"Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst!" - dieser Satz ist Kern aller Religionen

Gedanken zu Mediation am Beispiel des aktuellen Konfliktes im Nahen Osten

von Roland Schüler

Wenn sie sich selbst so lieben, dass sie ihren Nächsten zerstören wollen, dann zerstören sie sich selbst. Diese Tragik bestimmt das gesamte Konfliktgeschehen im Nahen Osten.
Die Völker und Religionen sind sich so nah, dass sie sich nur unter Gewalt trennen können und damit sich selbst zerstören - wie siamesische Zwillinge. Denn Sieg und Niederlage liegen sehr dicht beieinander. Der Sieg des Einen über den Anderen bedeutet nur den Beginn einer nächsten Niederlage. Die Geschichte des Nahen Ostens ist voll davon. Dieser immerwährende Kreislauf muss nachhaltig unterbrochen werden.

Mediation ist notwendiger denn je
Bisher sind alle Vorschläge, Ideen und Friedensverträge von Außen verhandelt und vorgeschlagen worden und wurden dann den Konfliktparteien nahegelegt. So war dies bei allen bisherigen Waffenstillstandsverträge, allen UN-Resolutionen, allen „Road-maps" zum Frieden und so weiter. Alle haben nie lange gehalten bzw. sind erst gar nicht beachtet worden.
Auch die jetzige UN-Resolution, die turn vorläufigen Waffenstillstand führte, wurde von außen gesetzt. Ein ranghoher Vertreter der Sicherheitsbehörden spricht in der israelischen Zeitung „Jediot Achronot": ,,Die nächste Runde zwischen uns und Iran, der hinter der Hisbollah steckt, ist unvermeidbar."
Wir Mediatorlnnen wissen um die Kraft der selbst erarbeiteten Lösung, die den gemeinsamen und unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen entspricht. Es gab einen einzigen Vertrag im Nahen Osten, der diese Kraft hat. Der Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten: Dieser 1979 im Camp David (USA) geschlossene Vertrag hält und hat Bestand, über die Jahrzehnte, über alle sonstigen kriegerischen Auseinandersetzungen in der Region - und da gibt es viele. Unabhängig von den Personen, Präsidenten und Politikerinnen, die in beiden Ländern inzwischen die Regierung stellten.

Was hat dieser Vertrag, was alle anderen nicht haben?
Er wurde mit Unterstützung von Mediatorinnen erarbeitet. Der US-amerikanische Präsident Jimmy Carter hatte die Quäker gebeten, die Verhandlungen zu führen. Das Leben der Quäker ist ein völlig gewaltfreies und fundiert in ihrer gewaltfreien Religionsauffassung. Sie sind seit Jahrzehnten als Vermittler in Konflikten weltweittätig. Diese Mediatorinnen haben in Camp David mit Israel und Ägypten diesen Friedensvertrag erarbeitet. An einem neutralen Ort, absolut vertraulich und abgeschirmt von der Öffentlichkeit. Und die Inhalte wurden von Israel und Ägypten erarbeitet.
Kerninhalte waren der Abzug der israelischen Truppen aus dem seit dem Sechstagekrieg 1973 besetzten Sinai, die Anerkennung und die Existenzsicherung Israels durch Ägypten, u.a. gekennzeichnet durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Seitdem herrscht Frieden zwischen beiden Ländern.
Warum wird dieses leuchtende Beispiel einer friedlichen Lösung so wenig herausgestellt?
Warum werden die vielen Konfliktherde intensiv betrachtet und nicht der Weg zu einem friedlichen und lebenswerten Nahen Osten?
Warum wiederholen alle Nationen, Organisationen und Vereinigungen immer wieder ihren Fehler, einen Lösungsvorschlag von außen zu benennen, anstatt die Konfliktparteien ihn selber entwickeln zu lassen?
Die Fragen müssen offen bleiben. Ich kann darauf keine Antwort(en)geben. Sie wären spekulativ. Ich kann nur festhalten, dass es nicht getan wird. Weder von der UN, der EU, den USA, Russland, Deutschland oder anderen Staaten. Anstatt sich selber intensiv und diplomatisch zu bemühen, einen Weg zum Waffenstillstand und zur Lösung des Konfliktes zu erarbeiten oder besser zu erstreiten, sollten sie einen anderen Weg gehen.
Sie sollten ihren Einfluss auf die Konfliktparteien wahrnehmen, um sie in die Mediation zu bringen. Von selber schaffen sie es leider nicht. Dazu sind sie emotional zu verstrickt und auf vordergründige Interessenbefriedigung fixiert.

Warum nicht verhandeln?
Verhandelt wird letztendlich immer. Doch meist erst nach verheerenden Opfern und Zerstörungen. Auf beiden Seiten. Muss das sein?
Prof. Dr. Rolf Verleger, Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland bringt in seinem Brief vom 23. Juli 2006 an das Präsidium des Zentralrats auf den Punkt: „Jeder weiß daher, dass die Alternative zum Dschungel der Interessen - und damit zum Krieg -darin besteht, dass die israelische und palästinensische Regierung (und nachgeordnet auch die libanesische Regierung) miteinander verhandeln und Übereinkünfte treffen. Darauf sollten die Freunde Israels hinwirken, anstatt die gewählte palästinensische Regierung zu dämonisieren."
Ich erweitere diese Aussage. Dies gilt für alle Beteiligten im Nah-Ost-Konflikt, ob Hamas, Hisbollah, Drusen, Israeli, Schiiten, Sunniten, Iraner, Syrer, Libanesen, Christen, ...
Das Motiv des Verhandelns muss den ganzen Raum vom Mittelmeer bis zum Indischen Ozean erfassen. Verhandelt wird mit Allen, ohne Ausnahme. In unterschiedlichen Zusammensetzungen. Mit einer Verhandlung wird begonnen - so jetzt aktuell mit dem Thema Israel-Libanon-Hisbolla, dann Israel-Hamas-Palästina, und sofort. Bis nach Afghanistan und Pakistan.
Doch es fällt schwer mit einen Partner zu verhandeln, der zu brutaler Gewaltanwendung neigt bzw. sie ausgeübt hat. Doch es bleibt keine Alternative, um die Gewaltspirale nachhaltig zu unterbrechen. Es ist möglich, sich mit seinen „Mördern an einen Tisch zu setzen", um eine gemeinsame Zukunft festzulegen! Prof. Verleger gibt ein pointiertes Beispiel in seinem Schreiben. Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat Erfahrung darin, mit einer Regierung zu verhandeln, die direkte Rechtsnachfolgerin einer Mörderbande ist. Der Erfolg gibt uns darin Recht."
Es gibt - außer der langanhaltenden Selbstzerstörung - in keinem Konflikt einen Weg außer den der Mediation miteinander.

Mediative deutsche Außenpolitik ist gefordert!
Aus der Mediationsarbeit wissen wir, aus welchen Motivationen Parteien den Schritt in die Mediation wagen. Sie kommen eigenverantwortlich und aus eigenem Antrieb, wenn sie aus einem inneren Leiden am Konflikt kommt, verbunden mit dem Wunsch, dass sich was ändert.
Oder, dass von Außen auf die Konfliktpartei eingewirkt wird, wenn die innere Erkenntnis nicht da ist oder verdrängt wird. Freunde oder politische Unterstützer haben hier eine wichtige Funktion in der Konfliktbearbeitung. Die Freunde Israels können auf Israel einwirken, Freunde der Hamas auf die Hamas, Freunde der Hisbollah auf die Hisbollah und Freunde Libanons auf den Libanon.
Hier hat Deutschland eine hohe Verantwortung. Deutschland hat einen guten Ruf in Israel wie in der arabischen Welt. Deutschland hat Gesprächskontakt zu allen Seiten; Deutschland ist akzeptierter Partner von beiden Seiten. Das ist doch eine große Chance. Deutschland kann die anerkannte Rolle des Mittlers einnehmen und ihren Einfluss wahrzunehmen, um die Konfliktparteien zu einen Mediationsgespräch zu bringen. Ohne einseitig Partei zu ergreifen und mit ihrer Neutralität verhelfen, dass es zu  einer konstruktiven Bearbeitung des Konflikts kommt.
Die Mediation selber kann und sollte dann von anerkannten Mediatorinnen durchgeführt werden. Die Außenpolitik Deutschlands sollte vermehrt auf die Mediation setzen! Doch es wird in traditionellen militärischen Bahnen gedacht. Die Frage der deutschen Beteiligung an einer militärischen Sicherheitstruppe wurde schnell beantwortet. Mit diesem Schritt verliert Deutschland seine anerkannte Mittlerrolle und wird Partei. Doch was folgt nach der Stationierung der Militärs? Die nächsten Schritte müssen doch auch gegangen werden. Die nächsten Schritte kann doch nur die Mediation sein. Die deutsche Außenpolitik muss mediativer werden. Für die friedliche Zukunft ist es besser Mediatorinnen zu entsenden, als Fregatten.
Gemeinsamkeiten
Die Fülle von Gemeinsamkeiten gibt Hoffnung. Denn in ihnen steckt der Keim für eine gemeinsame Zukunft im Nahen Osten - wenn sie von den jeweiligen Konfliktparteien anerkannt und respektiert. Die Erarbeitung solcher Gemeinsamkeiten ist der erste Schritt in einer positiven Mediation. Aufbauend auf den Gemeinsamkeiten können die Interessen und Bedürfnisse erarbeitet werden. Darauf basierend können die Parteien die verschie-denen Lösungen und Lösungswege bewerten und zu einem einvernehmlichen Friedensvertrag kommen.
Was haben Israel, Palästina, Hamas, Hisbollah, Libanon, Syrien gemeinsam?
In einem Konflikt wird darauf geschaut, was die Parteien trennt. Das machen die Konfliktparteien aktiv - besonders in ihrer Politik und in den eigenen Medien. Aber auch das Umfeld sieht und verstärkt das Trennende. Als Mediatorinnen haben wir gelernt, den Blick auf das Gemeinsame zu werfen. Ich konzentriere mich auf Israel, Palästina, Hamas, Hisbollah im engeren Kreis und Syrien, Libanon im äußeren Kreis. Vieles trifft auch auf den Unterstützerkreis zu (wie USA, Iran, einzelne Staaten der EU, Russland).

  • Jeder wünscht sich die Anerkennung vom Anderen
  • Jeder will seine Existenz bewahren
  • Jeder spricht dem Anderen die Existenz ab
  • Jeder will seine eigene Existenz sichern und verteidigen
  • Jeder sichert seine Existenz gewaltsam von Anderen
  • Jeder will respektiert werden
  • Jeder dämonisiert und entmenschlicht den Anderen
  • Jeder hat seine Geschichte und ist darin abhängig von der Geschichte der Anderen
  • Jeder sieht nur seine eigene Geschichte und nie die der Anderen
  • Jeder möchte gerne das Selbstbestimmungsrecht auf seinem Territorium
  • Jeder mischt sich beim Anderen ein
  • Jeder will in Ruhe und Frieden leben und jeder provoziert den Anderen
  • Jeder spricht von übergeordneten Interessen, meint seine eigenen und verneint die Interessen der Anderen
  • Jeder verlangt Solidarität vom Anderen für sein Handeln und jeder wertet Solidarität für den Anderen als Angriff auf sich selbst
  • Jeder hat Bündnispartner, die die ganze Angelegenheit verschlimmern, da sie nur in ihrem eigenen unabhängigen Interesse handeln
  • Jeder muss sich den sozialen, ökonomischen, ökologischen Herausforderungen für seine Bevölkerung stellen und das sind große Aufgaben
  • Jeder lenkt von diesen Herausforderungen ab, indem er den Blick auf die Anderen lenkt
  • Jeder kauft Waffen auf dem internationalen Markt, um sie gegeneinander einzusetzen
  • Jeder gibt Geld für den Anderen aus - was ihm für die eigenen Aufgaben fehlt
  • Jeder nimmt Opfer von Zivilisten in Kauf
  • Jeder agiert in und aus religiösem Kontext. Jeder lehnt eine Säkularisierung ab
  • Jeder hat seine Religion, doch den ge meinsamen Ursprung und die gemeinsamen Aussagen ihrer Religion sehen sie nicht.

Mediation setzt an den Gemeinsamkeiten der Konfliktparteien an
Mediation hilft einen Weg aus der Sackgasse zu finden, wo die eigene Subjektivität zur absoluten Wahrheit wird und diese Wahrheit dann fundamental vertreten wird. Mediation verhilft zu den eigenen Interessen und Bedürfnissen und vermeidet eine Vereinnahmung durch geopolitische, geo-religiöse und geo-wirtschaftlichen Interessen.
Mediation verhilft zu einem Weg aus dem „Gut und Böse", dem plakativen Schwarz und Weiß, der die Konflikte im Nahen Osten immer fremdbestimmte.

Aus dem Wiener Appell der Mediatorlnnen vom 18.09. 2001:
„Wir rufen alle Menschen in ihren jeweiligen Verantwortlichkeiten auf, aus der Spirale der Gewalt und Vergeltung auszusteigen und sich für Frieden und Versöhnung zu engagieren. Es gilt den Mut zu haben, keine weitere Gewalt anzuwenden, besonders keinen Krieg zu führen. Wir sind davon überzeugt, dass es immer mehr Opfer und Täter geben wird, solange sich die Lösung nicht  auf die sozialen, politischen und religiösen Zusammen-hänge und Hintergründe ausweitet."

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Roland Schüler ist Geschäftsführer des Friedensbildungswerk Köln, Mediator BM und Teilhaber der Plattform für zivile Konfliktbearbeitung.