Gedanken zum Motto der diesjährigen Ökumenischen FriedensDekade

Gedanken zum Motto der diesjährigen Ökumenischen FriedensDekade Friedensdekade 2013 "solidarisch?"

von Thomas Oelerich

Unter dem Motto "solidarisch?" hat das Gesprächsforum der Ökumenischen Friedens-Dekade, dem neben der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) und Brot für die Welt - Ev. Entwicklungsdienst auch Organisationen wie Pro Asyl, pax christi, der Versöhnungsbund oder Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) angehören, auch in diesem Jahr umfangreiches Arbeits- und Aktionsmaterial zum Jahresmotto erarbeitet. Die 1980 in Ost- und Westdeutschland gegründete Bewegung mit dem bekannten Logo "Schwerter zu Pflugscharen" begeht vom 10. - 20. November zum 34. Mal die Ökumenische Friedens-Dekade. Zwischen drei- und viertausend Veranstaltungen werden jährlich bundesweit während der zehn Tage im November zum Friedensthema durchgeführt. Der folgende Artikel erläutert die (theologischen) Grundgedanken des Trägerkreises, die zur Wahl des diesjährigen Jahresmottos "solidarisch?" geführt haben.

In den Diskursen vieler PolitikerInnen taucht vermehrt der Begriff der "Solidarität" auf. Von "Solidarität gegenüber Griechenland" ist die Rede, von "erwarteter Solidarität der Banken" (Wortlaut Merkel) oder von "Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus". Schon über die Jahre zuvor war mit Blick auf die Kriege im Irak, in Afghanistan oder Libyen in der deutschen Politik immer wieder von "Bündnissolidarität" die Rede, die einen Funktionswechsel der Bundeswehr von der Verteidigungsarmee zu einer Interventionsarmee einleitete. Eine "Solidarität", die Anfang dieses Jahres auch in einer Beteiligung von Bundeswehrsoldaten beim Militäreinsatz in Mali zum Ausdruck kam.

Im Gesprächsforum, das für die Auswahl des Jahresmottos zuständige Gremium der Ökumenischen FriedensDekade, wurde die Frage diskutiert, ob wir es nicht in vielen Fällen mit einem Missbrauch des Begriffs der Solidarität zu tun haben. Verbunden mit dieser Debatte wurde zugleich die Frage aufgeworfen, was denn "Solidarität" bzw. "solidarisch sein" heute bedeuten kann, und wo es geboten ist, sich dem Missbrauch dieses Begriffs energisch entgegen zu stellen. Aus dieser Fragestellung heraus resultierte der Entschluss, hinter den Begriff "solidarisch" im Motto ein Fragezeichen einzufügen. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass dringend eine Debatte darüber zu führen ist, wie wir Solidarität heute verstehen wollen und welche Herausforderungen damit verbunden sind.

Die Auswahl der Bibelstellen zum Thema verdeutlichen, was das Gesprächsforum als zentrale Aspekte von Solidarität ansieht. Da ist einmal der Gedanke, wie er in Psalm 82, Vers 3 zum Ausdruck kommt: Wir sind aufgefordert, den Armen und an den Rand Gedrängten nicht nur unsere Fürsorge und Hilfestellung entgegen zu bringen, sondern ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen. "Verschafft Recht den Unterdrückten und Waisen, verhelft den Gebeugten und Bedürftigen zum Recht", heißt es dort. Rechte sind mit Rechtsansprüchen verbunden, die vom Gemeinwesen garantiert werden müssen.

Werden diese Rechte (Menschenrechte auf freie Meinungsäußerung, auf soziale Ausgewogenheit, auf Arbeit oder auf den Zugang zu allgemeiner Gesundheitsversorgung etc.) nicht eingehalten, ist das Gemeinwesen in Gefahr. Die Zuwendung bzw. das Eintreten für die Rechte der Benachteiligten ist dann kein Akt von Freiwilligkeit oder gar Großzügigkeit, sondern klagt den Respekt vor der Würde des Anderen als Recht ein. Eine Forderung, die ein Umverteilen zum Wohle Aller nicht als willkürlichen bzw. freiwilligen Akt begreift, sondern als eine ethische, gesellschaftliche wie rechtliche Verantwortung gegenüber denjenigen versteht, die an Unrecht und Ungerechtigkeit leiden müssen. Umverteilen ist so verstanden also ein Rechtsanspruch, den die Gebeugten und Bedürftigen in Anspruch nehmen dürfen und eben keine Frage von "good will" oder der Großzügigkeit der Reichen und Mächtigen.

Der zweite wichtige Aspekt von "Solidarität" (neben dem Gedanken des "Rechtsanspruchs") kommt in der neutestamentlichen Bibelstelle der Speisungsgeschichte (Lukas 9, 10-17) zum Ausdruck. Es geht auch in dieser Erzählung um der Frage der "Umverteilung". Gegen jede vermeintliche Logik, der auch die Jünger in der Geschichte anhängen ("Wir haben nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische; wir müssten erst weggehen und für all` diese Leute Essen kaufen"), ruft Jesus dazu auf, das wenige vorhandene Brot und den Fisch mit allen über 5.000 zusammen gekommenen Menschen, so die Erzählung, zu teilen.

Entscheidend an dieser Geschichte ist weniger das Wunder, dass die Speisung der riesigen Menschenmenge gelungen ist, ja dass sogar noch körbeweise Brot übrig bleibt, sondern vielmehr die im Glauben verwurzelte Überzeugung, dass im Teilen selber und im Vertrauen auf Gott ein Segen liegt, der scheinbar Unmögliches möglich macht. Nur allzu oft wird auf die Forderung nach weltweiter Gerechtigkeit und gerechter Verteilung für alle von den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft geantwortet, dass so etwas im Rahmen des bestehenden Systems nicht möglich sei.

Solidarisches Teilen aber wird im Lukas-Evangelium von jeglicher Systemlogik abgekoppelt. An die Stelle der vermeintlichen Vernunft tritt die Überzeugung, dass in der Kraft des Glaubens die Vision von einer "Speisung aller Menschen" auf Basis der vorhandenen Mittel Realität werden kann. Wirkliche Solidarität bleibt im Kampf gegen ungerechte Verhältnisse nicht mit karitativen oder diakonischen Maßnahmen an der sichtbaren Oberfläche von Ausgrenzung, sondern ist aufgefordert, die Ursachen von sozialer Ungerechtigkeit aufzugreifen, sie an den Wurzeln zu bekämpfen und Alternativen aufzuzeigen. "Das ist keine Politisierung des Glaubens, sondern der christliche Glaube hat immer eine politische Dimension", formulierte das die Schirmherrin der Ökumenischen FriedensDekade, Prof. Dr. Margot Käßmann, bei der Eröffnung der letztjährigen FriedensDekade in Hamburg.

Eine eindeutige Antwort auf die Frage, was "solidarisch sein" heute bedeutet, kann und will die Ökumenische FriedensDekade mit den in diesem Jahr angebotenen Materialien zum Motto "solidarisch?" nicht geben. Aber sie will dazu anregen, sich in den zehn Tagen der FriedensDekade vom 10. - 20. November in den Gemeinden, in Gottesdiensten, bei Friedensgebeten und in Aktionsgruppen auf die Menschen am Rande unserer Gesellschaft (in Deutschland, in Europa und weltweit) einzulassen. Wenn mit dem Motto ein Nachdenken darüber angestoßen würde, was Solidarität bzw. Nächstenliebe heute von uns auch im friedenspolitischen Engagement erfordert, dann wäre der Ökumenischen Friedens-Dekade mit "solidarisch?" ein gutes Motto gelungen.

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