Gegen eine überstürzte Rückführung von Flüchtlingen aus Bosnien

von "Den Krieg überleben" e.V.
Krisen und Kriege
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Gegen eine überstürzte Rückführung von Flüchtlingen aus Bosnien

Als humanitär arbeitende Hilfsorganisation, die seit Dezember 1992 mehr als 7000 verfolgten bosnischen Menschen - größtenteils Muslime aus den serbisch besetzten Gebieten - zur Flucht nach Deutschland verholfen hat, äußert "Den Krieg überleben" (DKÜ) massive Bedenken gegen den Beschluß der Konferenz der Innenminister vom 26.01.1996 , die Flüchtlinge zur gestaffelten Rückkehr mit Beginn am 01.Juli 1996 zu zwingen.

Mit diesem Beschluß hat die Bundesre­publik international ein Signal gegeben, wie mit den Flüchtlingen verfahren werden kann, obwohl die Situation in Bosnien noch völlig instabil ist. Die Vorgabe der UNHCR, zunächst Binnen­flüchtlinge, dann Flüchtlinge aus den verschiedenen Republiken Ex-Jugosla­wiens und danach Vertriebene, die in einem anderen europäischen Land auf­genommen wurden, zurückzuführen, wurde ignoriert.

Unser Protest gegen die übereilte Ent­scheidung der Innenminister richtet sich vor allem gegen die Tatsache, daß den im Dayton - Abkommen formulierten Bedingungen für die Rückkehr der Flüchtlinge und der tatsächlichen Situa­tion in Bosnien nicht Rechnung getra­gen wurde:

1.    Laut Dayton-Abkommen sollen die Flüchtlinge das Recht haben, an ihren letzten Wohnort zurückzukehren. Dies wird für einen Großteil der von DKÜ betreuten Flüchtlinge völlig ausgeschlossen sein, da sie aus dem Gebiet der jetzigen "Serbischen Re­publik" stammen. (Europaweit be­trifft dies 80 % aller Vertriebe­nen.)Wie sollen misshandelte, ge­schlagene und unterdrückte Men­schen freiwillig zu ihren Peinigern zurückkehren ohne eine erneute Ge­fährdung in Kauf zu nehmen? Da das Problem des Umgangs mit Kriegs­verbrechern - auch auf lokaler Ebene -bisher völlig ungeklärt ist, ist eine Rückkehr für diese Menschen in die tatsächliche Heimat zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich.

      Kritisch wird die Rückkehr auch für andere Bevölkerungsgruppen: z.B. Deserteuren der bosnischen Regie­rungsarmee. Anders als wie im Be­schluß der IMK unterstellt, gibt es derzeit noch keine Amnestie für Kriegsdienstverweigerer und Deser­teure. Auch für bi-nationale Familien und Ehepaare wird eine Rückkehr problematisch. Wohin können sie ge­hen ohne mindestens Misstrauen zu erregen?

      Überhaupt spricht das Daytoner Ab­kommen von freiwilliger Rückkehr. Davon kann bei dem Beschluß keine Rede mehr sein.

2.    Aus gutem Grund hat die UNHCR in ihrem Stufenplan für die Wiederan­siedlung die Rückkehr       der in Dritt­staaten aufgenommenen Personen erst in zwei Jahren vorgesehen. In Bosnien selbst      und aus den anderen Republiken des früheren Ju­goslawiens müssen Hunderttausende       "rückgeführt" werden. Dies ist eine enorme Herausforderung für den bosnischen Staat und die Gesellschaft. Zusätzliche Flüchtlings­ströme aus Westeuropa wären zum jetzigen Zeitpunkt nur eine zusätzli­che Belastung, sowohl was die orga­nisatorische Arbeit angeht, als auch psychosozial. Schon jetzt ist es zu Spannungen zwischen Rückkehrern und Dagebliebenen gekommen, die menschlich verständlich, aber tief ungerecht sind. Daß aber auch politi­scherseits ein Stigmatisierung von Rückkehrern drohen kann, beweisen vereinzelte Berichte über das Erhe­ben einer "Rückkehrprämie" in DM. Hier ist dringend internationale Einflussnahme gefordert.

      Ein zeitliches Herauszögern - wie von der UNHCR und Hilfsorganisa­tionen vorgeschlagen - könnte in je­dem Fall eine Entspannung bringen.

3.    Die jetzige politische Situation er­laubt noch keineswegs, von einem si­cheren und dauerhaften Frieden zu sprechen:

      -Die Konföderation zwischen Bos­niern und Kroaten ist immer noch ein fragiles Gebilde, wie die Attacken in Mostar zeigen.

      -Das Verhältnis zwischen den ehe­maligen Kriegsparteien wird von massivem Mißtrauen beherrscht.

      -Die Verfolgung von Kriegsverbre­chern geschieht nur sehr zögerlich, wenn überhaupt

      -Es ist völlig unklar, ob es nach dem Abzug der NATO-Truppen friedlich bleibt.

      -6 Millionen Minen müssen geräumt werden, was Jahrzehnte (oder länger) dauern wird, aber als normale Be­gleiterscheinung eines modernen Krieges akzeptiert wird.

      -die auch in den Republiken des frü­heren Jugoslawien existierenden Friedens- und Bürgerrechtsgruppen werden nicht ausreichend internatio­nal unterstützt. Parallel dazu muß dringend eine internationale Struktur von Menschenrechtsbeobachtern auf­gebaut werden.

Wir richten den dringenden Appell an die Konferenz der Innenminister, bei ih­rer nächsten Zusammenkunft im Mai - wie in Ihrem eigenen Beschluß formu­liert - die Entscheidung über eine begin­nende Rückführung im Juli erneut zu überdenken angesichts der massiven Schwierigkeiten, die die Rückkehrer bei einer Überstürzung erwarten.

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