"Geheimwaffe": Feindbildwegnahme

von Helmut Ockel

Es wird die Aussage eines engen Mitarbeiters von Gorbatschow kolportiert: "Wir haben eine Geheimwaffe, wir nehmen Euch das Feindbild weg". Hat er damit Recht? Wenn ja, wie verträgt sich das mit der vielfach beschriebenen und selbst­verständlich gewordenen Forderung nach Abbau von Feindbildern als Voraus­setzung zur individuellen und kollektiven Friedensfähigkeit? Wollen wir denn mit der angestrebten Entmilitarisierung auch unsere Wehrhaftigkeit verlieren, zu der von jeher eben auch Feindbilder gehören?
Dieser - scheinbare - Widerspruch gibt Anlass, einige innerpsychische Bedingun­gen zu skizzieren, die beim Abbau von Feindbildern zu berücksichtigen sind, der gebotenen Kürze wegen sehr vereinfacht dargestellt.

Fast jeder Mensch braucht in seinem Leben irgendwann einmal "Feindbilder". Wer kennt sie zumindest nicht aus seiner/ihrer Pubertätszeit. Die phasenbedingte innere Unsicherheit führt zu "arroganten" Verhaltenswei­sen, Herabsetzung anderer, "drohen­den" Stärkedemonstrationen, abrupten Ablehnungen, die Umwelt ist "böse" etc.

Diese jedem/jeder zugängliche nor­male Erlebnisqualität ist in quantitativ und qualitativ gesteigerter Form Be­standteil der innerspychischen Bildung von "Feinden" - im individuellen und im kollektiven Bereich. Deren Bestandteile sind:

  • Es fehlt an innerer Stärke, um eigene Konflikte lösen zu können, wider­sprüchliche Gefühle zuzulassen und auszuhalten.
  • Diese Gefühle werden gespalten in gut/böse, schwarz/weiß, um der ei­genen Angst- und Unsicherheits­wahrnehmung, die Ohnmachtsge­fühle vermittelt, zu entgehen.
  • Die negativen Aspekte werden nach draussen verlagert, können dort dann "bekämpft", kontrolliert wer­den, die innere Konfliktsituation scheint entlastet, innen herrscht "Friede".
  • Für diesen "Kampf" muß man sich "rüsten", spätestens jetzt kann die projizierte Feindschaft zur realen werden, da die Gegenrüstung er­folgt. Notfalls muß der "Feind" dazu provoziert werden, um die Feindbil­dung und eigene Rüstung weiterhin rechtfertigen zu können. Natürlich ist dieser Ablauf in ständiger Wech­selwirkung zu sehen.

Rüstet der "Feind" nicht mit, wird er gar verständigungsbereit, gerät mit dem Feindbild nicht nur die Stärke- und Rüstungsbereitschaft, sondern unter Umständen sogar der "innere Friede" in Gefahr. Das Individuum wird labilisiert, in einer Gruppe (Na­tion) kann es zum Aufflackern alter oder neuer Konflikte kommen. - Ist das die erwünschte Wirkung der "Geheimwaffe"?

Unter diesem Aspekt muß der Ruf nach dem notwendigen Feindbildab­bau zusammen gesehen werden mit der möglichen Gefährdung der inne­ren (Schein-) Stabilität, sowohl beim Individuum als auch im Kollektiv. Häufigste Reaktion: Entweder Wider­stand gegen den Abbau - oder es müs­sen neue Feindbilder geschaffen wer­den. Letzteres geschieht dann häufig innerhalb der Gruppe oder des (z. B. NATO-) Bündnisses. Mitglieder der Friedensbewegung machen die "Politi­ker", die Rüstungsfabrikanten usw. zu Feinden, für die Regierung werden die "anarchistischen" Mitglieder der Frie­densbewegung zu Feinden. Nur so scheint die innere Stabilität wieder herstellbar.

Für die Friedensbewegung gilt es auf­zupassen, dieser Art von Feindbildung nicht zu erliegen. Wer die "real existie­rende Illusion einer bewaffneten Frie­densfähigkeit" mit ihrer ständigen Ge­waltdrohung und Abschreckungsstra­tegie erkannt hat und sich für die "reale Vision einer gewaltfreien Frie­densfähigkeit" - etwa im Sinne der So­zialen Verteidigung - engagieren will, tut gut daran, diese Konzepte nicht nur als Ziel, sondern auch als Wegbe­schreibung zum Ziel hin anzusehen. Die Fixierung auf eine Feindposition (statt Konfliktpartnerschaft), die auch dort gelegentlich - zur Kontrolle eige­ner Ängste und Unsicherheiten - spür­bar ist, muß vermieden werden. Feindbilder widersprechen den Kon­zepten gewaltfreier Verteidigung. Hier hilft uns Gorbatschow!

Abschließend kann ich nur ganz pau­schal andeuten, daß der Abbau, das Überflüssigmachen von Feindbildern einhergehen muß mit der ständigen Bereitschaft, mit der eigenen individu­ellen und kollektiven Konfliktbereit­schaft konstruktiv umzugehen. Auch ist es wichtig, im Auge zu behalten, daß es viele Menschen geben wird, die beunruhigt sind, wenn sich während der Abrüstungsschritte Feindbilder auflösen. Zum Abbau von Feindbil­dern gehört also auch das Aufbringen von Verständnis für auftauchende Ängste, - eigenen wie fremden - wenn die geschilderte Entlastung durch das Feindbild schwindet. Die Abrüstung der Waffen und die "Abrüstung der Gesinnung" (C. F. v. Weizsäcker) sind unteilbar miteinander verbunden, in beiden Bereichen müssen Feindbilder abgebaut werden.

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