Gewaltprävention im Sozialraum

Gemeinsam gegen Gewalt

von Dieter Lünse

Gewaltprävention im Sozialraum ist ein in Hamburg inzwischen sehr verbreiteter Ansatz. Aufgrund einer Initiative im Jahre 2000 vom damaligen Amt für Jugend, der Schulbehörde, einem bezirklichen Vertreter und dem Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation (ikm) entwickelten sieben Hamburger Stadtteile ein Programm gegen Gewalt. Inzwischen sind es insgesamt einundzwanzig Regionen, die einen eigenen Maßnahmenplan gegen Gewalt entwickelt haben.

So steht zum Beispiel das Motto „Gemeinsam gegen Gewalt" über der Arbeit zur Gewaltprävention im einem Sozialraum im Süden von Hamburg (Neuwiedenthal Sandbek). Hinter der Überschrift verbirgt sich ein differenzierter Maßnahmenkatalog und die Absicht, langfristig in der Region an dem Thema zu arbeiten.

Wie kam es dazu?
Alle Stadtteile in Hamburg haben unterschiedliche sozio-kulturelle sowie demographische Bedingungen und eine Geschichte, die zu verschiedenen Formen von Konflikten und Gewalt beiträgt. Aufgrund der Erfahrungen in jetzt 21 Stadtteilen ergibt sich die Erkenntnis, dass immer eine eigene Kultur im Umgang mit Gewalt vorhanden ist.
Für Neuwiedenthal ist ein Vorfall bedeutend, der lange zurück liegt und doch präsent ist, weil bewusst wurde, was im Zuge einer Eskalation von Gewalt geschehen kann. Vor acht Jahren nahm sich ein Schüler das Leben, indem ersieh öffentlich vor die S-Bahn warf. Dies geschah nach monatelanger Erpressung aus dem Gefühl der Ohnmacht und Ausweglosigkeit heraus. Die Stadt Hamburg wie auch der Stadtteil selbst haben direkt auf diesen Vorfall reagiert und viele Maßnahmen gegen Gewalt entwickelt. Neue Angebote für Jugendliche sind aufgebaut worden und die Aufmerksamkeit sowie Achtsamkeit für Konflikteskalationen ist seither gestiegen.
Vor zwei Jahren kamen erneut Vorfälle an die Öffentlichkeit - wiederum ging es um Erpressung unter Jugendlichen.

Ein Stadtteil reagiert
Aufgrund der Vorerfahrungen war schnell eine kleine Gruppe aus Schule, Jugendarbeit, Jugendamt und Polizei zusammengestellt. Sie entwickelten gemeinsam mit dem ikm (als externen Moderator des Prozesses) einen Fahrplan mit Antworten auf die folgenden Fragen: Wie kann Öffentlichkeit für das oder für die spezifischen Anliegen des Stadtteils hergestellt werden? Wer sollte aus dem Stadtteil zusätzlich in die Entwicklung einbezogen werden? Müssen Gremien berücksichtigt und in den Entwicklungsprozess des Fachgespräches einbezogen werden?
Gibt es wissenschaftliche Analysen, Vorarbeiten zu dem jeweiligen Stadtteil, die für die Bearbeitung genutzt werden könnten? Wie sollen die Fachgesprächstage aussehen (Themenstellung, Detailplan, Ort, Teilnehmende, Ergebnissicherung, Einbeziehung externer Personen)? Welcher Zeithorizont ergibt sich aus der Themenstellung? Wann sollen Zwischenergebnisse überprüft werden? Wann soll das Fachgespräch enden und wer oder was käme für die Weiterarbeit in Frage?
Festgelegt wurde, dass die Entwicklung von Maßnahmen zur Gewaltprävention das Gebiet Neuwiedenthal und Sandbek umfassen und ein Plan über mindestens fünf Jahre entstehen sollte. Alle weiteren Schritte wurden mit Einrichtungen des Stadtgebietes gemeinsam erarbeitet. Dazu zählte der Aufbau einer Öffentlichkeitsarbeit gegen Erpressung und ein Fachgespräch zum Umgang mit Gewalt und Konflikten.
Genauso wie in den anderen 20 Stadtteilen gelang es in Neuwiedenthal Sandbek, mit den Fachveranstaltungen die Vernetzung aufgabenorientiert zu verbessern und erste Handlungsideen zu entwickeln. Weiterhin wurde im Fachgespräch zum Themenkomplex Gewaltprävention gearbeitet, und neue Modelle zum Umgang mit Konflikten und Gewalt wurden erprobt. Beteiligt waren und sind die Berufsgruppen der Lehrer/innen, Sozialarbeiter/innen, Polizist/innen, Sportpädagog/innen und Jugendgruppenleiter/innen aus verschiedenen Institutionen der Region. Die gemeinsam erarbeiteten Maßnahmen wurden und werden mit bereits laufenden Projekten wie der Mediation an Schulen, Projektwochen und Sportangeboten verknüpft, so dass im Laufe der Durchführung ein beachtlicher Maßnahmenkatalog entstanden ist.

Die Fachgespräche
Das Grundkonzept des Fachgespräches ist, dass die Fachleute in einem Stadtteil die Fragestellung gemeinsam entwickeln und Probleme gemeinsam bearbeiten. Mit einer gemeinsamen Fragestellung lassen sich zu Problemen, die viele Kinder und Jugendliche betreffen, besser und gezielter Lösungsmöglichkeiten entwickeln. Neben einzelnen konkreten Gewaltvorfällen bereiten den Menschen im Stadtteil oft die so genannten Gewaltphänomene große Sorgen und führen zu Angst und Unsicherheit. Furcht vor Gewalt und Kriminalität speist sich bekanntermaßen aus vielfältigen „Irritationen". Wer in Jugendliche im Stadtteil ihren Raum einfordern und an Bushalteplätzen oder Tankstellen „auffallen", bewirkt dies Ängste bei all jenen, die sich dort nicht länger aufhalten, sondern alles nur im Vorübergehen beobachten oder sich „vom Hörensagen" beeinflussen lassen. Diese diffusen Ängste werden durch weitere Unsicherheiten wie Brüche in den sozialen Beziehungen, Umweltentwicklungen, Normen- und Werteveränderungen und sozialer Absicherung noch verstärkt und führen zu Verunsicherung, zu einem Gefühl der Schutzlosigkeit. Die Gewaltfurcht ist ein Ausdruck dieser Ängste, der Befürchtungen oder der Wut über einschneidende gesellschaftliche Veränderungen. Dazu zählt in Neuwiedenthal die Erpressung, die nicht immer so leidig feststellbar ist oder von den Opfern verschwiegen wird.
Der Anfang der gemeinsamen Bewegung gegen diese Gewalt und Furcht ist, die Fachleute zu sensibilisieren, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln und das Hilfesystem auszubauen. Im Fachgespräch kamen die Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten deutlich zur Sprache und konnte besprochen und geklärt werden.
Mit der Methode der Konfliktlandkarte konnte an der Erhellung der Dunkelziffer von Vorfällen gearbeitet werden. Dadurch ergaben sich Ideen für die Förderung bzw. Ausbildung von Kompetenzen für konstruktive Konfliktlösung auf den verschiedenen Ebenen des Stadtteils. Dabei bestätigte sich, dass ein bloßes nebeneinander her Arbeiten der verschiedenen Einrichtungen Kindern und Jugendlichen im Umgang mit Gewalt und Konflikten nicht weiter hilft. Allein das konzertierte Vorgehen der Einrichtungen - bei aller Unterschiedlichkeit in der jeweiligen Ausrichtung - bewirkt ein geschlossenes Bild und trägt zu einem konstruktiven Umgang mit Problemen bei.
Der regelmäßige Austausch der Berufsgruppen bzw. beteiligten Personen fördert die Zusammenarbeit in der Region. Direkte Gewaltvorfälle können aktueller erfasst und effektiver bearbeitet werden. Die genannten Faktoren der Gewaltfurcht werden in die Analyse von Gewalt und Konflikten einbezögen. So werden Gewaltphänomene wie z.B. Erpressung vom Dunkeln ins Helle gebracht, womit die Chance enorrn erhöht wird, auch im Dunkelfeld einen anderen Umgang mit Gewalt und Konflikten regional zu etablieren.
Die Öffentlichkeit wird über die Stadtteilkonferenz und die regionalen Medien hergestellt, so dass eine Transparenz und infolgedessen auch eine Verpflichtung für die Beteiligten entsteht, am Ball zu bleiben. In Neuwiedenthal Sandbek ist bemerkenswert, dass eine sehr breite Öffentlichkeitsarbeit aufgebaut wurde: Vier regionale Zeitungen, die Schulzeitungen, Gemeinderundbriefe und die Rundbriefe der Verbändeberichten über konkrete Maß-nahmen der Gewaltprävention!
Als ein besonderes Ergebnis der Fachgespräche sind das Faltblatt und das Plakat gegen Erpressung zu erwähnen. Diese wurden an alle Einrichtungen für Kinder und Jugendliche (Schulen, Jugendeinrichtungen etc.) verteilt. Es wurden außerdem direkte Gespräche mit den einzelnen Einrichtungen geführt. Dadurch sehen Kinderund Jugendliche nicht nur die Flyer und Plakate, sondern haben durch diese Öffentlichkeitsarbeit auch Anknüpfungspunkte für diverse Gespräche mit Fachleuten, ihren Eltern und anderen!

Veränderung von Gewaltstrukturen
Mit der Arbeit des ikm in den regionalen Fachgesprächen wird ein umfassender Ansatz verfolgt, bereits vor der Gewalteskalation anzusetzen, um die konstruktive Austragung· von Konflikten zu stärken. Die Chancen, der Gewalt früh zu begegnen, sind mit dieser Arbeit sehr groß. Die übergreifende Zusammenarbeit ermöglicht auch eine konsequente und zeitnahe Reaktion auf konkretes Gewalthandeln. Besondere Schwierigkeiten liegen im Bereich der Entstehung von Konflikten durch strukturelle Ursachen (Arbeitslosigkeit, Erziehungsdefizite, Bildungsferne usw.). Außerdem erweist es sich meist als schwierig, Proqramme zum konstruktiven Umgang mit Gewalt und Konflikten auszubauen und nachhaltig anzulegen. Gemeint sind hier langfristige Programme, die z.B. Bestandteil von Ausbildungen sind. Sehr deutlich ist, dass in der schulischen Ausbildung die Vermittlung von sozialer Kompetenz eine zunehmende Rolle spielt. Mit der Stärkung aller genannten Bereiche kann die Basis für konstruktive Konfliktaustragung gelegt und mit Mediation weiter darauf aufgebaut werden. Erst wenn bewusster wird, dass Konflikte durch ihre konstruktive Bearbeitung förderlich für das. Zusammenleben sind und nicht ausgesessen oder mit Gewalt ausgetragen werden müssen, senken wir die gesellschaftlichen Kosten von Konflikten und können mit einem Stück mehr Zivilgesellschaft rechnen. Neuwiedenthal Sandbek ist nur ein Beispiel von vielen.

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Dieter Lünse ist Leiter des Institut für Konfliktaustragung und Mediation in Hamburg (www.ikm-hamburg.de). Er ist Mediator und Ausbilder für Programme sozialen Lernens. Bei einer Forschungsreise 2008 und einem weiteren Aufenthalt 2009 sind viele Kontakte entstanden, die er gerne auf Anfrage weiter vermittelt, um Unterstützung wie auch gegenseitiges Lernen zu organisieren: luense@ikm-hamburg.de