) Mythos.

Die Antwort auf die Frage, weshalb die Wehrpflicht ein wesentlicher strategischer Ansatzpunkt in einer Kampagne zur Entmilitarisierung sein sollte, wird deutlich, wenn man sich anguckt, aus welchen Gründen das Festhalten an der Wehrpflicht für die Herrschenden tatsächlich opportun ist:

  • Für die Bundeswehr gilt ebenso wie für viele andere moderne Armeen westlicher Industriestaaten, daß sie heute vor allem ideologische und symbolische Funktionen zu erfüllen hat: Sie repräsentiert nationale Identität und ist Symbol der Einbindung in das "richtige" sprich westlich-kapitalistische Bündnis, was in der Umkehrzug die Pflege und den Erhalt eines äußeren Feindbildes im Dienste eines ganz bestimmten "nationalen Konsenses" bedeutet.
  • Wesentlichstes Moment der gesellschaftlichen Vermittlung und Verankerung dieser Ideologiefunktion des Militärs ist die Wehrpflicht, denn sie bindet einen Großteil der heranwachsenden Bevölkerung unmittelbar in diese Werte ein. Für den Erhalt des status quo ist die Bundeswehr in diesem Sinne für die Herrschenden weit nützlicher denn als unmittelbares Gewaltinstrument gegen die eigene Bevölkerung und ist insofern nach wie vor gewollt - Schule der Nation. 
  • Die Ausbildung der Wehrpflichtigen ist auf den Erhalt eines militärstartegisch längst überholten Kriegsbildes angelegt. Gerade die angesichts der realen waffentechnischen Entwicklung "niedlich" wirkenden "Mann gegen Mann" - Szenarien in mancherlei Ausprägung tragen aber dazu bei, militärische Konflikt-"Lösungen" als überhaupt noch denkbar zu erhalten.

Wir können uns nicht verkneifen, die Borniertheit einer Argumentation, die immer wieder die "Gefahr einer Berufsarmee herraufbeschwört, an zwei Analogien deutlich zu machen:

  • So plädiert niemand für eine "Allgemeine Polizeidienstpflicht", obwohl doch die innenpolitische Funktion gerade der Polizei als Aufstandsbekämpfungsinstrument weit realer ist und sie über eine speziell für diese Zwecke geeignete Waffen-Ausrüstung verfügt.
  • Auch würde jede/r mit dem Kopf schütteln, wenn ein Kampf gegen die Atomwaffen im Umkehrschluß als Förderung der "Konventionalisierung" angesehen würde. Wer solche Argumente gebraucht, reproduziert Herrschaftsideologie!
  • Schließlich macht es uns immer skeptisch, wenn die Lebensinteressen von Menschen zum politischen Kalkül werden: An der Wehrpflicht zerbrechen Jahr für Jahr junge Männer, die den psychischen Zumutungen des Gewaltapparates nicht gewachsen sind: Selbsttötungsversuche, Reproduktion der erfahrenen Gewalt gegenüber Frauen und Kindern, Flucht in Drogenabhängigkeit u.ä. sind die bekannten und geduldeten Folgen dieser Politik.

Halten wir also zusammenfassend fest, daß die Bundeswehr von ihrer Struktur her gar keine Wehrpflicht-Armee, sondern eine hochprofessionalisierte Berufsarmee unter Einbezug von Wehrpflichtigen in ausnahmslos einflußlosen Positionen ist, deren Einplanung zwar auch militärische, aktuell aber vor allem politisch ideologische Gründe hat. Die Wehrpflicht ist das zentrale Verknüpfungsinstrument von Militär und Gesellschaft. Der "Angriff auf die Bundeswehr" muß zunächst ein Angriff auf ihre Gesellschaftliche Akzeptanz sein. Sie zu schmälern und brüchig zu machen, bedeutet in unseren Augen, das Integrationsinstrument "Wehrpflicht" ins Zentrum der theoretischen und praktischen Kritik an der Bundeswehr zu stellen und "Wehrkraftzersetzung" in einem Maße zu betreiben, das bisher selbst in unseren eigenen Augen unvorstellbar war. 
An dieser Stelle reicht der Platz nicht, um auch auf einige praktische Aspekte einer solchen Politik zu sprechen zu kommen. Wer näheres darüber wissen will, kann sich gerne an die Autorin und den Autor wenden.

Eine Meinungsumfrage, die im Februar '90 erstellt wurde, gibt folgendes Bild: Eine knappe Mehrheit der BundesbürgerInnen meint, daß nach einer Vereinigung der beiden deutschen Staaten die Bundeswehr verkleinert oder ganz abgeschafft werden könne. Für eine Verkleinerung der Bundeswehr sprachen sich 51% aus. 18% waren für die vollständige Abschaffung (TAZ 21.2.90).
Zu den Hoch-Zeiten der Friedensbewegung, 1983, sprachen sich zwar 70% der Befragten gegen die Aufstellung der Mittelstreckenraketen aus. Aber ebensoviel, nämlich 70% befürworteten uneingeschränkt die Existenz der Bundeswehr und der NATO. Heute hat sich also dieses Bild ein wenig verschoben.
Konsequente Militärgegnerschaft war bisher und ist unserer Meinung nach immer noch eine radikale Angelegenheit, weil die Analyse der gesellschaftlichen Funktionen des Militärs notwendigerweise in einer fundamentalen Staatskritik mündet. Gleichzeitig dürfte klar sein, daß sich das Militär weder selbst abschaffen wird noch etwa mit Petitionen, Eingaben und Unterschriftenkampagnen "besiegt" werden kann. Vielmehr kommt es darauf an, genau jene Dinge zu praktizieren, die in den  109d -h StGB unter Strafe gestellt sind.

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Peter Wattler ist Mitglieder der Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen - Graswurzelrevolution Er ist erreichbar über Graswurzelwerkstatt, Scharnhorststr. 6, 5000 Köln 60