Zum Stand des türkisch-kurdischen Konflikts

Gegen die Wand

von Andreas Buro

Kurz vor Ende des Jahres 2011 kommt die Nachricht von der Festnahme von mehr als 30 JournalistInnen in der Türkei. Der Vorwurf lautet, sie stünden der KCK (Union der Gemeinschaften Kurdistans) nahe. Die KCK setze sich für ‚Demokratischen Konföderalismus‘ ein, einem Projekt von Abdullah Öcalan. Damit sei die KCK eine politische Vorfeldorganisation der PKK, also ihr verlängerter Arm. Die PKK sei aber eine Terrororganisation.

Just vor der Verhaftung der Journalisten wurden am 22. November etwa 70 Anwälte und Anwältinnen festgenommen, darunter fast alle Anwälte von Öcalan. Im Rahmen der Operationen gegen die KCK wurden am 28. und 29. Oktober in Istanbul 50 Personen, darunter die Professorin Prof. Dr. Büşra Ersanlı und der Verleger Ragıp Zarakolu, in Polizeigewahrsam genommen. Gegen 43 von ihnen wurde später ein Haftbefehl erlassen.

Seit den Kommunalwahlen vom April 2009 wurden etwa 4.500 Personen festgenommen. Unter ihnen befanden sich gewählte Abgeordnete, BürgermeisterInnen und Stadtratsmitglieder, JournalistInnen, GewerkschafterInnen, Lehrer und MenschenrechtsaktivistInnen. Die Inhaftierungen richteten sich überwiegend gegen die kurdische Opposition.

Parallel zu dieser Eskalation Ankaras auch gegen die legalen Vertretungen der Kurden, beendete auch die PKK-Guerilla ihre einseitige Waffenruhe. Sie überfiel türkische Militär- und Polizeiposten und verübte oder duldete zumindest terroristische Akte.

Noch 2009 war die Hoffnung groß, es könne eine friedliche politische Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts erreicht werden. Staatspräsident Abdullah Gül erklärte im Mai dieses Jahres die Lösung der Kurdenfrage zur wichtigsten Aufgabe der Türkei. Der Dialog-Kreis: ‚Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im türkisch-kurdischen Konflikt‘ forderte auf, das Fenster der Möglichkeiten nicht wieder zufallen zu lassen.

Aufgrund wahltaktischer Machtkalküle der Regierungspartei AKP ist es dann doch zugeschlagen worden. Die AKP-Regierung - im Bündnis mit dem Iran, den USA und unterstützt von fast allen europäischen NATO-Staaten - rüstet und bereitet sich, um den Konflikt politisch-repressiv und militärisch auszutragen - koste es, was es wolle an Kollateralschäden und zukünftigem Unfrieden. Die Massenverhaftungen dienen dem Ziel, innere Opposition zu diesem Gewaltkurs erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Fast 30 Jahre Bürgerkrieg sollten eigentlich gereicht haben, um auf türkischer wie auf kurdischer Seite zu begreifen, dass ihr Konflikt mit Gewalt nicht zu lösen ist.

Gegenwärtig rechnen sich nun beide Seiten vor, wie sehr die jeweils gegnerische Partei Schuld habe an der festgefahrenen Situation. Das mag der eigenen Seite das gute Gefühl bescheren, einen gerechten Krieg zu führen, doch trägt dies nichts zur Lösung des Konflikts bei. Im Gegenteil, die Fronten verhärten sich, die Interessen am Krieg wachsen, eine friedliche Lösung wird allenfalls noch verbal gefordert, ist aber nicht mehr das Ziel der Politik. Zusätzlich wächst die Gefahr, dass der Konflikt noch ethnisch überhöht wird. Minderheiten sind immer in dieser Gefahr und sie verhalten sich falsch, wenn sie dem Mehrheitsvolk dazu noch die Vorlagen liefern.

Was soll denn durch Attacken auf türkische Militärposten und -kolonnen erreicht werden? Rache ist doch kein friedenspolitisches Argument! Es ist ein Antrieb für die Verlängerung und die Eskalation von Krieg. Wenn die kurdische Seite argumentiert, sie wolle eine friedliche, politische Lösung herbeiführen, wozu braucht sie dann eine Guerilla-Armee? Diese kann weder schützen noch siegen.

Strategisch interessant an der gegenwärtigen Eskalationssituation ist: Die kurdische Seite könnte tatsächlich die Situation wenden. Sie könnte die strategische Initiative ergreifen, Ankara den Krieg wegzunehmen, sich von dem Vorwurf, terroristisch zu sein, befreien und sich dadurch viele internationale Optionen erschließen. Denn die westeuropäischen Staaten werden niemals für die PKK oder die KCK in dem NATO-Staat Türkei eintreten, solange diese unter Terrorismus-Verdacht stehen.

Warum gibt die PKK nicht den militärischen Kampf auf, bietet der UNO die Übergabe ihrer Waffen und die Auflösung ihrer Militärorganisation als ernsthafte und glaubwürdige Bezeugung ihres Friedenswillens an. Ihre Friedenssehnsucht sowie die Erfüllung ihrer menschenrechtlich begründeten Ziele könnten mit zivilen Mitteln viel besser verfolgt werden. Dass viele Kurden dazu Mut haben, zeigen die vielen zivilen Aktionen der kurdischen Bürger und Bürgerinnen, vor denen man nur den Hut voller Hochachtung ziehen kann.

Doch wie fragte Marlene Dietrich in ihrem Lied: „Wann wird man je verstehen“? Vielleicht können die Kurden eine positive Antwort auf diese Frage geben.

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