Transatlantisch anders wirtschaften

Für einen Widerstand gegen das Freihandelsabkommen ohne Antiamerikanismus

von Jutta Sundermann

Ein Beitrag zum Transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP passt auf doppelte Weise in dieses Heft. Zum einen ist „transatlantisch“ groß genug für ein so grenzüberschreitendes Thema, und es gibt viele Widerstandsgeschichten zu erzählen. Zum anderen zeigt sich auch: nicht überall, wo Widerstand gegen das TTIP drauf steht, ist auch der Geist internationaler Solidarität drin. Manchmal ist leider das Gegenteil der Fall. Eine Herausforderung für friedensbewegte Menschen, diesen Diskurs zu wenden.

Die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft, auch als Freihandelsabkommen TTIP bekannt, ruft international großen Protest hervor, wenn er auch nirgendwo so breit getragen wird wie in Deutschland. Hier diskutieren viele mit, und es bilden sich vorher nicht gekannte Allianzen: Attac lädt zur Pressekonferenz zusammen mit dem Deutschen Kulturrat ein, die Bauernverbände warnen vor weitreichenden Folgen für die landwirtschaftliche Produktion, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels holt die GlobalisierungskritikerInnen auf seinen Messestand bei der Frankfurter Buchmesse, Städte und Landkreise verwahren sich in Ratsbeschlüssen gegen die neoliberale Durchschlagkraft des Abkommens. Und selbst SprecherInnen der befürwortenden Parteien beeilen sich, die Bedeutung des Verbraucherschutzes und das erkannte Risiko zu massiver Einflussnahmen durch klagefreudige Konzerne zu benennen.

Im Rahmen der geheim geführten Verhandlungen über das TTIP-Abkommen steht einmal mehr sehr viel zur Disposition: Es geht den VerhandlungsführerInnen aus der EU und den USA um den klassischen Warenhandel aller Branchen, es geht um geistige Eigentumsrechte und das weite Feld der Dienstleistungen. Einmal mehr meinen die BefürworterInnen des Abkommens mit irritierend vertrauten Begriffen wie „Antidiskriminierung“ und „Gleichbehandlung“ vor allem die Stärkung von Vorteilen großer, international agierender Konzerne. Sie lehnen Schutzmaßnahmen für regionale ErzeugerInnen, NachwuchskünstlerInnen oder Gemeinwohl-Auflagen bei öffentlichen Ausschreibungen ab. In der Sprache der Handelsjuristen werden ArbeitnehmerInnen-Rechte und Umweltschutzauflagen zu Handelshemmnissen.

Während Angela Merkel und Industrie-Lobbyisten nicht müde werden, einige lästige bürokratische Auflagen (besonders gerne die zur Farbe von Autoblinkern in Europa und den USA) zu verdammen, sagen sie meistens nicht, welche Regeln und Schutzmaßnahmen sie außerdem vom Tisch fegen wollen. Das aktuell verhandelte Abkommen könnte zu einem Riesencoup zu Gunsten der transnational agierenden Konzerne werden.

Strikt abzulehnen: Investor-Staats-Klagen
Schon der Name des unfertigen Abkommens zeigt, dass der Schutz der InvestorInnen eine zentrale Rolle spielen soll. Um große Investitionen zu erleichtern, wird auch über sogenannte Investor-Staats-Klagen verhandelt. Konzerne, die etwa durch neue Umweltgesetze, bessere Arbeitsschutzbestimmungen oder Steuererhöhungen ihre ursprünglichen Gewinnerwartungen gefährdet sehen, könnten dann gegen Staaten klagen. Über Schadensersatzforderungen verhandeln sollen private Schiedsgerichte, deren Beschlüsse völkerrechtlich bindend und nicht revisionsfähig sind. Eine fatale Privatisierung der Rechtsprechung, die sich zudem argumentativ nicht durchhalten lässt: Sowohl in den USA als auch in Europa kann ein Unternehmen, das sich in seinen Rechten verletzt sieht, schon heute und ohne jedes neue Abkommen vor ein Gericht ziehen und dort Recht erlangen.

Seit es die Nordamerikanische Freihandelszone NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko gibt, berichten BeobachterInnen, dass jeder neue Gesetzentwurf mit einer Vielzahl von Klage-Androhungen begleitet wird. Bittere Beschwerden aus Kanada liegen uns vor. Dennoch wurde im Spätsommer der Vertragstext des aktuell auch verhandelten Freihandelsabkommens zwischen EU und Kanada (CETA) bekannt, von dem zu vermuten ist, dass es viele Gemeinsamkeiten mit dem TTIP-Entwurf haben wird. Die Investor-Staats-Klagen sind auch darin aufgeführt.

Umwelt- und Sozialstandards in Gefahr
Damit der Handel künftig besser flutscht, sollen unterschiedliche Standards dies- und jenseits des Atlantiks aneinander angeglichen oder wechselseitig anerkannt werden. In der Erfahrung der letzten Jahrzehnte bedeutete eine solche „Harmonisierung“ nahezu immer, dass schwache Regelungen herauskamen, weit weg von konsequenteren Standards zum Beispiel in Sachen Umweltschutz.

Bedroht sein könnte das in Europa hochgehaltene Vorsorge-Prinzip, nach dem die Anbieter einiger Chemikalien, Techniken oder Zutaten vor ihrer Zulassung beweisen müssen, dass diese nicht schädlich seien. Das Chlorhuhn ist dabei wohl das Lieblingsbeispiel der KritikerInnen, auch wenn es im Abkommen ziemlich sicher nicht genannt und vielleicht sogar explizit ausgenommen werden wird: In den USA ist es erlaubt und verbreitet, die in großen Fabriken geschlachteten Hühnerkörper zur Desinfektion durch ein Chlorbad zu ziehen. In der EU ist solch eine Behandlung verboten, weil Chlor der Gesundheit schadet und Überreste davon bei der Hähnchenmahlzeit sicher nicht gesundheitsfördernd sind. In den USA wird darauf verwiesen, dass noch kein Kunde und keine Kundin der großen Restaurant-Ketten nach Verzehr von Chlorhuhn tot vom Stuhl gefallen sei. So geht es nun Talkshow für Talkshow auch um die Frage, ob die Angleichung von unterschiedlichen Regeln dazu führen könnte, dass wir künftig Chlorhühnchen im Restaurant oder Supermarkt angeboten bekommen.

Industrie-Lobbyisten beiderseits des Atlantiks formulierten markige Forderungen. So behaupteten US-amerikanische Schweinezüchter, dass es kein Abkommen geben werde, wenn darin nicht ein bislang in Europa verbotenes Wachstumshormon für Schweine erlaubt werde. Bauern und Umwelt-Aktive sorgen sich, ob das Abkommen Wege eröffnen könnte, die Gentechnik in Europa durchzudrücken oder die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Organismen zu den Akten zu legen.

Hier das gute Europa – dort das böse Amerika?
Ach ja, die Gentechnik: Spätestens bei diesen Erörterungen fällt es meistens auf, wie die Sprechenden oder Schreibenden es mit der transnationalen Solidaritiät halten. „Monsanto ist groß, mächtig und gemein, nahezu dämonisch dieser Konzern ...“ - in der Tat hat das Gentechnik- und Agrochemieunternehmen aus den USA seinen weltweit schlechten Ruf verdient. Aber leise staunt die Zuhörerin, welche Bekenntnisse und Behauptungen der verschärften Beschreibung des Monsanto-Konzernes folgen: die Weltmachtpolitik der US-Regierungen mit oder ohne erschreckende Beispiele sowie weitere Unternehmens-Untaten von Apple bis Google gehören in den Kanon. Je nachdem, wie gründlich recherchiert wurde, sind die Vorwürfe gut belegt oder mit heißer Nadel gestrickt. Aber es kommt rüber: Wir sind bedroht von skrupellosen US-amerikanischen Wirtschaftsmächten. Plötzlich scheinen wir in einer bedrohten Insel der Glückseligen zu leben. Das gelobte alte Europa wird mit Verve verteidigt. Als wäre bisher alles prima gewesen in Deutschland und Europa mit den ArbeitnehmerInnenrechten (auch wenn schon jetzt immer mehr Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen leben) und dem Verbraucherschutz sowie der tollen Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Produkte (die noch  nie etwas darüber verriet, welche Futtermittel in den Trögen der Kühe, Hühner und Schweine landeten).

Vor lauter Aufregung um die Rettung Europas bleiben in vielen TTIP-Veranstaltungen ein paar Fragen außen vor. Zum Beispiel die zur EU-Rohstoff-Strategie, mit deren Hilfe die Europäische Union aus aller Welt den Rohstoff-Nachschub sichern will – auch mit militärischer Gewalt. Oder die Klimaziele, die regelmäßig und beeindruckend erfolgreich zum Beispiel im Zusammenhang mit dicken deutschen Autos aufgeweicht werden. Oder Europas Außengrenzen - war da noch was?

Anti-Amerikanismus ist das Gegenteil von transnationaler Solidarität
Ich habe auf etlichen Veranstaltungen zum TTIP zugehört und habe viele Male im Rahmen eigener Veranstaltungen Fragen über das Abkommen beantwortet. Erschreckend massiv ist mir dabei ein wütender Anti-Amerikanismus begegnet, der nicht im Sinne des Streites für faire Handelsbeziehungen sein kann. Ein plattes Freund-Feind-Schema, das so verkürzt ist wie falsch, verzichtet darauf, weitergehende Fragen zu stellen. Zu kurz kommt die nötige globale Perspektive jenseits des Wachstumsdogmas. Schon für die Verteidigung und  Ausgestaltung unserer Rechte als BürgerInnen, ArbeitnehmerInnen oder VerbraucherInnen brauchen wir in einer global vernetzten Welt andere Antworten als altes Blockdenken. Manchmal machen linke AktivistInnen fast dasselbe wie der US-Präsident: Während letzterer ganz offen das TTIP gegen Putin installiert wissen will, geht mit den Linken ein alter Anti-Amerikanismus durch, mal hinübergerettet aus dem Anti-Imperialismus der 80er Jahre, mal frisch gemixt mit dubiosen patriotischen Anwandlungen.

Gemeinsam gegen transnational agierende Konzerne
Das Freihandelsabkommen TTIP und dessen Geschwister CETA (ein ganz ähnliches Abkommen zwischen der EU und Kanada) sowie TISA (ein neues, zusätzliches Dienstleistungsabkommen) könnten eine Gelegenheit für neues Denken und Handeln bieten. Es wäre eine Gelegenheit, transnationale Solidarität der transatlantischen „Frei“handelsdoktrin entgegenzusetzen!

Einzelne AktivistInnen aus USA sind bereits quer durch Deutschland unterwegs gewesen und sprachen über Fracking, Landwirtschaft, Demokratie und Freihandel. Amy Goodman von Democracy now lobte anlässlich des Campact-Jubiläums-Kongresses in Berlin die dynamische Bewegung gegen die Freihandelsabkommen in Deutschland und Europa und hofft, dass sie auf ihre Landsleute ansteckend wirkt. Vielleicht passt es auch, dass es eher eine amerikanische Bewegungskultur ist,  mit deren Hilfe und Weiterentwicklung beispielsweise Campact in Deutschland oder 38degree in Großbritannien innerhalb kürzester Zeit einen großen Teil der Unterschriften für die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative EBI zusammenbringen konnten, nachdem die EU-Kommission in einer peinlichen Entscheidung die EBI gegen das TTIP für nicht zulässig erklärte.

Vielleicht ist die Zeit reif für eine gemeinsame Perspektive, für die es das Abkommen mit seinen ätzenden Prämissen überhaupt nicht braucht. STOP TTIP heißt in den USA übrigens STOP TAFTA, weil interessanter Weise dort die Abkürzung für den zweiten Namen des Projektes „TransAtlanticFreetTradeAgreement“ gängiger ist. Stoppen wir es gemeinsam!

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