Gegen Gewalt - Eine Erklärung des Grundrechte-Komitees

von Andreas BuroAlbert Scherr

Im Zusammenhang der Diskussion um ''Jugend und Gewalt“ werden in letzter Zeit die Rufe nach Verschärfung des Jugendstrafrechts immer lauter: Aus diesem Anlaß hat sich der Vorstand des Komitees für Grundrechte und Demokratie bei seiner letzten Sitzung mit dieser Problematik ausführlich auseinandergesetzt. Die vom Vorstand verabschiedete Komitee-Erklärung "Gegen Gewalt" will die Widersprüche der gegenwärtigen öffentlichen Debatte aufzeigen. Die isolierte Verurteilung der Gewalt der Jugendlichen und die Rufe nach einer konservativen Wende der Erziehung sowie nach einem verschärften Jugendstrafrecht verschleiern die staatlich legitimierte Gewalt der fortgesetzten fremdenfeindlichen Flüchtlings- und Ausländerpolitik, die selbst zur Produktion von Feindbildern und Gewaltbereitschaft wesentlich beiträgt.

Die Komitee-Erklärung "Gegen Gewalt" hat folgenden Wortlaut:

Bundes-, Landes- und Kommunalpolitiker aller Couleur sprechen sich gegenwärtig gegen Gewalt aus. Sie meinen damit nicht, daß die Bundeswehr zu entwaffnen und die Polizei abzurüsten sei. Uns wird vielmehr empfohlen, der militärischen Gewaltanwendung in Somalia vorbehaltlos zuzustimmen, die von Jugendlieben gegen Fremde in Deutschland ausgeübte Gewalt aber zu verurteilen. Wir sollen die Anwendung von Staatsgewalt gegen Asylsuchende zum Zweck der Abschiebung als notwendig anerkennen, strukturelle Gewaltverhältnisse akzeptieren, Gewalt aber dann als Skandal empfinden, wenn sie ohne staatlichen Segen, aber vor dem Hintergrund politisch produzierter Feindbilder, ausgeübt wird.

Solche Gewaltkritik verstrickt sich in Widersprüche. Sie skandalisiert verspätet die Eskalation der fremdenfeindlichen Gewalt, erklärt sie zum Jugendproblem und verleugnet dabei den Zusammenhang zwischen einer fortgesetzten fremdenfeindlichen Politik und der dadurch geförderten Gewaltbereitschaft. Dies geschieht, seitdem ausländische Investoren Zweifel am Produktionsstandort Deutschland anmelden und seitdem türkische Arbeitskräfte nicht mehr nur die als "Asylanten" denunzierten Flüchtlinge, zum bevorzugten Objekt geworden sind. Die fremdenfeindliche Politik macht alle Formen der Gewalt unsichtbar, die sich nicht als kriminelle Straftaten einordnen lassen, sondern für das ganz normale Funktionieren dieser Gesellschaft unabdingbar sind. Sie bedient sich der Gewaltbereitschaft der jungen Männer, die ihren·Dienst an der Waffe antreten, und erklärt zugleich die Gewaltprävention zum Ziel jeder öffentlichen Erziehung.

Dabei wird rechten und gewaltbereiten Jugendlieben die exklusive Rolle des Bösewichtes zugesprochen. Man wäscht die eigenen Hände in Unschuld und mißbraucht das Gewaltproblem, um eine konservative Wende der Erziehung und eine Verschärfung des Jugendstrafrechts voranzutreiben. Auch manche ehedem Linke ergreifen die Gelegenheit zu einer Abrechnung mit dem demokratischen Aufbruch der sechziger Jahre. Im Zuge einer konservativen Wende werden gegenwärtig alte, längst überwunden geglaubte Denkmodelle recycelt. Mut zur Erziehung fordern nicht mehr nur rechtskonservative Ideologen. Antiautoritäre Erziehung wird als Ursache fremdenfeindlicher Gewalt dargestellt. Die ordnende Hand von Staat und Kirche soll eine angeblich verwahrloste Jugend in den Griff nehmen. Eine Verschärfung des Jugendstrafrechts wird als Mittel gegen Gewalt gefordert.

Auch wir sind gegen Gewalt. Wir sind jedoch nicht bereit; den Staat vorbehaltlos zu lieben und die Jugend zu verurteilen. Wir sind nicht bereit, die Legitimität einer Gewaltausübung vorbehaltlos anzuerkennen, die sich durch den Rechtsstaat legitimiert. Die Kritik der Gewalt, die sich - scheinbar wahllos - auf Flüchtlinge, Fremde, Sinti, Roma und Behinderte richtet, schließt die Kritik gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse und staatlicher Gewaltausübung ein.

Zu diesem Gewaltverhältnis ist auch eine Politik zu rechnen, die dazu beiträgt, daß lebbare Zukunftsperspektiven für einen erheblichen Teil. der Jugendlichen in Ost und West kaum mehr sichtbar sind. Sie sind aus der politischen Mitgestaltung der Zukunft weitgehend ausgeschlossen, die doch wesentlich die ihre sein wird. Politikverdrossenheit wird durch bürokratisierte Apparate ebenso erzeugt wie dadurch, daß demokratische Basisbewegungen systematisch ignoriert und ihre Entfaltung behindert wird.

Unser Programm gegen Gewalt heißt: Engagement für ein demokratisches und pazifistisches Einwanderungsland Bundesrepublik. Eine entscheidende Herausforderung besteht darin, Jugend für dieses Projekt zu gewinnen.

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