Search for Common Ground

Furchtlos: Vom Kinderreporter zum bekanntesten investigativen Journalisten

von Massimiliano Colonna
Schwerpunkt
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Das hügelige Profil von Freetown, Sierra Leone, nimmt im Morgenlicht Gestalt an, als er über die halbgepflasterte Straße zur Radiostation fährt. Millionen in der Stadt wachen gerade erst auf. Er weiß, dass sie sich darauf freuen, ihm heute zuzuhören.

Ich treffe ihn auf dem Parkplatz. Er begrüßt mich in Eile, geht hinein und in die Sprecherkabine. Ein paar Minuten signalisiert er den Beginn seines Programms, Gud Mornin Salone. „Zeit für ein Bekenntnis“, murmelt er zu sich selbst.

Im ganzen Land hören die Menschen seinem Bericht zu, der einen Korruptionsfall aufdeckt, bei dem es um eine kleine politische Partei bei den letzten Wahlen geht. Es gelang ihm, den Parteichef vor laufendem Mikrofon zum Eingeständnis zu bewegen, dass er Geld genommen hatte.
Am Ende des Berichts ertönt sein typischer Schlusssatz aus den Lautsprechern: “For the society of Radio Democracy, it’s Michael… SA-MBO-LA.”

Michael war 12 Jahre alt, als im Januar 2002 der Bürgerkrieg endlich endete. Damals lebte er bei seiner Großmutter, der einzigen Verwandten, die noch im Land war. Alle anderen waren schon nach New York City emigriert, wo Michaels Vater auch heute noch lebt.

Die zehn Kriegsjahre hatten Sierra Leones Kinder schwer geprägt. Hunderttausende von ihnen waren traumatisiert und eine bedeutsame Minderheit hatte sogar als KindersoldatInnen mitgekämpft. Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung war begrenzt, ebenso wie das Bewusstsein über die Rechte, die junge Menschen haben. Verallgemeinernd ausgedrückt fielen in den Augen der Öffentlichkeit Kinder in Sierra Leone in zwei Kategorien: Opfer oder Täter. Es war Search for Common Ground, das als erstes diese Dichotomie brach und Kinder zu Gesprächspartnern machte – mit Michaels Hilfe.

Das Radio von Search for Common Ground
Im Jahr 2000 öffnete Search for Common Ground (SfCG) sein Büro in Sierra Leone. Eine der ersten Aktivitäten war die Einrichtung einer Radiostation, Talking Drum Studio, um Programme zu entwickeln, die den Friedensprozess unterstützen sollten. Es war ein großartiger Erfolg; innerhalb eines Jahres wurde Talking Drum Studio bekannt und hatte eine große ZuhörerInnenschaft im ganzen Land. Einer der größten Erfolge des Studios war die Radioshow Golden Kids. So etwas hatte es in Sierra Leone noch nicht gegeben. Zu einer Zeit, als Jugend kaum bis gar keine Präsenz in den Medien hatte, machte Golden Kids Kinder zu JournalistInnen und gab damit jungen Stimmen bis dahin unbekannte Macht und Resonanz. Unter Aufsicht von SfCG produzierten die Golden Kids Berichte, Nachrichten und Interviews. Golden Kids bekam eine große AnhängerInnenschaft, veränderte die sozialen und kulturellen Normen bezüglich junger Menschen und beeinflussten Politik auf höchster Ebene. Die Sendung war einer der Faktoren, die zur Annahme des Kinderrechtgesetzes 2007 führen – einer umfassenden Regulierung, die die Rechte von Kindern in Sierra Leone schützt.

Michael Sambola
Michael war ein begeisterter Zuhörer von Golden Kids. Am Ende jeder Episode wurde in Krio, der lokalen Sprache, wiederholt, „Unser Büro ist in der Bathurst Straße Nr. 44“. Dies lockte Michael, das Büro zu besuchen. Ermutigt von seiner Großmutter und einem Onkel, der selbst Disk Jockey und Radioproduzent war, brachte er schließlich den Mut auf, dahin zu gehen.

Zwei Wochen später war er ein Golden Kid und lief durch Freetown, um die Geschichten junger Leute einzufangen.

„Die Entscheidung [das Studio aufzusuchen] hat mein Leben verändert“, erzählt er mir. Unter der MentorInnenschaft der MitarbeiterInnen von SfCG blühte sein Talent auf. Er fing an, erfahrenen Journalistinnen zu folgen und lernte schnell das Werkzeug des Geschäfts. Innerhalb weniger Monate führte er selbst Interviews und sprach trotz seiner Jugend mit den Mächtigen.

„Die Idee war, junge Leute zu stärken. Kinderrechte, Hygienefragen, Korruption … Es kamen brennende Themen auf und es waren die Kinder, die sie recherchierten. Wir interviewten BeamtInnen, PolitikerInnen, [Mitglieder der] Zivilgesellschaft‚ auch Kinder. ‚Was ist mit der Konvention über Kinderrechte? Hat die Regierung X,Y und Z für Kinder getan? Was ist mit Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene?‘ Von diesem Zeitpunkt an sah ich mich als Journalist.“

In seinen beiden Jahren als ein Golden Kid hat er hunderte von Geschichten behandelt und lernte dabei viel mehr als nur seinen Beruf. Die Erfahrung formte ihn und ließen ihn die Werte der Integrität, Gerechtigkeit und Wahrheit verinnerlichen, die seine Arbeit heute leiten. „Bei SfCG ging es, als wir anfingen, ausschließlich um Werte. Man war bei einem Produktionstreffen und erzählten  Dir über das Ziel und die Vision von SfCG “, erinnert er sich. „Wenn man aufwächst, ist, was das, was Du pflanzt, das, was Du säen wirst. Meine Werte, Normen und Tradition – sie kommen von Search for Common Ground.“

Seit seinen Tagen bei den Golden Kids dauerte es rund zehn Jahre, bis Michael zum führenden investigativen Journalisten in Sierra Leone wurde. Zuerst war er als ehrenamtlicher Sprecher bei der Seifenoper Atunda Ayenda des Talking Drum Studio dabei, einer immer noch laufenden Serie, die 2001 begann. Dann wurde er Assistenzproduzent bei SfCG in Sierra Leone und arbeitete an der Nachrichtensendung Borderline. Anschließend studierte er Massenkommunikation in dem lokalen Forah Bay College.

Bei Radio Democracy 98.1
Ungefähr zu dieser Zeit bot ihm die Managerin von Radio Democracy, Asmaa James, eine Stelle in ihrer Station an. Dies war ein weiterer Wendepunkt in Michaels Leben – und wahrscheinlich auch in der Geschichte des Journalismus in Sierra Leone. Radio Democracy 98.1 sendet von einem unauffälligen einstöckigen Gebäude am Abhang einer der vielen Hügel der Stadt. Die Radiostation sieht nicht aus wie ein Medien-Moloch. Aber das Aussehen täuscht. Sie war das erste Radio, das Programme in Krio sendete. Während des Bürgerkriegs als Gegenpropaganda-Radio gegründet und im ganzen Land bekannt, wurde sie nach Kriegsende die Radiostation mit den meisten ZuhörerInnen.

Gud Mornin Salone, das tägliche Programm von Michael, ist ihr Kronjuwel. Es ist die populärste Radiosendung im Land: Nach Angabe der Medienleute, die ich gefragt habe, erreicht sie jeden Tag 700.000 bis eine Million ZuhörerInnen. Für eine Nation von sieben Millionen ist dies eine enorme Zahl.
Michaels Berichte haben gewaltige Wirkung. Eine Geschichte über Kinderbräute stieß eine landesweite Debatte über die Menschenrechte von Kindern an. Ein anderer Bericht deckte ein System von Bestechungen hinter dem Zugang zu Freetowns Energienetz auf. Michaels Recherchen machten Skandale bei der Lebensmittelhygiene, politische Korruption und Hinterziehungen öffentlich. Sie schufen ein unerhofftes Fenster zur Wahrheit in einem Land, das beständig in den niedrigen Rängen der Listen zu globaler Pressefreiheit auftaucht.

Diese bahnbrechende Berichterstattung hat Michael Anerkennung von den beiden angesehensten Medieninstitutionen in Sierra Leone eingebracht: der Sierra Leone Journalistenvereinigung (SLAJ) und der Independent Media Commission (IMC). Er erhielt seine erste Auszeichnung für politische Berichterstattung von IMC im Jahr 2012, als er nur 21 Jahre alt war. Seitdem hat er jedes Jahr einen Preis von SLAJ oder IMC gewonnen.

Als ich Michaels Arbeit für ein paar Tage beobachtete, fiel mir auf, dass er alles machen kann. Er ist ein Detektiv, ein Geschichtenerzähler, ein Tontechniker und ein Redakteur, der in der Lage ist, seine Geschichten von der Idee bis zum Rundfunk zu produzieren. Er gibt seine Techniken an die JournalistInnen weiter, die er bei Gud Mornin Salone betreut, und baut ein beeindruckendes Team von NachrichtenjägerInnen auf.
Ich folgte Michael auf einer solchen Jagd, der Untersuchung zu der Korruptionsgeschichte, die heute ausgestrahlt wurde. Wenn man ihm zuschaut, würde man nicht glauben, dass sein Name jenen Angst macht, die auf der falschen Seite des Gesetzes sind. Er sieht noch jünger aus als seine 28 Jahre, trägt einen Studentenrucksack, fängt Originaltöne mit einem kleinen Rekorder ein. Die ganze Zeit pflegt er gegenüber den Interviewten ein freundliches, bescheidenes Auftreten. Sie wissen jedoch, dass sie durch ihn vor dem ganzen Land zur Rechenschaft gezogen werden.

Es überrascht nicht, dass einige Leute versuchen, ihn mit Bestechungsgeldern zu beeinflussen. „ Sie könnten dich fragen: ‚Wie viel brauchst Du für diese Geschichte? Dies muss nicht öffentlich werden. Sag mir einfach Deinen Preis und wir geben Dir das Geld‘“, sagt Mabel Kabbah, Nachrichtenchef bei Radio Democracy. „Aber Michael, er wird Dir sagen: ‚Ich will Dein Geld nicht, ich bin nicht wegen des Geldes hier. Ich bin hier, um das Thema zu untersuchen. Die Öffentlichkeit muss wissen, was vor sich geht.‘... Immer wenn sie Michael Sambola hören, haben die Leute Angst, weil sie wissen, dass er ohne Geld oder Bestechung die Informationen bekommt, die er will.“

Unbestechlichkeit und Mut
Michaels Verhalten hat ihm einen Ruf für Mut und Kühnheit eingebracht, was den Respekt des Publikums für den Beruf als Ganzes erneuerte. Es veränderte das Image von JournalistInnen in Sierra Leone von Erpressern zu Helden. "Es gibt eine neue Art von JournalistInnen, die ein Vorbild für Integrität sind", sagt SLAJ-Präsident Kelvin Xander Lewis. „Viele Leute schauen zu [Michael]; Er ist der führende Mensch, der diese Art von investigativem Journalismus betreibt.“

„Es ist eine sehr gefährliche Welt. Du musst in gewisser Weise furchtlos sein. Du musst den Mut haben zu sagen: ‚Ich habe einen Instinkt, das ist eine Geschichte, die ich durchziehen kann, ohne über die Gefahren nachzudenken*, sagt Ady Macauley, der die Anti-Korruptions-Kommission Sierra Leones leitet. ‘Ich denke, er ist so ein Journalist.‘“

Search for Common Ground ist eine internationale NGO mit Sitz in Washington DC und Brüssel, die sich der internationalen Konfliktbearbeitung widmet und dabei ihren Hauptschwerpunkt auf Medienarbeit legt. Ihre Website ist https://www.sfcg.org. Der Artikel ist erstmalig erschienen im Blog von Search for Common Ground: https://www.sfcg.org/fearless-sierra-leone-investigative-journalist-samb.... Die deutsche Fassung wurde gegenüber dem Original gekürzt. Übersetzung : Christine Schweitzer.

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Massimiliano Colonna ist Search for Common Grounds Manager für digitale Kommunikation, Herausgeberschaft und Kampagnen. Er lebt in Washington, D.C.